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Neuausrichtung Chinas
"Zurück zu alter Größe"

In China stellt die Kommunistische Partei gerade die politischen Weichen für die kommenden fünf Jahre. Staatschef Xi Jinping wolle China dorthin zurückführen, wo es vor 500, 600 Jahren den Anschluss verlor", erläuterte der Ostasien-Experte Eberhard Sandschneider im Dlf. Unter anderem durch Handel entlang einer "neuen Seidenstraße".

Eberhard Sandschneider im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 18.10.2017
    Staats- und Parteichef Xi Jinping spricht zu den etwa 2.300 Delegierten auf dem Parteikongress in Peking
    Will China wieder zu einem der mächtigsten Länder der Welt machen wie vor 500, 600 Jahren: Staatschef Xi Jinping (AFP)
    Jörg Münchenberg: Es ist ein Ereignis, das nur alle fünf Jahre stattfindet: der Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas. Es geht dabei um die Entwicklung und Ausrichtung des Landes in den nächsten Jahren. Aber es geht auch um die Neuordnung der Macht, vergleichbar mit den US-Präsidentschaftswahlen, nur eben ohne demokratische Wahlen. So hat den Parteitag kürzlich die Süddeutsche Zeitung umschrieben. Im Zentrum dabei sicherlich Staatschef Xi Jinping, ohnehin schon Chinas mächtigster Mann, der seine Stellung jetzt noch weiter ausbauen will.
    Am Telefon nun Professor Eberhard Sandschneider, China-Experte an der Freien Universität Berlin. Einen schönen guten Morgen.
    Eberhard Sandschneider: Schönen guten Morgen.
    Münchenberg: Herr Sandschneider, zunächst mal: Xi Jinping ist ja schon seit fünf Jahren an der Macht. Wie hat sich China in dieser Zeit, jetzt in den fünf Jahren unter seiner Herrschaft bereits verändert?
    Sandschneider: Er hat mit deutlich eigenen Schwerpunkten letztendlich, wenn man so will, die Politik seiner Vorgänger fortgesetzt, und diese Politik zielt darauf, zunächst einmal die wirtschaftliche Entwicklung weiter voranzutreiben, dann aber auch die politische Stabilität zu erhalten. Und er musste sich natürlich in Anbetracht veränderter Rahmenbedingungen, auch in Anbetracht der aufgelaufenen innenpolitischen Probleme zum Teil mit ganz anderen nicht nur Problemen, sondern auch Methoden im Umgang mit diesen Problemen auseinandersetzen. Seine Korruptionskampagne klingt zunächst einmal nach außen gut; sie war aber auch eine Kampagne der Verdrängung von Wettbewerbern und der Absicherung seiner eigenen Macht.
    Münchenberg: Würden Sie sagen, er ist von seinen Rivalen innenpolitisch unterschätzt worden?
    Sandschneider: Na, das glaube ich nicht. Das ist auch sehr schwer einzuschätzen, was da genau im Inneren der Kommunistischen Partei, die an der Stelle ja noch wie eine traditionelle kommunistische Partei funktioniert, passiert. Die machtpolitischen Absprachen im Vorfeld der Neubestimmung eines Parteichefs sind immer hoch komplex. Das war vor fünf Jahren so. Da war die spannende Frage, schafft er es, schafft es auch Li Keqiang, sein Ministerpräsident. Da gab es viele Gerüchte. Am Ende hat er es geschafft und dann ist das passiert, was bei erfolgreichen kommunistischen Parteichefs passiert: Sie konsolidieren ihre Macht. Sie schaffen es, mit ihrem Einfluss ihre Wettbewerber zu verdrängen und dann Stück für Stück die Machtposition zu erreichen, die der derzeitige Präsident hat. Er hat das allerdings relativ schnell geschafft, sehr viel schneller als seine beiden Vorgänger zum Beispiel.
    China unterdrücke Vielfalt, um sich regierbar zu halten
    Münchenberg: Wie hat sich das innenpolitische Klima unter ihm verändert? Beobachter sagen ja, die Partei ist noch allmächtiger, noch einflussreicher, aber auch noch repressiver geworden.
    Sandschneider: Ja, das ist richtig, und das ist, ich sage mal, keine böswillige Repressivität von der Absicht her, sondern eine, die aus der Sicht der Partei notwendig ist, um politische Stabilität zu erhalten. Die chinesische Gesellschaft – das ist eine riesige Gesellschaft von 1,4 Milliarden Menschen – ist in sich genauso vielfältig, wie man das in anderen Bereichen der Welt vermuten würde. Diese Vielfalt soweit zu kanalisieren und zu unterdrücken, dass es der Partei gelingt, weiter nicht nur an der Macht zu bleiben, sondern auch ihre Politik umzusetzen, das ist die eigentliche Intention, und das Gesamtergebnis unter dem Strich aus westlicher, aus Außensicht heißt natürlich, die Partei ist sehr viel härter im Umgang geworden mit Dissidenten, mit Abweichlern. Das merken sogar Unternehmen, die spüren, dass der Druck beispielsweise, auch in ausländisch beeinflussten Unternehmen Parteigliederungen zu etablieren, deutlich größer ist, als das noch vor fünf Jahren war.
