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Netzneutralität
"Für den Verbraucher ändert sich merklich nichts"

Die Neuregelung des EU-Parlaments zur Netzneutralität bezeichnet Joachim Bühler als einen "guten Kompromiss". Schon heute wäre es so, dass finanzstarke Unternehmen eigene Standleitungen hätten, sagte das Mitglied der Bitkom-Geschäftsleitung im DLF. Die Neuregelung bewirke deshalb, dass sich jetzt auch Mittelständler und Startups Qualitätsdienste leisten könnten.

Joachim Bühler im Gespräch mit Reinhard Bieck | 27.10.2015
    Zahlreiche Netzwerkkabel stecken in einem Serverraum in Berlin in einem Netzwerkverteiler.
    "Die Netzneutralitätsdebatte ist auch eine sehr emotionale Debatte." (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Reinhard Bieck: Straßburg beschließt das Telekom-Paket, in dem die Abschaffung der Roaming-Gebühren und Regelungen für das Internet verknüpft werden. Jörg Münchenberg hat ja gerade erwähnt, dass genau diese Verknüpfung kritisiert wird. Joachim Bühler ist Geschäftsführer des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, kurz Bitkom. Herr Bühler, der Zusammenhang zwischen Roaming-Gebühren und Freiheit des Internets erschließt sich mir tatsächlich nicht so ohne weiteres. Wie ist das bei Ihnen?
    Joachim Bühler: Tatsächlich ist es so, dass auf den ersten Blick vielleicht der Zusammenhang sich nicht erschließt. Es geht aber bei beidem - und das ist der gemeinsame Nenner - um die Frage, wie schaffen wir Anreize, um für unsere Breitband-Infrastruktur in Deutschland und in Europa Anreize zu setzen, um sie auszubauen, und wie regeln wir den Internet- und den Telekommunikationsverkehr in Deutschland und Europa.
    Bieck: Trotzdem: Es klingt doch so ein bisschen, als werfe man der großen Masse ein Bonbon hin, die Abschaffung der lästigen und teuren Roaming-Gebühren, um das Schlucken einer großen Kröte irgendwie zu versüßen. Ist das so?
    Bühler: Beim Thema Roaming ist es eine Herzensangelegenheit der Europapolitiker, hier in Europa für den Verbraucher etwas zu tun, und das haben sie in der Tat geschafft und das sehen wir auch ein bisschen mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Einerseits freuen wir uns, dass der Verbraucher europaweit auch einen einheitlichen Binnenmarkt im Telekommunikationsbereich bekommt. Auf der anderen Seite sehen wir natürlich Einnahmemöglichkeiten für die investierenden Netzbetreiber schwinden, die vor der Herausforderung stehen, die größeren Bandbreiten-Anforderungen auch irgendwie finanzieren zu müssen.
    Gleiches Thema beim Thema Netzneutralität. Hier haben wir es mit einem steigenden Datenvolumen zu tun und da müssen wir uns natürlich schon überlegen, wie wir in Zukunft diese Innovation managen. Und beides zusammen miteinander zu verknüpfen, ist sachgerecht, und natürlich ist das eine für den Verbraucher ein, sagen wir mal, stärkerer Punkt und das andere ist für die Wirtschaft etwas, was ihnen unter den Nägeln brennt, und das ist nun mal Teil des Kompromisses gewesen.
    Bieck: Sie haben jetzt gerade genau das Stichwort genannt: Netzneutralität. Ich sage mal, das bedeutet, Daten werden unabhängig vom Absender und vom Inhalt, jetzt mal abgesehen von illegalen oder kriminellen Botschaften, unabhängig nach dem Motto, wer zuerst kommt malt zuerst, übertragen. Der Sündenfall wäre in den Augen von Kritikern, wenn sich finanzkräftige Internet-Nutzer eine vorrangige Behandlung kaufen könnten. Wenn in dieser heute beschlossenen Verordnung jetzt aber von "bevorzugt zu behandelnden Spezialdiensten" geredet wird, ist das nicht genau dieser Sündenfall?
    Bühler: Das ist ein Sündenfall, wenn die Kommission des Europäischen Parlaments nicht auch entsprechende Sicherheitsmaßnahmen und gewisse Hürden eingezogen haben. Sie haben nämlich sehr klar und deutlich gesagt, dass Spezialdienste oder Qualitätsdienste nur dann angeboten werden dürfen, wenn das sogenannte offene Internet, was frei und diskriminierungsfrei für jeden zugänglich ist, nicht beeinträchtigt wird. Das heißt, für den Verbraucher, für den Endverbraucher wird sich mit dieser Regelung eigentlich merklich nichts verändern. Es wird aber für die Wirtschaft - und das ist der wichtige Punkt -, denken Sie an Industrieanwendungen, die in Zukunft auch über das Internet miteinander kommunizieren werden, Möglichkeiten geschaffen, wo gesicherte Qualitäten auch über das freie Internet möglich sind. Von daher ist das ein guter Kompromiss, der einerseits den Verbraucher schützt und andererseits Innovation in notwendigen technischen und auch wirtschaftlichen Fragen ermöglicht.
    "Auch jetzt werden Daten unterschiedlich behandelt"
    Bieck: Das sieht Katja Kipping, die Vorsitzende der Linkspartei, ganz anders. Sie hat ihre Kritik heute ziemlich anschaulich umschrieben. Sie sagt, das ist so, als müsste auf den Autobahnen immer die linke Spur für Oberklasse-Limousinen und schnelle Sportwagen freigehalten werden, während auf der rechten Spur oder in der Mitte normale PKW und LKW im Stau stehen müssen. Ist da nicht doch was dran?
