Jochen Spengler: Teile des deutschen Traditionskonzerns Siemens stecken in der Krise. Der Konzern wird umgebaut. 5400 Arbeitsplätze werden gestrichen. Von den Angestellten, die bleiben dürfen, werden Einschnitte beim Gehalt verlangt. Der Aufsichtsrat aber hat den für die Krise mitverantwortlichen Vorstandsmitgliedern eine Gehaltserhöhung von 30 Prozent genehmigt. Die neue Veröffentlichungspflicht für Manager-Gehälter hat da offenbar gar nicht abschreckend gewirkt.
Die Politik ist empört. Saarlands Ministerpräsident Peter Müller sagt "verwerflich und geschmacklos". "Instinktlos" sagt SPD-Fraktionschef Peter Struck. Am Telefon ist der Unternehmer Ulrich Hemel, der außerdem noch Professor für Katholische Theologie an der Uni Regensburg ist und Publizist. Ein Buch von ihm lautet "Wert und Werte. Ethik für Manager". Guten Morgen, Herr Hemel!
Ulrich Hemel: Guten Morgen, Herr Spengler!
Spengler: Herr Hemel, es sieht so aus, als hätten die Siemens-Manager ihren Leitfaden nicht gelesen?
Hemel: Vielleicht haben sie ihn ja gelesen, denn vom Bücher lesen allein kommen sie ja nicht zum richtigen Handeln.
Spengler: Finden Sie denn eine solche Gehaltserhöhung von 30 Prozent ethisch in Ordnung?
Hemel: 30 Prozent ist ein sehr starker Anstieg. Wenn Sie die Sachen betrachten, dann glaube ich, sollte man sich immer erst mal die Dinge aus der Nähe betrachten, um zu einem guten Urteil zu kommen. Wenn Sie sich der Sichtweise der Manager zu Eigen machen würden, dann würden Sie sagen, wir haben sehr hart gearbeitet. Wir haben die Krise nicht verursacht. Die war schon da, als das neue Führungsteam kam. Für unsere Gehälter ist der Aufsichtsrat verantwortlich. Und wie jeder das so macht: Mein Nachbar hat ein schöneres Auto. Dann würden Sie sagen, andere Dax-Unternehmensvorstände verdienen deutlich mehr, und dieses Argument ist sogar richtig. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist eben doch die, dass in einer Bevölkerung, wo viele Menschen doch erheblich mit ihrer Existenz zu kämpfen haben, die Sensibilität für einen so starken Anstieg dann eben doch nicht gegeben ist.
Spengler: Ich habe noch mal nachgelesen. Es wird argumentiert, der Siemens-Chef Klaus Kleinfeld bringe es nur auf ein Drittel des Gehaltes von Josef Ackermann, dem Deutsche-Bank-Chef. Das sind also nur armselige 3,2 Millionen Euro im Jahr. Wenn man mal überlegt, dass das Durchschnittseinkommen im Monat in Deutschland 2500 Euro brutto beträgt, sind da die Maßstäbe verrückt?
Hemel: Die Bezahlung der Manager erfolgt ja nach Marktüberlegungen und zwar im internationalen Vergleich. Das wird auch immer herangezogen. Das ist auch die eine Seite, die man durchaus sehen muss. Ich glaube nicht, dass man sein eigenes Gehalt mit dem Gehalt von Ackermann vergleichen muss. Das ist meiner Meinung nach eine Übertreibung. Man muss auch nicht nur gewissermaßen die andere Seite sehen und sagen, der Manager soll nicht mehr verdienen dürfen als andere Leute. Sie haben tatsächlich ein hohes Maß an Druck und ein hohes Maß an Verantwortung, dem sie teilweise gerecht werden, teilweise nicht. Aber die Frage ist doch die: Wie gehen wir in der Gesellschaft mit Gleichheit und mit Ungleichheit um und wie zeigen wir, dass Menschen, die Verantwortung haben in einem Unternehmen, eben auch solidarisch sind mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die sie führen? Da ist einfach tatsächlich ein Problem nicht nur in der Kommunikation, sondern eben auch im Handeln.
