Dienstag, 16. April 2024

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Netzwerke von Autorinnen
Für Gleichberechtigung in der Krimibranche

Die Hälfte aller Kriminalromane wird von Frauen geschrieben. Und es sind Leserinnen, die Krimis in der Mehrheit konsumieren. Sieht gut aus für die Frauen in der Krimiwelt, sollte man da meinen. Ist aber nicht so. Deshalb wollen Netzwerke wie die "Mörderischen Schwestern" oder "Herland" Krimiautorinnen rundum stärken.

Von Kirsten Reimers | 30.08.2017
    Die Krimiabteilung in einer Buchhandlung
    Der Deutsche Krimi Preis ging zwischen 2008 und 2017 in der Kategorie "National" sieben Mal an Männer und drei Mal an Frauen (imago/stock&people/HRSchulz)
    Auf den ersten Blick scheint es doch so, als herrschte Gleichberechtigung in der Krimibranche. Doch das täuscht. Anja Marschall, Vizepräsidenten der Mörderischen Schwestern, einem europaweit vertretenen Zusammenschluss von Krimiautorinnen, stellt fest:
    "Es fällt schon auf, dass im Feuilleton überwiegend Männer sind, die dann eben auch Männerbücher rezensieren und mit dem, was Frauen schreiben, nicht unbedingt was anfangen können. Man findet es auch bei den Preisen wieder. Wir beobachten den Markt sehr intensiv und sehen, dass sehr viele Preise vornehmlich an Männer gehen."
    Ein Blick auf die Zahlen bestätigt dies: Der Deutsche Krimi Preis ging zwischen 2008 und 2017 in der Kategorie "National" sieben Mal an Männer und drei Mal an Frauen. Das Verhältnis ist beim Glauser, dem Preis des Syndikats, also des Zusammenschlusses der deutschsprachigen Krimiautoren, vergleichbar: Von 2007 bis 2016 wurden in der Kategorie "Roman" sieben Männer und drei Frauen ausgezeichnet.
    Ein krasses Missverhältnis
    Auch innerhalb der Jurys überwiegen die Männer: In der Jury der Krimibestenliste finden sich unter 19 Mitgliedern sechs Frauen, sie stellen also nur 32 Prozent. Beim Deutschen Krimi Preis sind von 30 Personen in der Jury gerade einmal sieben Frauen, also weniger als ein Viertel. Hinzu kommen hier noch zwei Krimibuchhandlungen, die im Team abstimmen.
    Wie steht es mit der Aussage, dass im Feuilleton Männer in erster Linie Bücher von Männern besprechen? Auch dies belegen die Zahlen. Das Innsbrucker Zeitungsarchiv hat für das Jahr 2015 die Beiträge zum Kriminalroman in 20 überregionalen Zeitungen und Zeitschriften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengestellt - von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über den Spiegel und die Neue Zürcher Zeitung bis hin zum Standard.
    Die Auswertung zeigt: Von den nicht ganz 370 Beiträgen dieses Jahres stammen 226 von männlichen Rezensenten - und diese besprechen in 185 Artikeln Bücher von Männern. Gerade einmal 40 Beiträge von männlichen Rezensenten widmen sich den Krimis von Frauen. Wenn Sie mitgerechnet haben, haben Sie gemerkt: da fehlt ein Beitrag. Dabei handelt es sich um die Besprechung eines Krimis von einem Autorenkollektiv, das sich geschlechtsmäßig nicht eindeutig zuordnen lässt. Da auch Frauen die Romane von Männern besprechen, haben sich im Jahr 2015 insgesamt 290 Beiträge mit Krimis von männlichen Autoren befasst. Demgegenüber stehen 74 Beiträge, die sich den Kriminalromanen von Frauen widmen.
    Ein krasses Missverhältnis. Denn nicht nur sind es überwiegend Frauen, die Krimis kaufen und lesen, sondern rund die Hälfte aller in Deutschland jährlich erscheinenden Neuausgaben im Bereich Spannung wird von Frauen geschrieben, berichtet Autorin, Journalistin und Mörderische Schwester Nina George.
    Sichtbarkeit und politisches Handeln
    Das Netzwerk der Mörderischen Schwestern möchte darum Krimiautorinnen rundum stärken. Anja Marschall:
    "Wir haben uns zusammengeschlossen, um uns gegenseitig zu unterstützen, denn der Markt ist nicht unbedingt so, dass man ihn allgemeinhin als frauenfreundlich umschreiben könnte. Aber das ist nicht der einzige Grund. Es geht auch darum, dass wir als Frauen im Buchmarkt, im Krimibuchmarkt eine Stimme haben wollen, die auch gehört wird."
