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Netflixserie „Unorthodox“
Flucht aus der religiösen Parallelwelt

Eine junge Frau aus New York bricht aus ihrer strenggläubigen jüdischen Glaubensgemeinschaft aus. Doch sie kann ihrer Vergangenheit nicht entfliehen. Netflix hat den autobiografischen Bestseller „Unorthodox“ von Deborah Feldman in einer Serie verfilmt. Und die ist in jeder Hinsicht herausragend.

Von Julian Ignatowitsch | 26.03.2020
Im Still aus "Unorthodox" sitzt die Hauptfigur in einem Brautkleid auf einer Bank, ein Gebetsbuch in den Händen.
Mal trotzig, mal zerbrechlich: Die israelische Schauspielerin Shira Haas spielt die Hauptrolle in der Bestseller-Verfilmung von "Unorthodox" (Netflix)
Mit gerade mal 17 Jahren wird die jüdische Esther, die alle nur "Esty" nennen, in eine arrangierte Ehe gedrängt. Sie heiratet im Kreis der ultraorthodoxen chassidischen Gemeinde, in der sie im New Yorker Stadtteil Brooklyn lebt - nach den Gesetzen von Moses und Israel, wie es der Rabbi predigt.
Nach der Zeremonie wird ihr Haar rasiert. Sie soll - noch ein Mädchen - so schnell wie möglich schwanger werden. Beim Geschlechtsverkehr quälen sie Schmerzen. Wegen der ausbleibenden Schwangerschaft setzt die Familie die junge Frau massiv unter Druck, bis Esty es schließlich nicht mehr aushält. Sie bricht aus, flieht von New York nach Berlin und beginnt ein neues Leben.
Eindrucksvoll und authentisch erzählt
Soweit die Grundlage der bewegenden Geschichte, die die Netflix-Serie "Unorthodox" frei nach dem gleichnamigen Bestseller-Roman von Deborah Feldman erzählt. Der filmischen Adaption gelingt es wie dem Buch, auf eindrucksvolle, authentische Weise den Weg einer jungen Frau bei der Suche nach ihrer eigenen Identität und Selbstbestimmung nachzuzeichnen.
Esty: "Ich wollte so weit wie möglich von meiner Community weg, weil ich da nicht hineinpasse."
Die Serie nimmt sich dabei auch die Freiheit, an einigen Stellen von der literarischen Vorlage abzuweichen. Das fängt bei den geänderten Namen der beiden Protagonisten Esty und ihrem Mann Yanki an, geht bei der parallelen Plotstruktur zwischen Berlin als Estys Gegenwart im Film und New York in Rückblenden zu ihrer Vergangenheit weiter und hört bei neu erfundenen Charakteren in Estys Freundeskreis und bei ihrer Neu-Sozialisation im Umfeld einer Musikhochschule auf.
Die Serie schafft es dabei außergewöhnlich gut, zwei sehr gegensätzlichen Welten gleichwertig und glaubwürdig gegenüberzustellen: Hier die streng-religiöse und patriarchale Chassiden-Gemeinschaft, dort das multikulturelle, kreativ-künstlerische Großstadtleben - ohne dabei rigoros zu urteilen, ohne zu pauschalisieren oder zu belehren. Aber doch so, dass autoritäre, patriarchale und rückständige Vorstellungen eben auch als solche gezeigt und hinterfragt werden.
Das alles gelingt, weil Deborah Feldman die perfekten Partnerinnern zur Verfilmung ihrer Memoiren gefunden hat und zuvor mehrere Anfragen aus Hollywood ablehnte. Die Berliner Filmemacherinnen Anna Winger und Alexa Karolinski schrieben das Drehbuch. Sie sind ebenfalls jüdisch und näherten sich dem Thema mit viel Respekt und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl: So holten die beiden zum Beispiel einen Rabbiner mit ins Kernteam, führten lange Gespräche mit Glaubensvertreterinnen und besetzten alle chassidischen Rollen mit jüdischen Darstellern, erklärte Karolinski bei DLF Kultur:
"Deswegen war auch klar, dass wir das mit Netflix machen wollen. Die Serie ist fast zur Hälfte auf Jiddisch, und dann ist ganz viel auf Englisch, das hätte man ja so nicht für einen deutschen Fernsehsender machen können. Und für mich war der Gedanke, dass deutsche Schauspieler, die Deutsch sprechen und als chassidische Juden verkleidet sind, ein totales No-Go."
Sensible Regie, grandiose Hauptdarstellerin
Regisseurin Maria Schrader inszeniert die Geschichte im richtigen Tempo, gibt den Bräuchen und Ritualen den nötigen Raum und verzichtet dabei auf allzu exponierte Kamerafahrten oder Einstellungen, die nur ablenken würden. Sie rückt ihre Protagonistin ganz in den Mittelpunkt.
Die ist grandios verkörpert von der noch unbekannten israelischen Schauspielerin Shira Haas: Als eine ambivalente, vielgesichtige Esty an der Schwelle zum Erwachsenwerden - mal trotzig, mal zerbrechlich - zweifelt sie auch immer wieder an ihrem Schritt. Und die Vergangenheit, ihr Mann und ihre Gemeinschaft, holen sie ein, suchen sie in Berlin.
Fazit: Die vierteilige Miniserie macht nicht nur erzählerisch und formal alles richtig, sondern setzt auch in Sachen Produktion neue Standards, indem die Macherinnen nicht nur vor der Kamera den Konflikt zwischen individuellen Wünschen und gesellschaftlichen Zwängen mitreißend verhandeln, sondern auch dahinter Integration und Austausch vorleben. In jeder Hinsicht herausragend!