    Bühler: Dieses Bild wird häufig gebraucht. Das verzerrt aber ein Stück weit die technische Realität. Es wird ja auch gerne vom Zwei-Klassen-Internet gesprochen, was in die ähnliche Richtung geht, und dabei wird immer implizit unterstellt, dass es heute schon ein Ein-Klassen-Internet gibt. Das ist aber längst nicht der Fall. Bereits zurzeit ist es so, dass unterschiedliche Daten auch unterschiedlich behandelt werden und werden müssen, weil sie eben technisch eine andere Behandlung brauchen.
    Bieck: Sagen Sie uns da gerade mal ein Beispiel?
    Bühler: Denken Sie an das ruckelfreie Fernsehen zum Beispiel. Wenn Sie über das Internet Fernsehen schauen wollen, dann wollen Sie natürlich bei dem entscheidenden Tor, was fällt, nicht einen Ruckler drin haben und Sie sehen das Tor zwei Minuten später. Bei der E-Mail sind Verzögerungen im Millisekunden-Bereich hingegen hinzunehmen und von daher werden heute schon Netzwerkeinstellungen vorgenommen einerseits und andererseits - und das betrifft insbesondere finanzstarke Unternehmen - bauen sich diese Unternehmen schon eigene Standleitungen. Extrembeispiel: In der Finanzindustrie in der Schweiz werden Berge durchbohrt, damit die Internetleitung zum Internet-Accesspoint, den sogenannten Quellen des Internets, schneller erreicht werden können. Und mit den neuen Angeboten können jetzt auch Mittelständler und Startups sich solche Qualitätsdienste leisten, und das ist erst mal gut für die Wirtschaft, solange der Verbraucher dadurch nicht beeinträchtigt wird.
    "Große Unternehmen haben jetzt schon eigene Standleitungen"
    Bieck: Moment! Da möchte ich aber doch noch mal nachfragen. Ein großer Kritikpunkt ist ja, dass sich Internet-Riesen wie Amazon, Facebook oder Google leicht so eine "Überholspur" leisten könnten, und da heißt es, dass gerade die einfachen Internet-User oder auch zum Beispiel neue Unternehmen, Startups hinten runterfallen würden. Und da sind Sie anderer Meinung?
    Bühler: Genau das Gegenteil ist nämlich der Fall. Diejenigen, die finanzstark sind, große Unternehmen, haben sich in der Zwischenzeit eine eigene Infrastruktur aufgebaut: zum Teil über sogenannte Server, also Speicher, die sie ganz nah an den Kunden bauen, damit die Übertragungsdistanz sinkt und eine Schnelligkeit erreicht wird, zum Teil auch, dass sie sich eigene Standleitungen bauen, weil sie finanzstark sind und das tun können. Der Mittelständler in Deutschland, das Startup hat diese Möglichkeit nicht und ist auf den DSL-Anschluss - ich überspitze das jetzt ein bisschen - angewiesen, und in Zukunft wird er auch Angebote bekommen können, die eine ähnliche Qualität erreichen wie die heutigen Standleitungen, die sich nur Großkonzerne leisten können.
    Bieck: Für die er dann aber bezahlen muss.
    Bühler: Für die er dann bezahlen muss. Das ist richtig. Wobei - und das ist auch ein ganz wesentlicher Punkt, was das Europäische Parlament heute beschlossen hat - nicht etwa, um sich Wettbewerbsvorteile gegenüber meinem Mitbewerber zu sichern, sondern nur dann, wenn es auch technisch erforderlich ist. Das heißt zum Beispiel: Wenn ich eine neue Industrieanwendung habe, die eine Latenzzeit, eine Übertragungsqualität benötigt, dann muss ich das beantragen bei der Aufsichtsbehörde. Hier in Deutschland wäre das die Bundesnetzagentur. Und die muss sagen, die muss dem ein Gütesiegel geben und muss bestätigen, dass es sich um einen technischen Aspekt handelt und nicht etwa um einen Wettbewerbsvorteil.
    Bieck: Herr Bühler, ich habe gerade Amazon, Facebook und Google erwähnt. Es gibt noch andere Konzerne. Das sind aber lauter US-Unternehmen, die von der Aufgabe der Netzneutralität profitieren würden. Sehen Sie womöglich einen Zusammenhang zwischen der heute beschlossenen europäischen Verordnung über das freie Internet und den TTIP-Verhandlungen, also dem Transatlantischen Freihandelsabkommen?
    Bühler: Nein, das sehen wir nicht. Das sind zwei völlig parallel laufende Diskussionen. Die Netzneutralitätsdebatte - die wurde ja im Übrigen auch in den Vereinigten Staaten geführt - ist auch eine sehr emotionale Debatte, auch viele Internet-Aktivisten, die sich hier um diesen Bereich kümmern. Das TTIP-Abkommen ist davon noch mal völlig unabhängig und kommt ja auch eher aus der klassischen Industrie. Also zwei Bereiche, die hier eher unabhängig voneinander zu sehen sind.
    Bieck: Das Europaparlament hat dem Telekom-Paket zugestimmt. Was das für die Netzneutralität bedeutet, darüber sprach ich mit Joachim Bühler, Geschäftsführer des Branchenverbandes Bitkom. Danke, Herr Bühler, nach Berlin.
    Bühler: Vielen Dank.