Spengler: Das heißt, Sie würden schon sagen, in der jetzigen Situation, in der Siemens steckt, in der Leute entlassen werden, ist das ein hartes Ding mit den 30 Prozent?
Hemel: Das ist hart, weil: Sie können es den Menschen einfach nicht vermitteln. Wenn jemand wirklich Angst haben muss, dass sein Arbeitsplatz verloren geht, wenn jemand zu Lohnzugeständnissen bereit ist von Gehältern, die vielleicht nicht ganz so üppig sind, dann ist es kein sehr sinnvolles und sensibles Zeichen, wenn da gleich 30 Prozent draufkommen.
Spengler: Sie sind ja nun selbst Unternehmer. Sie waren Unternehmensberater. Was geht denn in den Köpfen von diesen Managern vor? Womit erklären Sie sich so einen Abstand zu den Millionen Menschen in unserem Land?
Hemel: Die vergleichen sich halt, wie ich gesagt habe. Sie haben ein Auto und ihr Nachbar hat auch ein Auto. Was machen Sie? Sie sagen, oh, mein Auto ist viel neuer, ist viel schöner, ist viel größer. Oder mein Auto ist zu alt und zu klein, ich brauche ein neues. In Wirklichkeit arbeite ich doch viel besser als mein Nachbar. Dieser ganz normale menschliche Vergleich, der trifft natürlich bei den Managern auch zu. Die sagen, ja Moment mal, in Deutschland wir verdienen ja viel weniger als irgendwelche Unternehmenschefs in den USA. Da sind die Verhältnisse natürlich auch noch mal anders.
Spengler: Aber ihnen muss doch täglich vor Augen stehen, dass sie sehr, sehr viel mehr verdienen als die meisten Menschen bei uns hier?
Hemel: Ja, das ist richtig. Dann gibt es noch einen zweiten Punkt, der oft vergessen wird. Auch die Manager haben ja oft Familie, und sie leisten so viel, dass das Gleichgewicht des Lebens da manchmal aus den Fugen gerät.
Spengler: Was meinen Sie damit?
Hemel: Damit meine ich, dass dann irgendwann gewissermaßen die Familie sagt, na ja, wenn du schon nie da bist, dann wollen wir wenigstens, was weiß ich, die Zweitvilla irgendwo dort und dort. Ich übertreibe jetzt ein bisschen, aber auch dieses Thema "work life balance" spielt eine ganz große Rolle. Ich habe das gestern gehört. Da hat ein Unternehmensberater in einer sehr namhaften Beratung gesagt, okay, ich möchte als Projektleiter meinen Kunden sagen, wir arbeiten abends nur bis neun Uhr. Normalerweise arbeitet sowieso keiner bis neun Uhr abends, aber in bestimmten Zweigen ist es tatsächlich so, dass die Leute fast rund um die Uhr erreichbar sind und arbeiten. Da kommt natürlich auch das Familienleben zu kurz. Dann kommt natürlich der Anspruch, wenn ich schon gar kein Privatleben habe, dann möchte ich wenigstens in Geld hochkompensiert werden. Ob das eine gesunde Entwicklung ist, ist eine ganz andere Frage. Ich glaube sehr wohl, dass hier ein Stück Balance richtig ist.
Spengler: Es spricht viel für so eine Art Realitätsverlust, wenn man die Wirtschaftsmanager sich anguckt. Aber diesen Realitätsverlust, den stellt man in dieser Woche auch bei unseren Politikern fest, zum Beispiel wenn sie noch eine Niederlage wie in Schwerin, wie in Berlin am Wochenanfang als Sieg umdeuten, oder wenn sie immer noch die Gesundheitsreform als der Weisheit letzter Schluss darstellen. Womit erklären Sie sich das?