    Um dies zu erreichen, sind die Mörderischen Schwestern zum Beispiel in der "Initiative Urheberrecht" sowie in anderen Gremien und Projekten des Buchmarktes vertreten. Außerdem geht es ihnen insgesamt um die Professionalisierung von Krimiautorinnen.
    Den Frauen vom Netzwerk Herland ist das nicht genug. Das Netzwerk, das sich im Sommer 2015 gegründet hat, ist benannt nach dem utopisch-feministischen Roman "Herland" von Charlotte Perkins Gilman, einer US-amerikanischen Schriftstellerin und Kämpferin für Frauenrechte.
    Herland hat einen dezidiert politisch-feministischen Anspruch. Verlegerin Else Laudan vom Hamburger Verlag Argument mit der Krimireihe Ariadne gab den Anstoß zu diesem Zusammenschluss. Sie erklärt: "Herland will konkret sich in Kultur einmischen, das ist ein politisches Anliegen. Herland hat konkrete Kritik, feministische Kritik sowohl am bestehenden Literaturmarkt als auch an der bestehenden Gesellschaft."
    In Gesellschaft wie in der Literatur seien Frauen unterrepräsentiert, stellt Else Laudan fest und fährt fort:
    "Hinzu kommt die inzwischen von der Amerikanerin Nicola Griffith veröffentlichte Tatsache, dass, wenn man sich die Literaturpreise im Detail anguckt, stellt man fest, dass die erst mal nicht so entmutigend aussehende Frauenquote darin noch nicht alles sagt, über die Bücher, die ausgezeichnet werden. Denn letztlich sind insbesondere die Romane, die international mit Preisen gewürdigt werden, fast immer Romane, die von Männer handeln, die männliche Welten vorführen. Das heißt, die Frau ist immer noch eher im Hintergrund. Da gibt es noch sehr viel Sexismus inhaltlich im Literaturbetrieb."
    Die Positionen schärfen, unbequem sein
    Herland will darum Frauen ermutigen, über Frauen, über die Lebenswelten von Frauen zu schreiben, um sie sichtbarer wie auch präsenter zu machen und auf diese Weise einen Kulturwandel anzustoßen. Ziel ist die Ebenbürtigkeit und Gleichstellung von Frau und Mann in allen Bereichen des Lebens.
    Derzeit sind bei Herland zwölf Frauen organisiert, die an unterschiedlichen Orten der kriminalliterarischen Buchproduktion wirken – unter ihnen zum Beispiel Doris Gercke, die Schöpferin der Figur Bella Block, wie auch die Krimiautorinnen Simone Buchholz, Zoë Beck und Monika Geier. Im Fokus der Aktivitäten steht im Augenblick vor allem der Austausch untereinander, um Positionen zu schärfen und sich gegenseitig Rückhalt zu geben, sodass in den Kriminalromanen der Autorinnen Gesellschaftskritik klarer und mutiger formuliert werden kann. Auf diese Weise – so der Plan – entstehen künftig Krimis, die alles andere als stromlinienförmig sind, die im Gegenteil unbequem sind und Stellung beziehen
    Else Laudan ist überzeugt, dass Herland-Autorinnen schon jetzt kühner und aussagekräftiger schreiben. Auf der Krimibestenliste dieses Augusts finden sich gleich drei Romane von Herland-Frauen: Auf Platz 1 "Die Lieferantin" von Zoë Beck, "Beton Rouge" von Simone Buchholz auf Platz 5 und "Alles so hell da vorn" von Monika Geier auf Platz 6. Vielleicht ein Zeichen, dass Else Laudan recht hat.
    Es zeigt sich also, dass Netzwerke von Frauen heute nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig sind. Aber sich miteinander zu verbinden reicht allein nicht – um Frauen in Gesellschaft und Literatur sichtbarer zu machen, ist ein politisches Denken und Handeln nötig, um einen Kulturwandel anzustoßen. Aber passt dafür nun gerade der Kriminalroman? Doris Gercke ist davon überzeugt:
    "Die Frage, warum der Kriminalroman nun gerade für unsere Zeit, für unsere Gesellschaft besonders gut geeignet ist, kann man eigentlich nur mit einer Gegenfrage beantworten: Wie will man das, was im Moment bei VW und Audi und BMW passiert, beschreiben? Ich finde, für diese Gesellschaft eignet sich der Kriminalroman geradezu großartig."