Donnerstag, 28. März 2024

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Navid Kermani
Ein Muslim und sein Buch über das Christentum

Der Schriftsteller Navid Kermani ist gerade in einer extrem erfolgreichen Phase. Mitte Oktober bekommt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er bekennt sich zu seinen muslimischen Wurzeln. hat sich aber auch mit dem Christentum ausgiebig beschäftigt. Ein mehrjähriger Prozess, der jetzt in einem Buch kulminiert: "Ungläubiges Staunen - Über das Christentum".

Navid Kermani im Gespräch mit Andreas Main | 27.08.2015
    Der Schriftsteller Navid Kermani.
    Der Schriftsteller Navid Kermani - "Ungläubiges Staunen - Über das Christentum" (picture alliance / dpa / Thomas Frey)
    Navid Kermani ist einer der bekanntesten Muslime in Deutschland. Er wurde 1967 in Siegen geboren als Sohn iranischer Eltern. Er ist habilitierter Orientalist, wichtig sind ihm vor allem die mystischen Strömungen im Islam. Kermani war zu Gast im Deutschlandfunk. Aus einem rund 15 Minuten langen Gespräch finden Sie hier zentrale Thesen zum Nachlesen:
    Was er als Nicht-Christ am Christentum bewundert:
    "Ganz eindeutig ist es das Moment der Feindesliebe, das ist ein revolutionärer Gedanke gewesen, der ja auch in andere Religionen Eingang gefunden hat. Ein Gedanke, den Sie im Islam ganz dezidiert finden, innerhalb des sufischen Islams speziell, auch im Koran übrigens. Was die Sufis gesehen haben am Christentum, war vor allem dieses Moment der Liebe, die über das eigene Kollektiv hinausgeht."
    Was für ihn am Christentum problematisch, schwierig, unverständlich ist:
    "Theologisch natürlich die Trinität. Da habe ich die gleichen Schwierigkeiten, wie Goethe damit hatte. Das ist etwas, was nicht in den Kopf hineingeht. Mit dem Herzen begreife ich das nicht, wie aus eins drei wird. Den Juden geht es ja sehr ähnlich, und Paulus hat es vorausgesehen, viele Theologen haben es auch vorausgesehen, dass das der Punkt ist, der für andere – wie Paulus es sagt – ein Ärgernis bleibt, etwas Unbegreifliches halt, was man wirklich nur mit dem Herzen begreifen kann – oder eben nicht."
    Ein Beispiel dafür, wie er mit den Kirchen in Berührung gekommen ist:
    "Da ist dieses Bild des iranischen Großvaters, der 1963 die Familie in Deutschland besucht und zu den Gebetszeiten sein Gebet einhalten muss – und er sucht immer eine Kirche. Und er betet immer in der Kirche. Er hat seinen kleinen Teppich dabei, und er betet. Es hatte 1963 offenbar nirgends ein Problem. Er konnte sehr gut Französisch. Man sah ihn dann oft noch schwatzen mit dem Pfarrer oder mit einer Nonne beim Herausgehen. Weder der Pfarrer, noch die Nonne, noch der Mönch, noch mein Großvater fanden das irgendwie bemerkenswert. Das war vollkommen normal, dass man mit seinem muslimischen Gebetsteppich auch in einer Kirche in einer Ecke betete."
    Islamische und christliche Mystik – was beide verbindet:
    "Es ist genau diese subjektive Erfahrung Gottes. Die ist immer individuell. Das findet man in allen mystischen Traditionen. Je weiter man sich ins Innere versenkt, desto ähnlicher werden auch die Vorgänge. Die Mystiker tendieren immer zum Universalismus, nicht weil sie die verschiedenen Formen ablehnen – die sind die Voraussetzung. Sie finden doch bei sehr vielen Mystikern zugleich ein unglaubliches und tausend Jahre später staunenswertes Moment der Toleranz, weil Mystiker diesen Satz des islamischen Propheten gespürt und erfahren haben: 'Die Wege zu Gott sind so zahlreich wie die Atemzüge eines Menschen.'"
    "Die Mystiker wissen, dass natürlich auch Religionen sich immer zusammensetzen aus anderen Religionen. Das Christentum ist in diesem Sinne zutiefst synkretistisch, weil es sich ja zusammensetzt aus all den Religionen, Kulturen, die vorher da waren. Bei dem Islam ist es genauso – im Islam steckt so viel Christentum, soviel auch zoroastrische Religion, alt-arabische Religion, jüdische Religion... Es gibt keine Religion pur. Die Religionsgründer haben immer an die Vorgänger angeknüpft und fühlten sich als Fortsetzer."
    Mystiker versus Fundamentalisten, die auf religiöser Orthodoxie beharren:
    "Egal wo die Fundamentalisten oder Dschihadisten hinkommen, die ersten, die geköpft werden, deren Gräber zerstört werden und deren Tempel, Moscheen zerstört werden, sind die Mystiker. In Saudi-Arabien, das ein Zentrum der islamischen Mystik war bis vor 200 Jahren, ist es ausradiert worden – es gibt keine Mystik mehr, sie ist verboten. Es ist im Iran ähnlich. Das Tragische ist, dass die Reformer, die Aufklärer ähnlich gedacht haben. Die hatten auch keinen Respekt vor den mystischen Traditionen, die im Volk zutiefst verankert waren."
    Wenn christliche Intellektuelle sich vertiefen würden in islamische Mystik:
    "Das sieht man auch an Goethe. In der Art und Weise, wie Goethe sich in die islamische Mystik versenkt und einige seiner wunderschönsten Gedichte der Weltliteratur hervorgebracht hat - das ist ein sehr bereichernder Vorgang, sich auf das Fremde einzulassen, einerseits weil einem Dinge auffallen, die man innerhalb der Kultur gar nicht sieht, weil sie so selbstverständlich sind, und weil man durch den Blick auf das Fremde immer wieder sich selbst neu kennenlernt."
    Die mediale Öffentlichkeit beschäftigt sich eher mit Salafisten als mit Mystikern:
    "Ja – weil die Dschihadisten Bomben legen. Das ist nun mal medial im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Jemand, der sich in Gott versenkt, ist nun mal keine Zeitungsmeldung.
    Aber natürlich haben wir als Schriftsteller und Wissenschaftler auch die Aufgabe, das Ganze zu sehen und nicht nur auf die Zeitungsmeldung zu schauen, sondern sie in unsere Schriften und Beobachtungen einzuordnen."