In Famagusta, im türkischen Nordteil, begrüße ich nun den Politikwissenschaftler Hannes Lacher. Guten Morgen Herr Professor Lacher.
Hannes Lacher: Guten Morgen.
Koczian: Wie aufgeheizt ist denn die Stimmung?
Lacher: Ja, im Süden schon sehr, sehr aufgeheizt. Im Norden ist es relativ ruhig. Es gab ein paar Angriffe von den "Grauen Wölfen", die aus der Türkei gekommen sind für diese Volksabstimmung. Aber eigentlich ziemlich ruhig, obwohl für die türkischen Zyprioten, mehr auf dem Spiel steht, als für die Griechen.
Koczian: Können Sie uns die absurde Situation erklären, die Türken sagen "Ja", die Griechen sagen "Nein". Als Folge davon treten nur die griechischen Zyprioten der EU bei. Warum sollten diese dann mit "Ja" stimmen?
Lacher: Die griechischen Zyprioten haben lange das Ziel verfolgt, über die EU-Mitgliedschaft Druck auf die türkischen Zyprioten auszuüben, dass die letztendlich "Ja" sagen. Tatsächlich war auch im Norden lange Zeit die dominante Stimmung eine klare Beharrung auf den Souveränitätsrechten des Nordens, bis letztendlich vor anderthalb Jahren immer größere Demonstrationen gegen diese Linie stattgefunden haben, dass sich die Opposition in Wahlen durchsetzen konnten, bis die Regierung gewechselt hat, jetzt über das letzte Jahr hinweg eine Politik verfolgt hat, die auf eine Vereinigung abgezielt hat. Das hat die Griechen sehr unvorbereitet getroffen. Sie haben lange damit gerechnet, dass sie die türkischen Zyprioten so stark unter Druck setzen könnten, dass sie letztendlich kapitulieren müssten und unter den Bedingungen der griechischen Zyprioten beitreten müssten. Das hat sich letztendlich nicht so ergeben. Die Verhandlungen mit der UNO haben den türkischen Zyprioten doch recht viele Rechte zugesprochen, und das ging den griechischen Zyprioten dann doch zu weit, denn die waren nicht wirklich darauf vorbereitet, solche Zugeständnisse machen zu müssen.
Koczian: Wie sicher ist es denn, dass es zu einem "Nein" der griechischen Zyprioten kommt? Ist das eine Befürchtung oder eine begründete Annahme?
Lacher: Das ist schon fast garantiert. Die Meinungsumfragen standen vor drei Wochen bei 85 bis 90 Prozent Ablehnung. Inzwischen sind es noch 60 Prozent. Aber die Befürwortungsrate ist weiterhin sehr gering. Es ist wirklich kaum davon auszugehen, dass es da noch zum "Ja" kommen wird. Es könnte dazu führen, dass in einem halben Jahr noch mal das Referendum auf der griechischen Seite wiederholt werden müsste. Spekulationen in diese Richtung gibt es. Es könnte durchaus sein, dass sich die Stimmung bis dahin gewandelt hat auf der griechischen Seite. Aber nur, wenn es klar werden sollte, dass die Griechen ihre EU-Mitgliedschaft nicht in weitere Verhandlungserfolge ummünzen könnten, und wenn es auch klar werden sollte, dass die EU und die UNO eine neue Politik gegenüber dem Nordteil verfolgen würde.
Koczian: EU-Kommissar Günther Verheugen fühlt sich von der Regierung in Nicosia getäuscht. Hat er sich getäuscht, oder ist er wirklich getäuscht worden?
Lacher: Ich glaube, da ist auch sehr viel Selbsttäuschung auf der griechischen Seite gewesen. Die Griechen haben immer gesagt, sie wollen eine Lösung des Problems, aber zu ihren eigenen Bedingungen. Die Begriffe, die sie immer verwendet haben, die auch bei der internationalen Gemeinschaft immer gut angekommen sind, die territoriale Integrität, die Menschenrechte und so weiter. Was die Griechen vergessen haben bei alledem war, dass die Türken auch gewisse, legitime Beschwerden hatten und eben auch das Recht auf Anerkennung ihrer Sicherheitsbedürfnisse und dass letztendlich ein Kompromiss dastehen müsste. Ich glaube, die Griechen waren sich dessen nicht bewusst und sind von der ganzen Situation überrascht worden. Bis vor Kurzem noch haben sie damit gerechnet, dass die Türkei letztendlich doch alles blockieren würde. Sie sind davon selbst überrascht worden. Ein großes Problem ist, dass die Griechen sich über die letzten dreißig Jahre nicht ihrer eigenen Verantwortung für diese Situation, die in Zypern besteht, bewusst geworden sind und dass sie nicht wirklich bereit sind, den Bedarf an Sicherheit und Gleichberechtigung der türkischen Zyprioten anzuerkennen.
