Samstag, 20. April 2024

Archiv


"Natürlich wollen die meisten Afghanen Stabilität"

Bei militärischen Einsätzen sollte mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen werden, sagt Thomas Ruttig von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Auf diese Weise könnten die Amerikaner Sympathien unter den Afghanen zurückgewinnen. Anschläge der Taliban in Deutschland, um den Abzug der deutschen Soldaten zu erzwingen, hält er für unwahrscheinlich.

Thomas Ruttig im Gespräch mit Reinhard Bieck | 03.07.2009
    Reinhard Bieck: Ist der Kampf dort überhaupt zu gewinnen?

    Thomas Ruttig: Wenn wir Kampf als nicht nur militärisch definieren, dann ist der zu gewinnen. Wenn man sich allerdings nur und vorrangig auf militärische Mittel konzentriert, um die Aufständischen in Afghanistan zu bekämpfen, dann wird das nicht reichen.

    Bieck: Aber wenn es doch militärisch nicht zu schaffen ist, wie soll dann die Ausgangsbasis geschaffen werden, um es sozusagen zivil zu schaffen?

    Ruttig: Es geht ja darum, wie militärische Mittel eingesetzt werden. Ich glaube nicht daran, dass man durch eine Verstärkung von offensiven Operationen gegen die Aufständischen dieses Ziel erreichen kann, weil sie doch zu stark in einigen Gegenden Afghanistans jedenfalls in der Zivilbevölkerung verankert sind.

    Bieck: Aber genau das erleben wir in Helmand: Großoffensive der Amerikaner.

    Ruttig: Das ist richtig. Das war auch so angekündigt und war zu erwarten. Wir müssen jetzt sehen, ob die Amerikaner gelernt haben und auch das umsetzen, was ihre militärischen und politischen Führer in den letzten Tagen gesagt haben, dass sie nämlich mehr Rücksicht auf Zivilbevölkerung in Afghanistan nehmen werden. Wenn das der Fall ist, denke ich mir, dass sie sich Sympathien unter den Afghanen zurückgewinnen können. Wir haben das in den letzten Monaten bei kleineren Operationen schon in einigen Südprovinzen beobachten können, dass dort die Bevölkerung sehr zufrieden war, dass sich militärische Operationen sehr stark nun wirklich auf Taliban konzentriert haben und es dabei eben nicht wie so oft zuvor zu größeren zivilen Opfern kam.

    Bieck: Wenn ich Sie richtig verstanden habe sagen Sie, die militärischen Operationen bringen eigentlich gar nichts, es geht darum, sozusagen zivile Aufbauhilfe zu leisten. Warum lässt man denn das Militär dort nicht ganz weg?

    Ruttig: Das geht natürlich nicht, weil man kann nicht erwarten, dass die Taliban dann aufhören zu kämpfen, wenn alle abziehen. Die Taliban fühlen sich immer noch als legitime Regierende in Afghanistan und wollen ihr Emirat wiedererrichten. Wichtig wäre, Zivilbevölkerung zu sichern, die afghanischen Institutionen zu sichern, militärisch das stärker defensiv und das dann mit verstärktem zivilen Wiederaufbau zu tun, vor allen Dingen erst mal in den Gebieten, die es ja in Afghanistan auch gibt, die ruhig und unter der Kontrolle der Regierung sind.

    Bieck: Dann müssen wir aber unterstellen, dass die Afghanen das auch wirklich wollen. Wollen die denn dort überhaupt Stabilität in unserem Sinne mit alle vier Jahre Wahlen, Gleichberechtigung, Fließbandarbeit und Computerspielen?

    Ruttig: Die Afghanen wollen auch Computerspiele. In Kabul gibt es eine ganze Menge Internet-Cafés, wo die Jugendlichen Afghanistans genauso wie unsere Jugendlichen vor den Computern sitzen und spielen. Aber um auf Ihre Frage direkt zu antworten: Natürlich wollen die meisten Afghanen Stabilität. Es gibt aber sowohl auf der Seite der Aufständischen als auch unter den ehemaligen Warlords welche, die sind nicht an Stabilität interessiert, nämlich diejenigen, die am Drogenhandel partizipieren und an anderen kriminellen Machenschaften. Die wollen gerne weiter im Trüben fischen. Aber die Mehrheit der Bevölkerung Afghanistans will wie alle anderen Menschen in anderen Ländern natürlich Arbeit und möglichst auch Freizeitbeschäftigung, und da wären wir wieder bei den Computerspielen.

    Bieck: Sie sagen also, die Mehrheit der Afghanen wollen Stabilität und vielleicht auch die Aussicht auf so etwas wie Wohlstand. Dafür kämpfen also die deutschen Soldaten. Aber es gibt ja noch eine andere Motivation, nämlich – ich zitiere den früheren Verteidigungsminister Struck – die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt. Verstehen Sie eigentlich diesen Spruch?

    Ruttig: Ehrlich gesagt ich verstehe diesen Spruch. Wir leben in einer globalisierten Welt und wir haben am 11. September 2001 gesehen, wie sehr Sicherheit in Ländern wie Afghanistan und in der westlichen Welt zusammenhängt. Wir können nicht ausschließen, wenn die westlichen Truppen aus Afghanistan zu überstürzt abziehen – sie werden ja eines Tages abziehen müssen -, dass dann wieder Bürgerkrieg in Afghanistan ausbricht, die zahlreichen, immer noch bewaffneten Fraktionen aufeinander losgehen und das Freiräume schafft für Organisationen wie Al Kaida, die ja in den Grenzgebieten zwischen Afghanistan und Pakistan sozusagen im Wartestand sind und genau auf dieses Szenarium hoffen.

    Bieck: Herr Ruttig, im Moment sieht es aber doch genau umgekehrt aus. Gerade heute warnen deutsche Sicherheitsexperten, die Anhänger der Taliban könnten versuchen, mit Anschlägen in der Bundesrepublik den Abzug deutscher Soldaten zu erzwingen. Das bedeutet doch Unsicherheit für Deutschland.

    Ruttig: Das halte ich für Alarmismus und für nicht zutreffend. Wir sollten ganz genau unterscheiden, ob wir über Taliban oder Al Kaida reden. Wenn die Experten Hinweise haben, dass Al Kaida solche Dinge planen, dann würde ich das auch ernst nehmen. Ich glaube aber nicht an Aussagen, dass die Taliban in Deutschland aktiv werden. Sie haben öffentlich gesagt, dass sie solche Sachen nicht vorhaben. Die Taliban sind sehr stark konzentriert auf die eigene nationale Agenda in Afghanistan. Und als langjähriger Beobachter dieses Landes und sehr enger Beobachter sehe ich keine Tendenzen, dass sich das geändert hat.