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Neuartiger Raketenmotor soll Luft nutzen

Raumfahrt.- Raumfahrt ist ein teures Geschäft. Nur rund ein Prozent ihres Gewichts kann eine Rakete als Nutzlast ins All tragen. Der überwiegende Rest ist Ballast in Form von Treibstoff. Stuttgarter Forscher arbeiten derzeit an einer effizienten Alternative, dem Luft atmenden Raketenmotor.

Von Ralf Krauter |
    Universität Stuttgart, Institut für Aero- und Gasdynamik. Dr. Uwe Gaisbauer hantiert am Modell eines neuartigen Raketenmotors. Ein stählerner Schacht, gut zwei Meter lang, mit ausgefeilter Aerodynamik und komplexem Innenleben. Im November will er das mit Dutzenden Sensoren gespickte Triebwerk in einem Windkanal bei achtfacher Schallgeschwindigkeit zünden.

    "Das ist also praktisch der geöffnete Teil. Hier auf der einen Seite haben wir die Brennkammer. Hier findet dann die Verbrennung statt. Auf der einen Seite haben wir solche Fenster, sodass wir einfach schauen können: Wo sitzt die Flamme und das Ganze beobachten können."

    Die Brennkammer befindet sich in der Mitte des schlanken Testtriebwerks. Über eine vergoldete Einspritzdüse wird dort flüssiger Wasserstoff ins Zentrum des Luftstroms injiziert. Bei Temperaturen über 800 Grad Celsius entzündet er sich und erzeugt über die nachfolgende Düse Schub. Der vor der Brennkammer gelegene Einlauf des Luftschachtes hat messerscharfe Kanten und ähnelt von der Form dem moderner Militärjets. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied.

    "Hier ist jetzt der besondere Fall, dass wir die Überschallströmung nicht bis in den Unterschall drosseln, sondern die Geschwindigkeit nur soweit herausnehmen, dass wir immer noch Überschall-Durchströmung durch die Brennkammer haben."

    Scramjet, so heißen solche Überschallverbrennungstriebwerke. Mangels beweglicher Teile ist ihr Aufbau bestechend simpel. Doch der Teufel steckt im Detail. In der Brennkammer tobt ein Orkan - und die Flamme darf trotzdem nicht ausgehen. Es ist Aerodynamik am Limit.

    "Das Ganze ist wirklich extrem kompliziert in der Auslegung, weil wirklich alle diese Komponenten – das sind jetzt grob gesagt drei Komponenten: Einlauf, Brennkammer und Schubdüse – sehr, sehr stark miteinander interagieren. Man ist immer wieder erstaunt, wenn man hier vorne beispielsweise diesen schrägen Winkel ändert, wie sich plötzlich die Gesamtsituation in der Brennkammer ändert. Wir haben hochgradig dreidimensionale Effekte, durch Randwirbel, durch Eckenwirbel hier in diesen Kanten, durch diese Kompressionseffekte. Also es ist extrem aufwendig."

    Weltweit wurden bislang nur eine Handvoll Scramjets im Flug getestet. Am erfolgreichsten war die NASA, deren Experimentalflugkörper 2004 mit Mach 10 einen Geschwindigkeitsrekord aufstellte. Sein Nachfolger X-51, den die US-Luftwaffe erprobt, soll bis 2020 den Weg zu ultraschnellen Marschflugkörpern ebnen. Die Stuttgarter Forscher jedoch tüfteln an rein zivilen Anwendungen wie künftigen Weltraumtransportern.

    "Ein zweistufiges Raumtransportsystem, wo ein solcher Antrieb die Unterstufe antreiben wird – das denke ich, ist der vielleicht beste Weg in die Zukunft als Ersatz für die Rakete, bei der ja nur ein Prozent der Gesamtmasse an Nutzlast zur Verfügung steht."

    Für Weltraumtaxis bräuchte man viel leistungsfähigere Scramjets als für eine Cruise Missile. Die vergoldete Einspritzdüse aus Stuttgart könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen, weil ihre ausgeklügelte Form den Treibstoff im Zentrum des Orkans gezielt verwirbelt und so größere Brennkammern möglich macht. Versuche in einem Windkanal bei Novosibirsk sollen jetzt zeigen, ob das Konzept für die Praxis taugt. Im September wird das Modelltriebwerk dorthin verfrachtet, Anfang November sollen die Messungen starten. Dank 20-jähriger Kooperation mit den russischen Kollegen, sagt Uwe Gaisbauer, dürfe man deren einzigartige Anlage vier Wochen zum Freundschaftspreis nutzen.

    "Die haben sicherlich besser zahlende Kunden aus der Industrie, keine Frage. Der Anreiz war einfach der: Diese Kunden aus der Industrie nutzen die Technologie nicht unbedingt, um zivile Anwendungen auszuprobieren. Wenn man jetzt als Wissenschaftler immer nur Dinge machen muss, als Dienstleister, die man nicht veröffentlichen darf, ist das sehr schlecht. Der Anreiz war einfach, über das, was man über Jahrzehnte an Know-how angesammelt hat, auch berichten zu dürfen."

    Russische Wissenschaftler haben Erfahrung auf dem Gebiet Luft atmender Raketenmotoren. Die Kooperation ist eine Win-Win-Situation. Allerdings eine, die reichlich Papierkram mit sich brachte. Zwei Jahre hat Uwe Gaisbauer gebraucht, um alle erforderlichen Zolldokumente, Aus- und Einfuhrgenehmigungen für die geplanten Tests zu bekommen.