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Negative Emissionen
Wissenschaftliche Arbeiten zur CO2-Entnahme fehlen

Technologien, die CO2 aus der Luft fischen können, tauchen im wissenschaftlichen und politischen Diskurs zu wenig auf: "Hier muss sehr viel mehr getan werden", sagte Jan Minx vom Mercator-Institut für Klimawandelforschung im Dlf. Dazu gehöre auch eine offene Debatte über die Chancen und Risiken dieser Technologien.

Jan Minx im Gespräch mit Ralf Krauter | 24.05.2018
    Klimawandel: Deutschland wird mehr Hitzetage bekommen; das Bild zeigt einen Mann von hinten, der ein Handtuch auf seine verschwitzte Glatze drückt...
    Es gibt verschiedene Verfahren, CO2 wieder aus der Luft zu bekommen: wenn wir nicht darauf setzen, dann kommen wir bald ins Schwitzen ( Sebastian Kahnert/dpa)
    Ralf Krauter: Um die schädlichen Nebenwirkungen des Klimawandels in Grenzen zu halten, hat sich die Weltgemeinschaft bei der letzten UN-Klimakonferenz in Paris ja darauf geeinigt, dass die globale Durchschnittstemperatur im Jahr 2100 maximal 1,5 Grad höher sein sollte, als vor Beginn des Industriezeitalters. Ob dieses Ziel angesichts der schleppenden Fortschritte beim Kampf gegen die Erderwärmung überhaupt noch zu erreichen ist? Viele Fachleute haben da Zweifel. Wenn überhaupt, dann wohl nur, wenn ab Mitte des Jahrhunderts Technologien zum Einsatz kommen, mit denen sich massenhaft CO2 aus der Luft fischen lässt, damit die Kohlendioxid-Konzentrationen wieder sinken. Welche Technologien im großen Stil für "negativen CO2-Emissionen" sorgen könnten, hat ein internationales Forscherteam untersucht und die Ergebnisse jetzt im Fachmagazin Environmental Research Letters publiziert. Federführend dabei war Professor Jan Minx, der Leiter der Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung am Mercator-Institut für Klimawandelforschung in Berlin. Ich habe ihn vorhin gefragt: Was der Anlass für ihre Potenzialanalyse?
    Jan Minx: Um den Klimawandel auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssten wir erhebliche Mengen an CO2 wieder aus der Atmosphäre rausholen. Und die Menge an CO2-Emissionen, die noch in die Atmosphäre gelangen darf, die ist einfach zu gering, und wir kommen nicht schnell genug mit den globalen Treibhausgasemissionen runter. Und die überschüssigen Emissionen eben, die müssten wir dann quasi von der Atmosphäre leihen und später wieder durch den Entzug von CO2 zurückzahlen. Deswegen müssen wir über solche Technologien nachdenken. Und im Übrigen, auch beim Zwei-Grad-Ziel wird es knapp. Nur, wenn wir da mit schnellen und umfangreichen Emissionseinsparungen heute voranschreiten würden, könnten wir die Abhängigkeit von CO2-Entnahmetechnologie noch stark begrenzen, vielleicht sogar auf Null. Dafür bedürfte es allerdings einer sehr beherzten Klimaschutzpolitik auf der ganzen Welt, und auch in Deutschland müssten wir kräftig nachlegen. Leider sehen wir das nicht, und somit wächst unsere Abhängigkeit von CO2-Entnahmetechnologien weiter, und wir müssen uns mit ihnen beschäftigen.
    Problem der internationalen Kooperation
    Krauter: Besteht denn aber nicht die Gefahr, dass wenn man über solche Technologien für negative CO2-Emissionen spricht, in Politik und Öffentlichkeit vielleicht der Eindruck entsteht, na ja, wir können weiterhin Klimaschutz auf Sparflamme betreiben, weil die Klimaingenieure der Zukunft, die werden es dann schon richten?
    Minx: Ich bin gerade an einer Konferenz zu negativen Emissionen, und da wird diese Frage heiß diskutiert. Ich persönlich bin der Meinung, dass der Klimaschutz immer noch nicht daran hapert, dass Leute auf negative Emissionen setzen, sondern dass wir das Problem der internationalen Kooperation nicht gelöst kriegen. Wir sind jetzt in einer Situation, wo wir über solche Technologien nachdenken müssen, und ich glaube, wir können uns das einfach nicht leisten, das nicht zu tun.
    Krauter: Dann werden wir konkreter – welche Technologien genau haben Sie sich jetzt vorgenommen, um CO2 aus der Atmosphäre zu fischen? Welche Optionen wären da überhaupt denkbar, um so was im großen Stil zu tun?