Hemel: Ich glaube, die Abgehobenheit der Politiker von vielen Menschen ist vielleicht noch größer als bei den Wirtschaftsleuten, und zwar nicht, weil sie nicht Kontakt mit den Leuten hätten, sondern weil sie zunehmend die Realität einfach verleugnen. Natürlich, wenn sie frisch verliebt sind, werden sie sagen, die Frau, die ich mir gesucht habe, ist wirklich die allerschönste der Welt. Ich verstehe gar nicht, dass sie nicht Miss World geworden ist und so weiter. Sie haben einfach eine rosarote Brille auf. Politiker machen es sich zur Angewohnheit, die ihnen verfügbaren Tatsachen mit einer rosaroten Brille zu sehen. Die Folge davon ist, dass sie einfach die Bevölkerung verlieren, dass sie nicht mehr ankommen, dass sie eine Distanz schaffen zwischen dem, was sie tun, und dem, was sie machen, und dem, was die Leute überhaupt aufnehmen können. Das ist enorm gefährlich, weil die Leute sich am Ende auf den Arm genommen fühlen. Sie fühlen sich nicht ernst genommen, und sie sagen, wir gehen einfach gar nicht mehr wählen. Wenn sie das tun, dann haben sie natürlich auch ein Problem in der politischen Kultur eines Landes.
Spengler: Das erleben wir ja auch schon, dass die Wahlbeteiligung sinkt und sinkt und sinkt. Es scheint nur keinen zu kümmern. Fürchten Sie nicht um die Legitimität am Ende von sozialer Marktwirtschaft und Demokratie?
Hemel: Ich fürchte darum. Deswegen setze ich mich da persönlich sehr stark ein. Ich glaube, dass die soziale Marktwirtschaft viel zu bieten hat. Ich glaube auch, dass wir von einer Neiddiskussion in unserem Land wegkommen sollten. Das gibt es ja auch bei uns. Aber auf der anderen Seite: Wir haben ein Modell, wenn wir sagen, wir wollen eben die Menschen mitnehmen. Wir wollen eben nicht nur Markt pur, denn Markt pur heißt, sie sagen zu einer Schildkröte oder einem Affen, wer zuerst auf den Baum herauf kommt, der hat die Kokosnuss gewonnen. – wunderbar. Soziale Marktwirtschaft heißt eben auch, Rahmenbedingungen zu setzen und Spielregeln zu setzen, an die die Menschen sich halten müssen.
Spengler: Haben Sie einen Vorschlag, wie zum Beispiel eine Einkommensschere nicht weiter noch auseinander geht, als sie ohnehin schon auseinander gegangen ist?
Hemel:! Ja. Ich glaube wir leiden teilweise noch an einem sehr bürokratischen Staat. Ich möchte nur ein einziges Beispiel bringen. Wir diskutieren gerade über Mindestlöhne. Hört sich erst mal wahnsinnig verständlich an, ist aber ein Riesenproblem. Denn die Folge davon wird automatisch sein, dass Arbeitsplätze ins Ausland abwandern. Wir können das verhindern. Wenn beispielsweise die Arbeit, etwas zu verpacken, einfach in Kartons zu bringen, wen ich die in Tschechien für drei Euro bekomme, werde ich in Deutschland nicht zehn Euro, acht Euro bezahlen. Das heißt wenn eine Arbeit beispielsweise auf dem Markt für drei Euro angeboten wird - und der Markt bildet sich da eben schon -, dann müssen wir als Gesellschaft sagen, nicht wir prüfen jetzt, ob die Tante noch etwas auf dem Sparbuch hat, oder ob Kinder da sind, die unterhaltspflichtig sind, oder, oder, sondern wir sagen, du verdienst der Euro, wir entscheiden als Gesellschaft, unser Lebensstandard fängt an bei zehn Euro - und wir können uns das leisten, weil wir immer noch eine reiche Gesellschaft sind. Also wir zahlen eine negative Einkommenssteuer. Auf Deutsch: Wir bezahlen etwas drauf. Du zahlst keine Steuer, sondern du bekommst ein Steuerguthaben zurück, auf die drei Euro zum Beispiel fünf Euro drauf. Damit würden wir sehr viele bürokratische Probleme lösen, und wir geben den Menschen auch die Würde für die Arbeit zurück.
