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Nein zu "Enduring Freedom"

Der stellvertretende Sprecher der Parlamentarischen Linken, Niels Annen (SPD), plädiert für ein Ende der deutschen Beteiligung am Afghanistaneinsatz "Enduring Freedom". Das ISAF- und OEF-Mandat solle jedoch fortgesetzt werden. Dies sei ein klares politisches Signal: "Auf der einen Seite stehen wir zu dem Stabilisierungsauftrag. Aber wir machen nicht alles mit, was die Amerikaner unter dem Anti-Terror-Mandat veranstalten."

Niels Annen im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan - kein Thema für den Bundestagswahlkampf. So will es zumindest die Große Koalition. Gestern der Kabinettsbeschluss. Nicht wie bisher um ein Jahr, sondern direkt um 14 Monate soll in der kommenden Woche der Bundestag der Verlängerung und Aufstockung des ISAF-Mandates zu 1000 Soldaten zustimmen. Doch im Parlament gibt es Kritik an der Afghanistan-Politik der Bundesregierung - nicht nur von der Opposition. Auch Politiker von Union und SPD bemängeln das Fehlen einer langfristigen Strategie für das geschundene Land. Die zunehmende Vermischung des ISAF-Einsatzes zum Wiederaufbau des Landes mit dem Anti-Terror-Kampf der US-Amerikaner ist vielen Abgeordneten ein Dorn im Auge.

    Außenminister Steinmeier denkt deshalb laut nach über ein Ende der deutschen Teilhabe an der Operation "Enduring Freedom" und auch Verteidigungsminister Jung signalisiert jetzt seine Zustimmung. Politische Schaumschlägerei, ein Placebo für die SPD-Linken. So der Tenor der Opposition gestern im Bundestag.

    Bei mir am Telefon ist nun der SPD-Außenpolitiker Nils Annen, einer der Sprecher der Parlamentarischen Linken. Guten Morgen!

    Niels Annen: Schönen guten Morgen!

    Heinlein: Fühlen Sie sich beruhigt durch die Pläne Ihres Kanzlerkandidaten?

    Annen: Das sind oppositionelle Schaumschlägereien, wenn ich das zurückgeben darf. Das ist eine richtige Entscheidung von Außenminister Steinmeier. Der Vorstoß kommt zur richtigen Zeit. Ich begrüße das sehr. Und es ist ein klares politisches Signal, das wir dort aussenden. Auf der einen Seite stehen wir zu dem Stabilisierungsauftrag. Deswegen werden wir auch das ISAF-Mandat verlängern.

    Aber die Botschaft ist auch eindeutig: Wir machen nicht alles mit, was die Amerikaner im Süden unter dem Anti-Terror-Mandat dort veranstalten. Ich glaube, das ist ein richtiger und ein verantwortungsbewusster Weg.

    Heinlein: Aber, Herr Annen, das ist doch reine Symbolpolitik. Die deutschen KSK-Soldaten wurden im Rahmen dieses Mandates "Enduring Freedom" nur in den letzten drei Jahren kein einziges Mal eingesetzt.

    Annen: Ich halte das überhaupt nicht für Symbolpolitik, weil: Wir haben ja eine Geschichte in Afghanistan. Die hat begonnen mit dem Einsatz vor etwa sieben Jahren nach dem 11. September. Damals ging es in der Tat darum, die Ausbildungslager von El Kaida zu zerstören, die Grundlagen dafür zu zerstören, dass so etwas wie dieser schreckliche Terroranschlag noch einmal passieren konnte. Das ist erfolgreich gelungen.

    Aber wir haben gesehen, dass die Amerikaner weltweit seit dieser Zeit mit dem Bezug auf das Selbstverteidigungsrecht der UN-Charta einen Krieg gegen den Terrorismus geführt haben, der auch solche Auswirkungen gehabt hat, wie wir sie in Guantanamo und anderen Bereichen erlebt haben. Insofern ist das ein klares politisches Signal und ich halte das überhaupt nicht für Symbolpolitik.