Koczian: Nun war ja unter dem legendären Erzbischof Makarios der Anschluss an Griechenland ein starker Trend bei den griechischen Zypern. Nun hätten sie diese ja im Rahmen der EU, also eine gemeinsame übernationale Staatlichkeit. Warum hat dieser Punkt an Gewicht verloren?
Lacher: Das hat sich schon längst verflüchtigt. Das ist auch nicht mehr die politische Bestrebung auf der griechischen Seite. Die Mitgliedschaft innerhalb der EU ist gesichert für die Griechen, und es wird weitgehend als problematisch angesehen, wenn nun diese Vereinigung stattfinden sollte, in einer Form, die den ganzen Staat praktisch den Türken öffnen würde, ihnen einen Anteil an politischem System verschaffen würde. Es war nicht geplant, dass die Vereinigung in dieser Form stattfinden würde.
Koczian: Es hat ja eine Grenzöffnung gegeben. Jedenfalls in Fernsehbildern hat man Türken und Griechen durchaus freundschaftlich miteinander umgehen gesehen. Kann nun diese Entwicklungen das wieder rückgängig machen?
Lacher: Das ist noch sehr schwer abzusehen. Es gibt Besorgnis, dass die Grenzen wieder geschlossen werden könnten. Das sehe ich im Moment nicht. Ich glaube, die Grenzöffnung war ja vor allen Dingen eine Entscheidung der türkischen Seite, und da gibt es eigentlich keinen guten Grund, diese Grenzöffnung wieder rückgängig zu machen.
Koczian: Fühlen sich die Zyprioten eigentlich fremdbestimmt? Die Türken von Ankara, die Griechen von Athen?
Lacher: Die Türken haben sich schon für einige Zeit fremdbestimmt gefühlt, und das war auch einer der Gründe, warum sie sich letztendlich zu dieser Vereinigungspolitik gewendet haben. Es waren nicht nur Gründe, wie Wohlstand, wie oft behauptet wird, es war auch das Gefühl nicht im eigenen Haus zu sein. Auf der griechischen Seite ist die Anlehnung an Griechenland schon sehr deutlich. Es werden überall die griechischen Flaggen geschwungen und so weiter, aber bestimmt wird das politische Leben nicht aus Griechenland. Das ist ja auch ganz eindeutig jetzt zu sehen, wo die griechische Regierung durchaus für die Vereinigung wäre und darauf drängt, den UNO-Plan anzunehmen, wenn es die griechischen Zyprioten sind. Die griechisch-zypriotische Regierung, die nun klar und deutlich die Ablehnung bestimmt.
Koczian: Spielt denn der Imageverlust eine Rolle? Bislang galt ja die griechisch-zyprische Regierung als die einzig legitime und der türkische Teil als Ergebnis einer rechtswidrigen Intervention. Das Bild wäre ja hinfällig.
Lacher: Das wäre hinfällig, aber ich weiß nicht, ob das den griechischen Zyprioten so bewusst ist, dass das die Konsequenz wäre. Die türkischen Zyprioten sind dementsprechend optimistisch, dass selbst bei einem "Nein" der griechischen Seite und selbst, wenn die Vereinigung jetzt nicht stattfinden würde, dass das eben zu einem deutlichen Imagegewinn und auch zu einem politischen Gewinn auf ihrer Seite führen würde.
Koczian: Letzte Frage: Wie viel Verantwortung trägt eigentlich die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien an der Teilung zum Beispiel?
Lacher: An der Teilung trägt sie eine sehr große Verantwortung. Sie hat klar eine klassische koloniale Strategie verfolgt, die sehr stark die Volksgruppen gegeneinander aufgehetzt hat. Aber über die letzten Jahre hat die britische Regierung eine sehr konstruktive Rolle hier gespielt, die viel dazu beigetragen hat, dass wir überhaupt jetzt diese Referenda haben.
