Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv


Nerven- und Gehirnerkrankungen auf der Spur

Viele Nervenerkrankungen, wie Multiple Sklerose oder Epilepsie, haben ihren Ursprung im Gehirn oder Rückenmark. Nur über das Röntgen und vor allem über MRT-Verfahren haben Ärzte die Möglichkeit, diese Veränderungen direkt sichtbar zu machen. Die Früherkennung ist daher ein zentrales Thema.

Von Thomas Liesen | 15.10.2013
    Nervenerkrankungen machen es nicht nur den Patienten schwer. Häufig auch den Neurologen. Denn die ersten Symptome sind oft schwer zu deuten und bei jedem Patienten anders ausgeprägt. Ein Kribbeln in den Fingern, dazu Schwindel, das kann alles und nichts sein, eine harmlose Rückenverspannung genauso wie ein erster MS-Schub. Immer wichtiger werden da bildgebende Verfahren - wie die hochauflösende Kernspin- oder Magnetresonanztomografie. Beispiel MS: Ein modernes MRT kann mittlerweile den Verfallsprozess sichtbar machen, der die eigentliche Ursache von MS ist: die sogenannte Entmarkung von Nervenzellen. Sie verlieren ihre Ummantelung, genannt Markscheide. Und diese Veränderungen sind als Flecken auf einem MRT-Bild sichtbar, erklärt Prof. Arnd Dörfler vom Universitätsklinikum Erlangen:

    "Bei der Multiplen Sklerose sind es konkret Entmarkungsherde, die Kernspintomografie kann sehr empfindlich diese Läsionen oder Entmarkungsherde nachweisen und zeigt die uns dann zum Beispiel als helle Flecken an."

    Wenn die Nerven ihre Ummantelung verlieren, können sie keine Nervensignale mehr weiter leiten. Lähmungserscheinungen und ein Leben im Rollstuhl können langfristig die Folge sein. Aber gerade im Anfangsstadium ist MS nur schwer diagnostizierbar, mit der Folge, dass hilfreiche Therapien unter Umständen spät einsetzen. Doch die neuen Bildgebungsverfahren können das ändern, sagt Arnd Dörfler.

    "Wenn uns das MR, also diese sensitive Bildgebungsmethode, anzeigt, dass frische Läsionen, akute Entmarkungsherde vorhanden sind und ältere an verschiedenen Stellen, und durch alt und neu ist dann auch ein Verlauf definiert, kann man mit einer Untersuchung die Diagnose stellen und die Patienten entsprechend früher behandeln."

    Die immer detailgenaueren MRT-Bilder bringen aber auch ein Problem mit sich. Denn es häufen sich Zufallsbefunde. Neuroradiologen entdecken also eine Hirnveränderung, obwohl der Patient bisher gar keine entsprechenden Beschwerden hat.

    "Und da fallen Befunde oder Läsionen auf, die vom Muster her sehr typisch für eine entzündliche Gehirnerkrankung sind, also konkret sehr typisch für eine Multiple Sklerose, obwohl dieser vermeintliche Patient, der vielleicht mit Kopfschmerzen kam, überhaupt keine Symptome für eine Multiple Sklerose hat. Das ist durchaus keine einfache Situation, letztendlich hängt es immer vom Einzelfall ab, wie man mit den Patienten diese Situation bespricht, aber streng genommen hat der Patient natürlich auch ein Recht auf Information und man kann ihn ja auch nicht nach Hause schicken mit der Nachricht: Es ist alles o. k. im Bild."

    Möglicherweise bekommt dieser Patient bald MS-Schübe, dann könnte man ihn sehr früh therapieren. Vielleicht bleibt er aber auch zeitlebens völlig gesund, jede Information über "mögliche MS-Herde im Hirn" wären dann unnötige Panikmache. Ein ausgewachsenes Dilemma. Dennoch: Der Trend zur hochpräzisen Tomografie des Gehirns ist nicht mehr aufzuhalten, meinen die Neuroradiologen. Beispiel Epilepsie: Eine einzige, Millimeter-große Anomalie kann Auslöser dafür sein, dass ein Patient regelmäßig die gefürchteten Krampfanfälle bekommt. Neuerdings nun können Neurologen solche Epilepsieherde im MRT sichtbar machen. Sie fallen als Flecken auf, genannt Läsionen. Und dadurch können Chirurgen sie wegoperieren, zum Beispiel bei Kindern, sagt Prof. Horst Urbach vom Uniklinikum Freiburg.

    "Man kann unter dem Strich sagen, dass wenn man die Läsion ohne große Risiken für das Kind operieren kann, dass etwas 80 Prozent der Kinder anfallsfrei werden, sie haben natürlich über eine Zeitdauer noch Medikamente, die sie nehmen, aber auch das gibt es Bestrebungen, die zu reduzieren, unterm Strich kann man sagen: 80 Prozent werden anfallsfrei."

    Zurzeit sind MRT-Geräte einer neuen Generation in Entwicklung. Mit ihnen werden noch frühere Diagnosen und noch präzisere chirurgische Eingriffe ins Gehirn möglich sein.