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Neonazi-Terror: "Es ist fatal und schrecklich"

Es sei "alles kein Pappenstiel", dass die mutmaßlichen rechtsextremen Terroristen in Kontakt mit V-Personen standen und zuvor auf "dem Schirm unserer Sicherheitsbehörden" waren, sagt der SPD-Politiker Michael Hartmann. Nun sei "schonungslose" Aufarbeitung gefordert.

Michael Hartmann im Gespräch mit Martin Zagatta | 14.11.2011
    Martin Zagatta: Und wir stellen jetzt auch im zweiten Teil der Sendung die Frage: Wie konnte das passieren, dass Rechtsextreme 13 Jahre lang unbehelligt schwerste Verbrechen begehen, dass sie reihenweise Ausländer ermorden, ohne dass die Sicherheitskräfte, ohne dass Polizei oder Geheimdienste Verdacht schöpfen. Zwei der Männer sind tot, gegen ihre mutmaßliche Komplizin wurde Haftbefehl erlassen, nun soll es einen weiteren Mann geben, der der Gruppe geholfen hat und der inzwischen festgenommen wurde. Derweil wird in der Berliner Politik schon über Konsequenzen diskutiert.

    Mit zugehört hat Michael Hartmann, er ist der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und für die Sozialdemokraten auch Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, das sich jetzt mit den Verbrechen und den Konsequenzen aus den offensichtlichen Pannen beschäftigen wird. Guten Tag, Herr Hartmann!

    Michael Hartmann: Guten Tag! Hallo!

    Zagatta: Herr Hartmann, vielleicht auch zunächst als Experten an Sie die Frage: Konnten Sie sich so etwas vorstellen, dass Rechtsextreme, die über Jahre gezielt Ausländer umgebracht haben, dass die so unbehelligt geblieben sind in einem Land wie Deutschland? Können Sie sich das erklären?

    Hartmann: Nein! Ich konnte mir das ehrlich gesagt nicht vorstellen, vor allem weil ja diese Personen auch schon mal auf dem Schirm unserer Sicherheitsbehörden waren. Es ist fatal und schrecklich. Ich denke jetzt nicht nur an die Angehörigen der Opfer, sondern auch an alle Menschen mit einem türkischen oder migrantischen Hintergrund, die doch wieder das Gefühl haben müssen, in Deutschland sicher leben zu können. Wir müssen da schnell, gründlich und auch schonungslos aufarbeiten.

    Zagatta: Die Polizei, also zumindest der Bund der Kriminalbeamten, den wir vorhin befragt haben, der sieht die Schuld wahrscheinlich beim Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz, so der Verdacht, könnte mit den Tätern zusammengearbeitet haben, könnte ihnen sogar Pässe mit falschen Namen beschafft haben. Halten Sie das für denkbar?

    Hartmann: Ich möchte erst die Aufklärung, bevor ich urteile. Es ist immer schlimm, wenn in solchen Situationen jeder sofort alle Täter benennen kann, jeden benennen kann, der versagt hat. Ich will erst die Fakten und dann auch urteilen können, das möglicherweise hart, aber mir liegen noch nicht die Fakten vollständig vor. Im Übrigen: Wissen Sie, es nutzt nichts, wenn man auf einzelne mit dem Finger zeigt. Wir brauchen wirklich die gründliche Aufarbeitung.

    Zagatta: Haben Sie da schon irgendwelche Informationen als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums bekommen, oder tappen Sie genauso im Dunkeln wie wir auch?

    Hartmann: Zunächst einmal: Das Parlamentarische Kontrollgremium tagt im Regelfall geheim oder sehr vertraulich. In diesem Falle hoffe ich, wir können uns auf eine gemeinsame Veröffentlichung der Ergebnisse verständigen. Ich würde es mir wünschen, der Bedeutung der ganzen Geschichte wegen. Und zum Zweiten: Ich habe Erkenntnisse, die zumindest darauf hinweisen, dass im Bereich des thüringischen Verfassungsschutzes schon in der Vergangenheit manches nicht optimal gelaufen ist.

    Zagatta: Können Sie das konkretisieren?

    Hartmann: Nun, schauen Sie, dass die Personen ja tatsächlich auch in Kontakt mit V-Leuten standen, dass diese Personen eine Weile beobachtet waren, dass manche dieser Personen auch bestimmter schwerer Straftaten beschuldigt waren, das ist alles kein Pappenstiel und führt eigentlich dazu, dass Akten geführt werden, ermittelt wird und auch diese Leute genauer untersucht, gegebenenfalls beobachtet werden. Das scheint mir, mit ziemlicher Bestimmtheit nicht ausreichend geschehen zu sein.

    Zagatta: Herr Hartmann, wir als Laien fragen uns ja, wenn es da eine Serie von Morden gegeben hat, wozu braucht man dann den Verfassungsschutz, um dann festzustellen, dass die mit derselben Waffe verübt wurden, diese Morde? Das hätte doch auch Polizeiaufklärung ergeben können.