Koczian: Soweit der Politologe Hannes Lacher von der Universität Famagusta auf Nord-Zypern. Dankeschön.
Hannes Lacher: Guten Morgen.
Koczian: Wie aufgeheizt ist denn die Stimmung?
Lacher: Ja, im Süden schon sehr, sehr aufgeheizt. Im Norden ist es relativ ruhig. Es gab ein paar Angriffe von den "Grauen Wölfen", die aus der Türkei gekommen sind für diese Volksabstimmung. Aber eigentlich ziemlich ruhig, obwohl für die türkischen Zyprioten, mehr auf dem Spiel steht, als für die Griechen.
Koczian: Können Sie uns die absurde Situation erklären, die Türken sagen "Ja", die Griechen sagen "Nein". Als Folge davon treten nur die griechischen Zyprioten der EU bei. Warum sollten diese dann mit "Ja" stimmen?
Lacher: Die griechischen Zyprioten haben lange das Ziel verfolgt, über die EU-Mitgliedschaft Druck auf die türkischen Zyprioten auszuüben, dass die letztendlich "Ja" sagen. Tatsächlich war auch im Norden lange Zeit die dominante Stimmung eine klare Beharrung auf den Souveränitätsrechten des Nordens, bis letztendlich vor anderthalb Jahren immer größere Demonstrationen gegen diese Linie stattgefunden haben, dass sich die Opposition in Wahlen durchsetzen konnten, bis die Regierung gewechselt hat, jetzt über das letzte Jahr hinweg eine Politik verfolgt hat, die auf eine Vereinigung abgezielt hat. Das hat die Griechen sehr unvorbereitet getroffen. Sie haben lange damit gerechnet, dass sie die türkischen Zyprioten so stark unter Druck setzen könnten, dass sie letztendlich kapitulieren müssten und unter den Bedingungen der griechischen Zyprioten beitreten müssten. Das hat sich letztendlich nicht so ergeben. Die Verhandlungen mit der UNO haben den türkischen Zyprioten doch recht viele Rechte zugesprochen, und das ging den griechischen Zyprioten dann doch zu weit, denn die waren nicht wirklich darauf vorbereitet, solche Zugeständnisse machen zu müssen.
Koczian: Wie sicher ist es denn, dass es zu einem "Nein" der griechischen Zyprioten kommt? Ist das eine Befürchtung oder eine begründete Annahme?
Lacher: Das ist schon fast garantiert. Die Meinungsumfragen standen vor drei Wochen bei 85 bis 90 Prozent Ablehnung. Inzwischen sind es noch 60 Prozent. Aber die Befürwortungsrate ist weiterhin sehr gering. Es ist wirklich kaum davon auszugehen, dass es da noch zum "Ja" kommen wird. Es könnte dazu führen, dass in einem halben Jahr noch mal das Referendum auf der griechischen Seite wiederholt werden müsste. Spekulationen in diese Richtung gibt es. Es könnte durchaus sein, dass sich die Stimmung bis dahin gewandelt hat auf der griechischen Seite. Aber nur, wenn es klar werden sollte, dass die Griechen ihre EU-Mitgliedschaft nicht in weitere Verhandlungserfolge ummünzen könnten, und wenn es auch klar werden sollte, dass die EU und die UNO eine neue Politik gegenüber dem Nordteil verfolgen würde.
Koczian: EU-Kommissar Günther Verheugen fühlt sich von der Regierung in Nicosia getäuscht. Hat er sich getäuscht, oder ist er wirklich getäuscht worden?
Lacher: Ich glaube, da ist auch sehr viel Selbsttäuschung auf der griechischen Seite gewesen. Die Griechen haben immer gesagt, sie wollen eine Lösung des Problems, aber zu ihren eigenen Bedingungen. Die Begriffe, die sie immer verwendet haben, die auch bei der internationalen Gemeinschaft immer gut angekommen sind, die territoriale Integrität, die Menschenrechte und so weiter. Was die Griechen vergessen haben bei alledem war, dass die Türken auch gewisse, legitime Beschwerden hatten und eben auch das Recht auf Anerkennung ihrer Sicherheitsbedürfnisse und dass letztendlich ein Kompromiss dastehen müsste. Ich glaube, die Griechen waren sich dessen nicht bewusst und sind von der ganzen Situation überrascht worden. Bis vor Kurzem noch haben sie damit gerechnet, dass die Türkei letztendlich doch alles blockieren würde. Sie sind davon selbst überrascht worden. Ein großes Problem ist, dass die Griechen sich über die letzten dreißig Jahre nicht ihrer eigenen Verantwortung für diese Situation, die in Zypern besteht, bewusst geworden sind und dass sie nicht wirklich bereit sind, den Bedarf an Sicherheit und Gleichberechtigung der türkischen Zyprioten anzuerkennen.