    Münchenberg: Würden Sie sagen, für ausländische Investoren in China – davon gibt es ja viele, gerade auch aus Deutschland – ist es insgesamt schwieriger geworden?
    Sandschneider: Es war nie einfach. Es ist wahrscheinlich auch unter den politischen Rahmenbedingungen, die wir eben angesprochen haben, ein Stückchenweit schwieriger geworden. Das ändert aber letztlich nichts an der Bereitschaft zu investieren, die nach wie vor ausgeprägt ist. Es gibt immer wieder Klagen über Bürokratie, über politischen Einfluss, über Wettbewerbsbevorteilung für chinesische Wettbewerber beispielsweise. All diese Dinge sind nicht neu. Aber letztendlich bleibt es dabei, dass das Interesse auch ausländischer Unternehmen an dem chinesischen Markt gewaltig ist.
    Internetverhalten der Bürger belohnt oder bestraft
    Münchenberg: Sie haben vorhin gesagt, das System ist repressiver geworden. Vielleicht kann man das mal an einem Beispiel deutlich machen. Das Internet ist ja von den Machthabern immer gefürchtet worden, weil schwer zu kontrollieren. Das hat sich offenbar geändert, wie auch der Rückgriff auf Big Data. Können Sie das mal an der Praxis erläutern, wie das jetzt funktioniert in China?
    Sandschneider: Wenn Sie in China bei einer roten Ampel über die Straße gehen, müssen Sie damit rechnen, sanktioniert zu werden, indem Sie öffentlich gemacht werden, weil die Überwachung von öffentlichen Räumen mittlerweile sehr viel weiter gediehen ist und sehr viel grenzenloser eingesetzt wird als bei uns. Und selbst hier bei uns weiß man, wir sind eigentlich längst zu gläsernen Menschen geworden. Diese gläsernen Menschen gibt es in China natürlich in besonderem Maße. Die Partei ist allerdings auch bereit, Sanktionen einzusetzen, indem sie beispielsweise das Internet-Verhalten ihrer Bürger entsprechend entweder belohnt oder sanktioniert. Das heißt, der Einsatz der modernen technologischen Überwachungsmöglichkeiten ist in China schon sehr viel weiter gediehen als in anderen Teilen der Welt.
    Münchenberg: Soweit die Innenpolitik. Was würden Sie sagen, wo will Xi Jinping China außenpolitisch hinführen?
    Sandschneider: Zurück zu alter Größe, und alte Größe heißt, an die Spitze der einflussreichsten Staaten der Welt. Seine Initiative der neuen Seidenstraße ist das geopolitische Instrument dafür. Aber er tut es nicht unter einem Blick auf die Vereinigten Staaten. Das ist für ihn die Messlatte. Und mit Blick über den Pazifik auf die Vereinigten Staaten versucht er, China außenpolitisch zu positionieren. Da fällt uns in den letzten Jahren eindeutig auf, dass er das mit gewaltigen Schritten sehr viel aktiver tut als alle seine Vorgänger. Er setzt dazu letztendlich auch militärische Modernisierungsmaßnahmen ein. Chinesische Militärs sind deutlich weiter global unterwegs, als sie das vor einigen Jahren noch waren. Das strategische Ziel heißt, China dorthin zurückzuführen, wo es vor etwa 500, 600 Jahren den Anschluss an die damals hochentwickelten, technologisch hochentwickelten Nationen verloren hat. Da will er wieder hin. Das ist das große Ziel. Die wirtschaftliche Basis dafür hat er und am Ende konzentriert sich dann alles auf die Seidenstraßen-Initiative.
    Nicht Ideologie, Wohlstand legitimiere Chinas Kommunismus
    Münchenberg: Manche sagen ja auch, der Staatschef wäre der neue Putin Chinas sozusagen. Würden Sie sagen, das ist eine zutreffende Charakterisierung?
    Sandschneider: Es passt nicht wirklich, weil er ein rigides kommunistisches System übernommen hat, das er gar nicht mehr erst in eine Autokratie verwandeln musste. Das war bei Wladimir Putin anders. Der hat eine zumindest formal funktionierende Demokratie übernommen, die er in eine Autokratie verwandelt hat. Aber das ist natürlich immer noch die Herausforderung für uns hier im Westen. Wir haben es hier mit, sagen wir noch einmal, einem autokratischen, einem kommunistischen System zu tun, das etwas tut, was nicht in unseren Lehrbüchern über kommunistische Systeme steht. Es schafft Wohlstand und es zieht nicht aus der Ideologie, sondern aus dieser Tatsache, dass es Wohlstand schafft, seine eigentliche Legitimität. Das ist neu. Das ist nicht vergleichbar mit anderen und ehemals regierenden Kommunistischen Parteien, und das macht China immer wieder zu einer großen Herausforderung für uns.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.