Spengler: Das war der Unternehmer Ulrich Hemel, außerdem Professor für Katholische Theologie an der Uni Regensburg. Herr Hemel, herzlichen Dank für das Gespräch.
Hemel: Danke.
Die Politik ist empört. Saarlands Ministerpräsident Peter Müller sagt "verwerflich und geschmacklos". "Instinktlos" sagt SPD-Fraktionschef Peter Struck. Am Telefon ist der Unternehmer Ulrich Hemel, der außerdem noch Professor für Katholische Theologie an der Uni Regensburg ist und Publizist. Ein Buch von ihm lautet "Wert und Werte. Ethik für Manager". Guten Morgen, Herr Hemel!
Ulrich Hemel: Guten Morgen, Herr Spengler!
Spengler: Herr Hemel, es sieht so aus, als hätten die Siemens-Manager ihren Leitfaden nicht gelesen?
Hemel: Vielleicht haben sie ihn ja gelesen, denn vom Bücher lesen allein kommen sie ja nicht zum richtigen Handeln.
Spengler: Finden Sie denn eine solche Gehaltserhöhung von 30 Prozent ethisch in Ordnung?
Hemel: 30 Prozent ist ein sehr starker Anstieg. Wenn Sie die Sachen betrachten, dann glaube ich, sollte man sich immer erst mal die Dinge aus der Nähe betrachten, um zu einem guten Urteil zu kommen. Wenn Sie sich der Sichtweise der Manager zu Eigen machen würden, dann würden Sie sagen, wir haben sehr hart gearbeitet. Wir haben die Krise nicht verursacht. Die war schon da, als das neue Führungsteam kam. Für unsere Gehälter ist der Aufsichtsrat verantwortlich. Und wie jeder das so macht: Mein Nachbar hat ein schöneres Auto. Dann würden Sie sagen, andere Dax-Unternehmensvorstände verdienen deutlich mehr, und dieses Argument ist sogar richtig. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist eben doch die, dass in einer Bevölkerung, wo viele Menschen doch erheblich mit ihrer Existenz zu kämpfen haben, die Sensibilität für einen so starken Anstieg dann eben doch nicht gegeben ist.
Spengler: Ich habe noch mal nachgelesen. Es wird argumentiert, der Siemens-Chef Klaus Kleinfeld bringe es nur auf ein Drittel des Gehaltes von Josef Ackermann, dem Deutsche-Bank-Chef. Das sind also nur armselige 3,2 Millionen Euro im Jahr. Wenn man mal überlegt, dass das Durchschnittseinkommen im Monat in Deutschland 2500 Euro brutto beträgt, sind da die Maßstäbe verrückt?
Hemel: Die Bezahlung der Manager erfolgt ja nach Marktüberlegungen und zwar im internationalen Vergleich. Das wird auch immer herangezogen. Das ist auch die eine Seite, die man durchaus sehen muss. Ich glaube nicht, dass man sein eigenes Gehalt mit dem Gehalt von Ackermann vergleichen muss. Das ist meiner Meinung nach eine Übertreibung. Man muss auch nicht nur gewissermaßen die andere Seite sehen und sagen, der Manager soll nicht mehr verdienen dürfen als andere Leute. Sie haben tatsächlich ein hohes Maß an Druck und ein hohes Maß an Verantwortung, dem sie teilweise gerecht werden, teilweise nicht. Aber die Frage ist doch die: Wie gehen wir in der Gesellschaft mit Gleichheit und mit Ungleichheit um und wie zeigen wir, dass Menschen, die Verantwortung haben in einem Unternehmen, eben auch solidarisch sind mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die sie führen? Da ist einfach tatsächlich ein Problem nicht nur in der Kommunikation, sondern eben auch im Handeln.
Spengler: Das heißt, Sie würden schon sagen, in der jetzigen Situation, in der Siemens steckt, in der Leute entlassen werden, ist das ein hartes Ding mit den 30 Prozent?