    Minx: Es ist ganz wichtig, dass einem klar wird, dass es da ganz verschiedene Verfahren gibt und auch manche Verfahren, die wir jetzt erst mal gar nicht als CO2-Entnahme erst mal abspeichern würden, wie zum Beispiel Aufforstungsprogramme, bei denen ja die Bäume durch die Photosynthese im Lauf ihres Wachstums der Atmosphäre CO2 entziehen. Es gibt dann aber auch technologische Lösungen, wie zum Beispiel die Kombination von Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -einlagerung. Da nimmt die Biomasse wiederum das CO2 aus der Luft auf. Es wird dann wieder bei der Verfeuerung in Kraftwerken freigesetzt, aber sofort wieder abgefangen und dann im Boden eingelagert. Andere, chemische Verfahren filtern das CO2 direkt aus der Luft und lagern es dann ein. Das ist so die technologische Bandbreite, die eben von typischen landbasierten Klimaschutzmaßnahmen bis hin zu industriellen Verfahren reicht.
    Verschiedene Lösungsansätze
    Krauter: Wie sind Sie jetzt vorgegangen, um das aktuelle und künftige Potenzial dieser verschiedenen Ansätze auszuloten? Weil darum geht es ja letztlich in Ihrer Studie, zu sagen, was vielleicht möglich und sinnvoll wäre.
    Minx: Genau. Es ist eben ganz wichtig, auch gerade mit Blick auf die Berichte des Weltklimarats und ähnlicher Organisationen, dass wir in der Wissenschaft versuchen, den wissenschaftlichen Sachstand zu ermitteln, und das auf eine transparente Art und Weise. Wir haben uns somit ein methodisch transparentes und systematisches Verfahren ausgedacht, um sicherzustellen, dass wir eben die Literatur umfassend auswerten, und sind dann in die einzelnen Studien reingegangen und haben versucht, eben diese verschiedenen Potenziale zusammenzutragen und diese dann eben zu bewerten.
    Krauter: Und was, würden Sie sagen, sind die drei wichtigsten Ergebnisse Ihrer Analyse?
    Minx: Zuerst mal würde ich sagen, dass unsere Studie zeigt, dass es verschiedene Technologien gibt, die relevante Mengen an CO2 der Atmosphäre entnehmen können. Die einzige Ausnahme stellt wirklich die Ozeandüngung dar. Jedoch unterscheiden sich die Technologien bezüglich Kosten, Risiken, Entwicklungsstand oder der Reversibilität der Speicherung. Das bedeutet, wie sicher wir das CO2 langfristig binden oder einlagern können.
    Sechs Vorschläge für Negative Emissionen
    Negative Emissionen, aber wie? Sechs Vorschläge (Mercantor Institut)
    Krauter: Wenn man Bäume aufforstet, können die auch schnell wieder abgeholzt werden. Also das muss nicht unbedingt eine langfristige Maßnahme sein?
    Minx: Ganz genau. Und wenn wir auf solche Programme setzen, müssten wir eben uns darüber Gedanken machen, wie das gesichert werden kann. Und so ganz kann es natürlich nicht gesichert werden. Bei anderen Verfahren, wenn wir geologisch das CO2 speichern, sieht es natürlich anders aus, solange man die Leckageprobleme in den Griff bekommt. Und was für uns sehr schnell klar wurde: Es gibt nicht die eine Wunderwaffe, sondern wir müssen über intelligente Technologieportfolios nachdenken, und dazu gibt es leider noch zu wenig wissenschaftliche Arbeiten, also wie wir ein Portfolio aus verschiedenen Technologien zusammenstellen können, das Sinn macht vor dem Hintergrund von Entwicklungsstand und eben diesen anderen Aspekten, die ich genannt habe.
    Krauter: Das heißt, die Folgerung/Forderung aus Ihrer Arbeit an die künftige Klimapolitik wäre, die Forschung und Entwicklung in diesem Bereich der Technologieentwicklung stärker zu fördern?
    Minx: Für die Technologien, die eben noch nicht so weit sind, auf jeden Fall. Im Bereich der Innovation und Markteinführung existiert für einige durchaus wichtige Technologien eine große Lücke. Wenn CO2-Entnahmetechnologien tatsächlich in dem Maßstab eingesetzt werden sollen, wie wir das in vielen Klimaschutzszenarien sehen, dann müssten wir in den Bereich Innovation, Markteinführung, Marktpenetration schon viel weiter fortgeschritten sein. Aber die Dringlichkeit spiegelt sich weder in der wissenschaftlichen Literatur noch im politischen Diskurs wider. Hier muss sehr viel mehr getan werden. Dazu gehört auch eine offene Debatte über die Chancen und Risiken dieser Technologien. Uns läuft einfach die Zeit davon.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.