Fast 265.000 Beschwerden nach Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, hat Twitter in den ersten sechs Monaten des Jahres erhalten – und knapp 30.000 davon wurden auch vom Anbieter beanstandet. Bei der Videoplattform YouTube waren fast 220.000 Beschwerden anhängig. Und fast 60.000 Mal wurden Inhalte deswegen gelöscht oder in Deutschland gesperrt. Bei dem sozialen Netzwerk mit höchstem Marktanteil waren es hingegen nur 886 Beschwerden in der ersten Jahreshälfte: 362 Mal sperrte oder löschte Facebook Inhalte im Zusammenhang mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz.
Twitter verweist häufig auf Gesetz, Facebook kaum
Die Zahlen zeigen dabei bereits, wie unterschiedlich die Anbieter ihre Verpflichtungen aus dem Gesetz interpretiert haben: Während Twitter deutsche Nutzer für fast alle möglicherweise problematischen Inhalte auf ein Meldeformular nach NetzDG verweist, geht Facebook genau den umgekehrten Weg. Hier ist die Meldung als Verstoß gegen den sogenannten "Gemeinschaftsstandard", die Regeln der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Dienstleisters, deutlich einfacher als nach NetzDG.
Google weist explizit darauf hin, dass ein wesentlicher Teil der gelöschten beziehungsweise gesperrten Inhalte bei YouTube am Ende nicht nach NetzDG, sondern als Verstoß gegen die eigenen AGB entfernt wurde.
Das betrifft zum Beispiel den Bereich der Gewaltdarstellungen und pornografische Inhalte, dort werden etwa sieben bzw. siebzig mal so viele Inhalte nach AGB und nicht nach NetzDG gelöscht, bei Hassinhalten immerhin noch dreimal so viele. Die meisten Meldungen betreffen Hate Speech, also diskriminierende oder zum Hass aufrufende Inhalte. An Platz zwei stehen bei den Plattformen Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Beleidigungen.
Abgrenzung zwischen strafbaren oder legalen Beiträgen oft schwierig
Manuel Höferlin, Digitalpolitiker in der FDP-Bundestagsfraktion und scharfer Kritiker des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes interpretiert die Zahlen gegenüber den Deutschlandfunk-Sendern so:
"Die Berichte zeigen ja auch gerade Probleme – und zwar auch explizit wird darüber berichtet – in der Abgrenzung zwischen strafbaren Inhalten, die dann auch gelöscht würden nach Netzwerkdurchsetzungsgesetz, und Inhalten, die möglicherweise fragwürdig sind, aber eben nicht strafbar. Und eben diese Abgrenzungsproblematik ist eben doch sehr schwer, das haben wir auch immer gesagt. Und das ist genau die Krux, wenn etwas eindeutig strafbar ist, dann brauchen wir auch kein Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Und ist etwas nicht strafbar und vielleicht einfach nicht wünschenswert, dann muss man vielleicht trotzdem damit leben."
Eine Kritik, die auch die Reporter ohne Grenzen teilt – weshalb die Organisation heute Nachbesserungen am Gesetz forderte.
Experten sehen kein "Overblocking"
Für ein übermäßiges Sperren gebe es keine Anhaltspunkte, sagt die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Elisabeth Winkelmeier-Becker. So sieht das auch Saskia Esken, Digitalpolitikerin der SPD:
"Aus den Zahlen zum NetzDG, so wie die angegeben sind, kann man kein Overblocking herauslesen meiner Auffassung nach. Wo sich die Leute darauf beziehen, die jetzt tatsächlich schon von Overblocking sprechen, das ist in der Hauptsache eine Reaktion der Unternehmen und den veränderten Meldungen nach den Gemeinschaftsstandards."
Der Großteil der Beschwerden wird sehr schnell, binnen eines Tages, abgearbeitet, nur sehr selten wird länger als eine Woche für eine Prüfung benötigt. Auffällig: Insbesondere Privatsphäre-bezogene Meldungen brauchen vergleichsweise lang zur Prüfung – bei Hate Speech geht die Bearbeitung in der Regel sehr schnell.