Hemel: Das ist hart, weil: Sie können es den Menschen einfach nicht vermitteln. Wenn jemand wirklich Angst haben muss, dass sein Arbeitsplatz verloren geht, wenn jemand zu Lohnzugeständnissen bereit ist von Gehältern, die vielleicht nicht ganz so üppig sind, dann ist es kein sehr sinnvolles und sensibles Zeichen, wenn da gleich 30 Prozent draufkommen.
Spengler: Sie sind ja nun selbst Unternehmer. Sie waren Unternehmensberater. Was geht denn in den Köpfen von diesen Managern vor? Womit erklären Sie sich so einen Abstand zu den Millionen Menschen in unserem Land?
Hemel: Die vergleichen sich halt, wie ich gesagt habe. Sie haben ein Auto und ihr Nachbar hat auch ein Auto. Was machen Sie? Sie sagen, oh, mein Auto ist viel neuer, ist viel schöner, ist viel größer. Oder mein Auto ist zu alt und zu klein, ich brauche ein neues. In Wirklichkeit arbeite ich doch viel besser als mein Nachbar. Dieser ganz normale menschliche Vergleich, der trifft natürlich bei den Managern auch zu. Die sagen, ja Moment mal, in Deutschland wir verdienen ja viel weniger als irgendwelche Unternehmenschefs in den USA. Da sind die Verhältnisse natürlich auch noch mal anders.
Spengler: Aber ihnen muss doch täglich vor Augen stehen, dass sie sehr, sehr viel mehr verdienen als die meisten Menschen bei uns hier?
Hemel: Ja, das ist richtig. Dann gibt es noch einen zweiten Punkt, der oft vergessen wird. Auch die Manager haben ja oft Familie, und sie leisten so viel, dass das Gleichgewicht des Lebens da manchmal aus den Fugen gerät.
Spengler: Was meinen Sie damit?
Hemel: Damit meine ich, dass dann irgendwann gewissermaßen die Familie sagt, na ja, wenn du schon nie da bist, dann wollen wir wenigstens, was weiß ich, die Zweitvilla irgendwo dort und dort. Ich übertreibe jetzt ein bisschen, aber auch dieses Thema "work life balance" spielt eine ganz große Rolle. Ich habe das gestern gehört. Da hat ein Unternehmensberater in einer sehr namhaften Beratung gesagt, okay, ich möchte als Projektleiter meinen Kunden sagen, wir arbeiten abends nur bis neun Uhr. Normalerweise arbeitet sowieso keiner bis neun Uhr abends, aber in bestimmten Zweigen ist es tatsächlich so, dass die Leute fast rund um die Uhr erreichbar sind und arbeiten. Da kommt natürlich auch das Familienleben zu kurz. Dann kommt natürlich der Anspruch, wenn ich schon gar kein Privatleben habe, dann möchte ich wenigstens in Geld hochkompensiert werden. Ob das eine gesunde Entwicklung ist, ist eine ganz andere Frage. Ich glaube sehr wohl, dass hier ein Stück Balance richtig ist.
Spengler: Es spricht viel für so eine Art Realitätsverlust, wenn man die Wirtschaftsmanager sich anguckt. Aber diesen Realitätsverlust, den stellt man in dieser Woche auch bei unseren Politikern fest, zum Beispiel wenn sie noch eine Niederlage wie in Schwerin, wie in Berlin am Wochenanfang als Sieg umdeuten, oder wenn sie immer noch die Gesundheitsreform als der Weisheit letzter Schluss darstellen. Womit erklären Sie sich das?