    Heinlein: Gibt es also einen guten ISAF-Einsatz, Wiederaufbau und Vertrauensbildung, und auf der anderen Seite einen bösen Anti-Terror-Kampf der Amerikaner, an dem sich Deutschland nicht beteiligen will und soll, zumal wenn es Ihnen als SPD-Linkem Trost spendet?

    Annen: Ich glaube, dass man diese Fragen von innerparteilichen Diskussionen hier nicht hochstilisieren sollte. Wir haben uns in den letzten Jahren innerhalb des ISAF-Mandates dafür eingesetzt, dass die Voraussetzungen geschaffen werden können, dass es in Afghanistan einen Wiederaufbau gibt. Dabei haben wir uns gerade in den letzten Jahren zunehmend darauf konzentriert, gerade die zivilen Anstrengungen zu verschärfen. Wir haben von deutscher Seite her den Beitrag zum Wiederaufbau verdoppelt und ich glaube, dass der Weg richtig ist.

    Insofern ist meine Erwartung eigentlich, dass wir auch im Bundestag nicht immer nur über den militärischen Beitrag sprechen. Der ist notwendig in einer solchen Situation. Aber das Militär alleine - das weiß inzwischen, glaube ich, auch jeder - kann das Problem in Afghanistan nicht lösen. Deswegen müssen wir vor allem die Bemühungen verstärken, im Bereich der Polizei, im Bereich des zivilen Aufbaus mehr zu machen. Da muss die Koordination international auch viel, viel besser werden.

    Heinlein: Dennoch, Herr Annen, haben sich in der Praxis diese beiden Mandate nicht schon längst vermischt? Denken wir an die deutsche Zuständigkeit für den Lufttransport und die Aufklärung.

    Annen: Nein. Die Lufttransportzuständigkeit hat nichts mit OEF zu tun. Es gibt eine klare Trennung, die übrigens nicht nur die Bundesrepublik Deutschland vornimmt, sondern auch unsere Verbündeten. Ich bin in diesem Jahr zweimal in Afghanistan gewesen, hatte dort auch die Gelegenheit, beispielsweise in Kandahar und Oskan - einem Bereich, wo unsere niederländischen Kollegen Verantwortung übernehmen - mich auch direkt zu informieren.

    Auch in einer Provinz, in der die Sicherheitslage viel, viel dramatischer und schlechter ist als in den Bereichen im Norden des Landes, wo die Bundeswehr die Verantwortung trägt, gibt es eine klare Trennung zwischen ISAF und OEF. Darauf legen beispielsweise unsere niederländischen Freunde auch sehr, sehr großen Wert. Das ist keine deutsche Diskussion alleine.

    Heinlein: Aber spätestens ein deutscher Einsatz bei den Awacs-Maschinen würde diese Mandate ja vermischen und darüber wird ja nachgedacht.

    Annen: Darüber wird nachgedacht. Es gibt eine Anfrage der NATO, aber das Parlament ist damit noch nicht befasst worden. Insofern ist das keine Diskussion, die im Moment zur Entscheidung ansteht.

    Heinlein: Aber in Zukunft wird diese Entscheidung anstehen.

    Annen: Sie wissen ja, dass die Bundesregierung einen Antrag stellt. Der liegt dem Parlament noch nicht vor. Aber wenn es dort die Notwendigkeit gibt, Luftüberwachung auch deswegen zu verstärken, weil auch der zivile Luftverkehr in Afghanistan zugenommen hat, dann ist das etwas, worüber wir mit Sicherheit reden müssen. Dass der zivile Luftverkehr zugenommen hat, ist ja eigentlich auch ein Zeichen dafür, dass wir auch Fortschritte gemacht haben beim Wiederaufbau des Landes.

    Heinlein: Aber die Awacs-Maschinen überwachen ja nicht den zivilen Luftverkehr.

