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Negative Emissionen
Steinmehl als möglicher Klimaretter

Die Klimaziele dürften wohl nur noch zu erreichen sein, wenn man der Atmosphäre Kohlendioxid wieder entzieht. In ein wenig erforschtes Verfahren setzen einige Experten nun große Hoffnungen: Sie wollen das Treibhausgas binden, indem sie Gesteinsmehl ins Meer kippen. Erste Versuche sind bereits geplant.

Von Tomma Schröder | 05.07.2019
Blick auf das Matterhorn.
Um die weltweiten Emissionen zu kompensieren, müsste zweimal jährlich Gestein von der Masse des Matterhorns kleingeraspelt werden (Andreas Burmann)
Eigentlich ist es eine recht simple Möglichkeit, Kohlendioxid aus der Atmosphäre oder aus den Ozeanen zu entfernen. Und sie findet die ganze Zeit an den Berghängen direkt vor unseren Augen statt.
"Jeder Felsrutsch sieht erst mal ganz farbig, ganz frisch aus, und wenn man dann nach ein, zwei, drei Jahren wieder hingeht, dann ist das grau geworden. Und das ist genau dieser Prozess: da wird CO2 aus der Luft genommen, reagiert chemisch mit dem Gestein und bildet dann diese grauen Carbonatgesteine. Das machen Berge ganz von alleine."
Wenn man lange genug warten würde, einige hunderttausend Jahre, dann würde genau dieser Verwitterungs-Prozess ganz von allein dazu führen, dass ein Großteil der menschengemachten CO2-Emissionen wieder aus der Atmosphäre verschwindet, erklärt Andreas Oschlies, Physiker und Modellierer am Geomar, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.
Große Mengen an Gestein erforderlich
"Aber das ist halt für die Gesellschaft jetzt zu langsam. Und die Idee ist, dass wir einfach die Kontaktfläche zwischen Gestein und Atmosphäre vergrößern, indem man Gesteine oder Berge klein raspelt und damit eine sehr hohe Reaktionsoberfläche zwischen Gesteinsmehl und Luft schafft und dann die Verwitterung um den Faktor 10, 100 vielleicht noch stärker beschleunigt mit der Idee, dass man dort ein sicheres Endlager für CO2 schafft.
Die Verwitterung – oder Alkalisierung wie der Prozess im Meer genannt wird – ist eigentlich bestens bekannt, und auch die Idee, ihn für negative Emissionen zu nutzen, ist nicht neu, erzählt Ulf Riebesell, ebenfalls vom Geomar.
"Die wurde bisher immer vom Tisch gefegt, weil – richtig ist, dass man, wenn man diesen Weg gehen möchte, muss man große Mengen an Gestein erst mal abbauen, zermahlen und entweder auf den Feldern oder im Ozean ausbringen. Allein die Menge, die da erforderlich ist, ist erschreckend."
Und Andreas Oschlies ergänzt: "Um das CO2 aus der Verbrennung einer Tonne Kohle zu kompensieren, muss man ungefähr vier Tonnen Gestein kleinraspeln. Wenn wir unsere heutigen gesamten weltweiten Emissionen kompensieren wollten, dann müssten wir zweimal im Jahr das Matterhorn komplett kleinraspeln."
Erste Versuche vor Norwegen und den Kanaren
Dennoch sollte man sich von diesen Dimensionen nicht sofort abschrecken lassen, meinen die beiden Forscher, zumal die Methode nebenbei auch die Ozeanversauerung abmildern könnte:
"Interessanterweise haben die Erdsystemmodelle völlig gegen unsere Erwartungen gezeigt: Eigentlich ist die Alkalisierung wahrscheinlich die beste aller Methoden sowohl im Potenzial als auch in den Kosten als auch möglicherweise in den ökologischen Risiken, die man damit eingeht."
Es gibt bereits einige kleine, recht erfolgreiche Versuche mit alkalischen Lösungen in Korallenriffen dazu. Auch an Land wurde bereits zermahlenes Olivin auf Äckern ausgebracht, wo es etwas langsamer, aber ähnlich wie im Meer mit Regenwasser verwittert. Die Bestandteile des Gesteins lösen sich als freie Ionen komplett im Wasser auf und werden letztlich über die Flüsse ins Meer gespült.
Was aber passiert, wenn man in größerem Stil zermahlenes Carbonat- oder Silikatgestein direkt im Meer ausbringt? Ulf Riebesell und seine Kollegen wollen erstmals Mesokosmen, große, abgeschlossene Schläuche, im Meer vor Norwegen und vor den Kanaren ausbringen, um dort die Auswirkungen des Gesteinsmehl auf das Ökosystem zu beobachten.
Negative Folgen für die Tierwelt?
Während die Begutachtung des EU-Projektes noch läuft, haben die Kieler schon einmal im Labor mit kleinen Experimenten begonnen.
"Ja, hier finden die eigentlichen Experimente statt. Dort haben wir einen großen Tank, da stellen wir immer unser künstliches Seewasser her …"
In kleinen Behältern mit dem Seewasser liegen Eier von Ruderfußkrebsen. Wenn sie geschlüpft sind, wird einigen Proben Gesteinsmehl hinzugefügt.
"Und die Frage ist, dass wir wissen wollen, wenn da jetzt solche Gesteinspartikelchen, so feiner Staub in den Ozean ausgebracht wird, beeinflusst das irgendwie das Fressverhalten dieser Ruderfußkrebse. Und wenn es einen negativen Einfluss hätte, dann wäre es natürlich fürs Nahrungsnetz insgesamt sehr wichtig."
Bisher noch Grundlagenforschung
Die Kieler stehen mit ihren Experimenten noch ganz am Anfang. In Oxford ist man schon etwas weiter. Dort hat Ros Rickaby herausgefunden, dass kalkbildende Algen in alkalischem Wasser deutlich schneller und stärker wachsen. Die Bildung von Kalk aber setzt wiederum Kohlendioxid frei. Das könnte die Effizienz der Methode senken.
"Wir müssen noch viel mehr forschen, um in der Lage zu sein, dies wirklich richtig zu beziffern. Es ist wichtig, dass wir nicht nur die Zunahme der Verkalkung, sondern auch die Zunahme der Photosynthese quantifizieren können, da diese beiden Gleichgewichte auch die Chemie der Ozeane beeinflussen."
Noch geht es also um Grundlagenarbeit, mit der die Effizienz und die Folgen der Gesteinsverwitterung genauer erforscht werden sollen.