Hemel: Ich glaube, die Abgehobenheit der Politiker von vielen Menschen ist vielleicht noch größer als bei den Wirtschaftsleuten, und zwar nicht, weil sie nicht Kontakt mit den Leuten hätten, sondern weil sie zunehmend die Realität einfach verleugnen. Natürlich, wenn sie frisch verliebt sind, werden sie sagen, die Frau, die ich mir gesucht habe, ist wirklich die allerschönste der Welt. Ich verstehe gar nicht, dass sie nicht Miss World geworden ist und so weiter. Sie haben einfach eine rosarote Brille auf. Politiker machen es sich zur Angewohnheit, die ihnen verfügbaren Tatsachen mit einer rosaroten Brille zu sehen. Die Folge davon ist, dass sie einfach die Bevölkerung verlieren, dass sie nicht mehr ankommen, dass sie eine Distanz schaffen zwischen dem, was sie tun, und dem, was sie machen, und dem, was die Leute überhaupt aufnehmen können. Das ist enorm gefährlich, weil die Leute sich am Ende auf den Arm genommen fühlen. Sie fühlen sich nicht ernst genommen, und sie sagen, wir gehen einfach gar nicht mehr wählen. Wenn sie das tun, dann haben sie natürlich auch ein Problem in der politischen Kultur eines Landes.
Spengler: Das erleben wir ja auch schon, dass die Wahlbeteiligung sinkt und sinkt und sinkt. Es scheint nur keinen zu kümmern. Fürchten Sie nicht um die Legitimität am Ende von sozialer Marktwirtschaft und Demokratie?
Hemel: Ich fürchte darum. Deswegen setze ich mich da persönlich sehr stark ein. Ich glaube, dass die soziale Marktwirtschaft viel zu bieten hat. Ich glaube auch, dass wir von einer Neiddiskussion in unserem Land wegkommen sollten. Das gibt es ja auch bei uns. Aber auf der anderen Seite: Wir haben ein Modell, wenn wir sagen, wir wollen eben die Menschen mitnehmen. Wir wollen eben nicht nur Markt pur, denn Markt pur heißt, sie sagen zu einer Schildkröte oder einem Affen, wer zuerst auf den Baum herauf kommt, der hat die Kokosnuss gewonnen. – wunderbar. Soziale Marktwirtschaft heißt eben auch, Rahmenbedingungen zu setzen und Spielregeln zu setzen, an die die Menschen sich halten müssen.
Spengler: Haben Sie einen Vorschlag, wie zum Beispiel eine Einkommensschere nicht weiter noch auseinander geht, als sie ohnehin schon auseinander gegangen ist?
Hemel:! Ja. Ich glaube wir leiden teilweise noch an einem sehr bürokratischen Staat. Ich möchte nur ein einziges Beispiel bringen. Wir diskutieren gerade über Mindestlöhne. Hört sich erst mal wahnsinnig verständlich an, ist aber ein Riesenproblem. Denn die Folge davon wird automatisch sein, dass Arbeitsplätze ins Ausland abwandern. Wir können das verhindern. Wenn beispielsweise die Arbeit, etwas zu verpacken, einfach in Kartons zu bringen, wen ich die in Tschechien für drei Euro bekomme, werde ich in Deutschland nicht zehn Euro, acht Euro bezahlen. Das heißt wenn eine Arbeit beispielsweise auf dem Markt für drei Euro angeboten wird - und der Markt bildet sich da eben schon -, dann müssen wir als Gesellschaft sagen, nicht wir prüfen jetzt, ob die Tante noch etwas auf dem Sparbuch hat, oder ob Kinder da sind, die unterhaltspflichtig sind, oder, oder, sondern wir sagen, du verdienst der Euro, wir entscheiden als Gesellschaft, unser Lebensstandard fängt an bei zehn Euro - und wir können uns das leisten, weil wir immer noch eine reiche Gesellschaft sind. Also wir zahlen eine negative Einkommenssteuer. Auf Deutsch: Wir bezahlen etwas drauf. Du zahlst keine Steuer, sondern du bekommst ein Steuerguthaben zurück, auf die drei Euro zum Beispiel fünf Euro drauf. Damit würden wir sehr viele bürokratische Probleme lösen, und wir geben den Menschen auch die Würde für die Arbeit zurück.
Spengler: Das war der Unternehmer Ulrich Hemel, außerdem Professor für Katholische Theologie an der Uni Regensburg. Herr Hemel, herzlichen Dank für das Gespräch.
Hemel: Danke.