Koczian: Nun war ja unter dem legendären Erzbischof Makarios der Anschluss an Griechenland ein starker Trend bei den griechischen Zypern. Nun hätten sie diese ja im Rahmen der EU, also eine gemeinsame übernationale Staatlichkeit. Warum hat dieser Punkt an Gewicht verloren?
Lacher: Das hat sich schon längst verflüchtigt. Das ist auch nicht mehr die politische Bestrebung auf der griechischen Seite. Die Mitgliedschaft innerhalb der EU ist gesichert für die Griechen, und es wird weitgehend als problematisch angesehen, wenn nun diese Vereinigung stattfinden sollte, in einer Form, die den ganzen Staat praktisch den Türken öffnen würde, ihnen einen Anteil an politischem System verschaffen würde. Es war nicht geplant, dass die Vereinigung in dieser Form stattfinden würde.
Koczian: Es hat ja eine Grenzöffnung gegeben. Jedenfalls in Fernsehbildern hat man Türken und Griechen durchaus freundschaftlich miteinander umgehen gesehen. Kann nun diese Entwicklungen das wieder rückgängig machen?
Lacher: Das ist noch sehr schwer abzusehen. Es gibt Besorgnis, dass die Grenzen wieder geschlossen werden könnten. Das sehe ich im Moment nicht. Ich glaube, die Grenzöffnung war ja vor allen Dingen eine Entscheidung der türkischen Seite, und da gibt es eigentlich keinen guten Grund, diese Grenzöffnung wieder rückgängig zu machen.
Koczian: Fühlen sich die Zyprioten eigentlich fremdbestimmt? Die Türken von Ankara, die Griechen von Athen?
Lacher: Die Türken haben sich schon für einige Zeit fremdbestimmt gefühlt, und das war auch einer der Gründe, warum sie sich letztendlich zu dieser Vereinigungspolitik gewendet haben. Es waren nicht nur Gründe, wie Wohlstand, wie oft behauptet wird, es war auch das Gefühl nicht im eigenen Haus zu sein. Auf der griechischen Seite ist die Anlehnung an Griechenland schon sehr deutlich. Es werden überall die griechischen Flaggen geschwungen und so weiter, aber bestimmt wird das politische Leben nicht aus Griechenland. Das ist ja auch ganz eindeutig jetzt zu sehen, wo die griechische Regierung durchaus für die Vereinigung wäre und darauf drängt, den UNO-Plan anzunehmen, wenn es die griechischen Zyprioten sind. Die griechisch-zypriotische Regierung, die nun klar und deutlich die Ablehnung bestimmt.
Koczian: Spielt denn der Imageverlust eine Rolle? Bislang galt ja die griechisch-zyprische Regierung als die einzig legitime und der türkische Teil als Ergebnis einer rechtswidrigen Intervention. Das Bild wäre ja hinfällig.
Lacher: Das wäre hinfällig, aber ich weiß nicht, ob das den griechischen Zyprioten so bewusst ist, dass das die Konsequenz wäre. Die türkischen Zyprioten sind dementsprechend optimistisch, dass selbst bei einem "Nein" der griechischen Seite und selbst, wenn die Vereinigung jetzt nicht stattfinden würde, dass das eben zu einem deutlichen Imagegewinn und auch zu einem politischen Gewinn auf ihrer Seite führen würde.
Koczian: Letzte Frage: Wie viel Verantwortung trägt eigentlich die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien an der Teilung zum Beispiel?
Lacher: An der Teilung trägt sie eine sehr große Verantwortung. Sie hat klar eine klassische koloniale Strategie verfolgt, die sehr stark die Volksgruppen gegeneinander aufgehetzt hat. Aber über die letzten Jahre hat die britische Regierung eine sehr konstruktive Rolle hier gespielt, die viel dazu beigetragen hat, dass wir überhaupt jetzt diese Referenda haben.
Koczian: Soweit der Politologe Hannes Lacher von der Universität Famagusta auf Nord-Zypern. Dankeschön.