    Annen: Nein, das ist nicht ganz richtig. Wir haben heute auch schon amerikanische Awacs-Maschinen, die auch den zivilen Luftverkehr mit überwachen. Aber für mich ist ganz klar: Das kann sich, wenn das so weit kommen sollte, muss man dazu sagen, nur um eine Übergangslösung handeln.

    Wir werden sicherlich auch dazu beitragen, dass beispielsweise der Flughafen Kabul, der auch von dem höheren zivilen Aufkommen vor allem betroffen ist, dann eine vernünftige stationäre zivile Luftraumüberwachung bekommen kann. Ich glaube, das ist ein ganz normaler Schritt, der sich einfach aus dieser Entwicklung ergibt.

    Heinlein: Herr Annen, ist es denn richtig aus Ihrer Sicht, aus Sicht der SPD-Linken, dass mit der Verlängerung des Mandates um gleich 14 Monate dieses Thema Afghanistan aus dem Bundestagswahlkampf herausgehalten wird?

    Annen: Nein. Darum geht es ja auch gar nicht. Der Bundestag oder die Bundesregierung bestimmt ja nicht, welches Thema den Wahlkampf dominieren wird. Das werden die Parteien ja für sich entscheiden und vor allem die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Fragen und mit ihren Diskussionsbeiträgen.

    Es geht nur darum, dass der neu konstituierte Bundestag dann nicht sofort sich mit einem Mandat auseinanderzusetzen hat, mit dem er sich noch gar nicht beschäftigt hat. Insofern ist das einfach eine Frage, die mit dem Kalender zu tun hat. Die Themen des Bundestagswahlkampfes bestimmt nicht die Bundesregierung.

    Ich muss Ihnen sagen, ich fürchte auch diese Debatte nicht. Ich finde es richtig, dass wir in Deutschland eine Parlamentsarmee haben. Deswegen müssen wir uns streitig mit diesem Thema auseinandersetzen. Alle Kollegen im Bundestag werden gefragt, was passiert dort eigentlich in Afghanistan, und wir haben auch gerade in den letzten Monaten viele Rückschläge hinnehmen müssen. Die Sicherheitslage hat sich nicht verbessert. Dass darüber auch diskutiert wird, das halte ich nicht nur für legitim, sondern auch für vernünftig und notwendig.

    Heinlein: Wie gefährlich ist denn vor diesem Hintergrund, Herr Annen, das Thema Afghanistan für den innerparteilichen Frieden Ihrer Partei, zumal wenn die Gefahr besteht, dass sie von der Linkspartei friedenspolitisch in die Ecke gestellt werden?

    Annen: Nein. Wir haben gerade auch in der SPD-Bundestagsfraktion eine Diskussion gehabt, wo eine große Unterstützung für die klare Linie des Außenministers deutlich geworden ist. Ich will an dieser Stelle auch einmal sagen: Es ist etwas verwirrend, was wir von unserem Koalitionspartner hören.

    Herr Ramsauer fordert den Abzug der Bundeswehr. Sein eigener außenpolitischer Sprecher, Herr zu Guttenberg, ist der Meinung, wir müssen uns weiter im Anti-Terror-Kampf engagieren. Die Bundeskanzlerin selbst schweigt dazu. Wir haben eine klare Linie. Ich weiß, dass die nicht unumstritten ist. Bei der Union herrscht doch ziemlich viel Verwirrung vor und insofern denke ich, dass dort ein klärendes Wort auch an der Zeit wäre.

    Heinlein: Klare Linie Ihrer Partei. Das heißt, Herr Annen, Zustimmung zum ISAF-Mandat und dann im November auch zur Verlängerung des OEF-Mandates ohne die deutschen KSK-Soldaten?

    Annen: Das ist zumindest meine Empfehlung an meine Fraktion.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der SPD-Außenpolitiker Nils Annen. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Annen: Bitte schön.