    Hartmann: Ja, natürlich, und die Polizeiaufklärung hat ja auch festgestellt, dass diese sogenannten Dönermorde – ich finde das Wort absolut unpassend und unangemessen, angesichts der grausamen Taten -, dass die mit derselben Tatwaffe verübt wurden. Das ist Aufgabe der Polizei, in der Tat.

    Zagatta: Da hat man aber daraus dann nicht die Schlussfolgerung gezogen, möglicherweise so eine rechtsextreme Gruppe damit in Verbindung zu bringen. Heißt das, dass man die Gefahr durch Rechtsextreme unterschätzt hat, über lange Jahre unterschätzt hat?

    Hartmann: Ich warne vor vorschnellen und pauschalen Urteilen. Klar ist jedenfalls, dass unsere Behörden eine entsprechende Ausstattung an Mitteln und an Personal brauchen, um gut agieren zu können, und dass eine besser vernetzte Zusammenarbeit stattfinden muss. Da bin ich bei all jenen, die das ebenfalls fordern. Ich denke, da liegt manches im Argen.

    Zagatta: Müssen wir Medien uns da vielleicht genauso an die eigene Nase fassen, wie Sie vielleicht in der Politik, dass wir das und dass Sie das als Politiker und Experte in den entsprechenden Gremien auch unterschätzt haben?

    Hartmann: Ich kenne viele Medien, die sehr genau die braunen Umtriebe kritisch beobachten. Ich kenne viele Politiker, die das tun. Im Übrigen: Wenn ich mir die Berichte unseres Bundesamtes für Verfassungsschutz anschaue, dann stelle ich fest, dass der Kampf gegen rechts dort eine ganz, ganz große Rolle nach wie vor spielt. Was allerdings ein Fragezeichen veranlassen muss, ist Folgendes: Wir haben eine zunehmende Neigung in der Politik - und die Politik definiert, was die Verfassungsschützer dürfen -, sowohl Rechts-, als auch Linksextremismus, als auch islamischen, islamistischen Terrorismus in einen Topf zu werfen, alles zusammenzurühren und mit den gleichen Ansätzen zu verfolgen. Das wird der guten Arbeit der Behörden genauso wenig gerecht wie dem Sachverhalt, und da muss in der Tat politische Verantwortung wahrgenommen werden, in anderer Weise, als das derzeit geschieht. Das heißt für mich auch, es muss Schluss sein damit, dass Mittel für Prävention und den Kampf gegen rechts gekürzt werden, und es muss Schluss damit sein, dass wir jenen, die in Projekten gegen rechts unterwegs sind, erst mal selbst einen heiligen Eid auf die Verfassungstreue abverlangen.

    Zagatta: Aus der CSU kommt da jetzt schon die Forderung nach einem NPD-Verbot. Wie stehen Sie dazu?

    Hartmann: Nun, ich bin auch für ein Verbot dieser schrecklichen Partei, weil sie rassistisch und antidemokratisch ist. Das hat aber zunächst einmal nichts mit diesen Morden zu tun. Ich finde, wir müssen diesen Sachverhalt klar aufklären, und wenn wir in ein NPD-Verbotsverfahren gehen wollen, dann müssen wir es machen und dürfen nicht so viel darüber quasseln, denn sie müssen dann bestimmte V-Leute abschalten und sie müssen genügend Fakten gesammelt haben. Also: Ärmel hoch und ran. Aber das hat für mich ursächlich und originär nichts mit dieser Sache zu tun, höchstens unter der einen Überschrift, wir müssen den braunen Sumpf insgesamt trockenlegen.

    Zagatta: Sie sind ja jetzt Mitglied in diesem Parlamentarischen Kontrollgremium, Sie dürfen da auch keine Einzelheiten nennen, das ist klar. Aber glauben Sie denn mit Ihren Erfahrungen da an ein Netzwerk, wie das manche tun, oder gehen Sie davon aus, dass das eine Gruppe war, die da weitgehend auf sich alleingestellt war?

    Hartmann: Ich will vorsichtig formulieren, weil ich genaue Details noch nicht kenne. Mein Eindruck ist aber der, dass diese Gruppe schon auch ein bestimmtes Sonderleben geführt hat, wie eine Art boshafte Räuberbande. Aber sie hat nicht isoliert agiert. Sie stand immer in Verbindung mit anderen. Sie brauchte Helfershelfer aus verschiedensten Richtungen und sie hat ja auch im Netz und anderswo weiterhin kommuniziert mit der Szene. Und da frage ich mich: Wenn wir wirklich so viele V-Leute in der Szene insgesamt haben, wenn wir die Rechten so beobachten, wie wir das tun wollen, mussten wir dann nicht zumindest einzelne Hinweise oder zarte Spuren haben, dass diese Personen weiter unterwegs sind und Böses im Schilde führen? Aber da will ich erst endgültig urteilen, wenn ich genaue Fakten kenne.

    Zagatta: Michael Hartmann, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, der auch Mitglied ist im Parlamentarischen Kontrollgremium. Herr Hartmann, danke schön für diese Informationen und Einschätzungen.

    Hartmann: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.