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Neudeck für UNO-Engagement im Kongo

Dirk Müller: Herr Neudeck, Sie sind gerade von einem längeren Aufenthalt im Kongo zurückgekehrt. Die Lage dort ist sehr unübersichtlich. Zunächst die Frage: Wer kämpft dort gegen wen?

Moderation: Dirk Müller |
    Rupert Neudeck: Sie ist nicht nur unübersichtlich für den, der wie ich vorher noch nicht im Kongo in den letzten Monaten gewesen ist. Ich muss Ihnen sagen, ich bin genau am Donnerstag letzter Woche dort gewesen, und ich habe miterlebt, dass in der Region Kivu, das ist im Osten dieses riesengroßen Landes - man muss sich das immer als Hörer vorstellen, das ist achtmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, ein riesengroßes Land, das keine Straßen hat und daher noch größer ist - im Bukavu, einer der zwei großen Städte in Kivu, eine kleine Rebellion im Gange ist, die vom Nachbarland Ruanda alimentiert wird. Das konnte man mit bloßem Auge sehen, da brauchte man keine Nachrichtenagenturen. Die UNO-Mission, die dort eigentlich sehr stark ist und von der ich einen sehr guten Eindruck bekommen hatte, die in sechs großen Plätzen des Landes vertreten ist mit den 10.800 Soldaten, hat im Grunde 24 Stunden gebraucht, um zu erklären, dass sie nicht eingreifen wird. Die UNO hat aber das Mandat, dort einzugreifen. Es geht immer um die Frage, geht es nach Kapitel 6? Dann gibt es nur eine so genannte Peacekeeping-Mission. Dann darf man nur beobachten, man darf gleichermaßen Distanz zu beiden Seiten haben. Aber jetzt geht es darum, dass es nach Kapitel 7 ausgerüstet ist. Das heißt, diese Mission darf für die neugebildete Regierung des Kongo und für die Nationalarmee des Kongo richtig einschreiten, auch gegen Rebellenbewegungen, die sich dort bilden und dort für Unruhe sorgen. Die Frage, wer kämpft gegen wen, ist in dieser Region ganz eindeutig zu beantworten. Es ist eine nationale kongolesische Armee - die Kongolesen fühlen sich alle als Kongolesen, ganz gleich aus welchen Stämmen sie kommen -, und es gibt eine von Ruanda unterstützte Rebellengruppe mit der Abkürzung RCE, und die hat dort wieder dafür gesorgt, dass diese Stadt Bukavu eingenommen wurde. In dieser Situation hat die UNO leider nicht eingegriffen.

    Müller: Warum hat Ruanda offenbar nach wie vor Interesse, den Friedensprozess im Kongo zu stören?

    Neudeck: Ruanda hat seit langem, seit dem Ende des furchtbaren Völkermordes, der über das Land gekommen ist, Interesse daran, diese riesengroße Region Kivu, also den Ostkongo praktisch, de facto zu besetzen. Das geschah auch die ganzen Jahre, ohne dass die Weltgemeinschaft eingeschritten ist. Wir hatten ja die Situation, dass wir ruandische Truppen und auch ugandische Truppen - das sind die beiden Nachbarländer - im Lande hatten. Dann gab es eine große Konferenz in Lusaka. Da hat die internationale Staatengemeinschaft etwas sehr verhängnisvolles getan, sie hat nämlich gesagt, sie sind da nicht illegal, sie sind da irgendwie nicht legal, aber so halblegal, und sie sollen sich möglichst aus den größeren Städten herausziehen auf 30 Kilometer außerhalb dieser Städte. Das war der erste Beschluss. Ruanda hat ein großes Interesse an dieser Region, weil es total überbevölkert ist. Wir wissen ja, dass das eines der kleinsten Länder Afrikas ist. Wir haben ja sonst in Afrika ganz umgekehrte Verhältnisse. Wir haben riesengroße Landterritorien, die gar nicht voll sind mit Bevölkerung, wenn ich das mal so sagen darf. Aber Ruanda ist ein Land, das auch aufgrund des Bevölkerungszuwachses in so starkem Maße darauf angewiesen ist, dass es einen Teil seiner Bevölkerung dorthin exportiert, dass es praktisch diese Region schon unter seiner Kontrolle hatte. Auch damals, als Kabila vor acht Jahren in dieser Region bis nach Kinshasa dieses ganze Land erobert hat, nämlich den Kongo, war das auch mit Unterstützung von Ruanda. Das heißt, Ruanda hat weiter seinen ganz starken Einfluss im Kivu, und die UNO-Blauhelmmission war eigentlich dazu da, diesen Staat Kongo, die Demokratische Republik des Kongo wieder in seine Existenz zurückzuführen, denn den gab es kaum noch. Die große Furcht der Welt ist ja immer, dass es so etwas gibt wie Somalia. Wir wissen ja, dass Somalia und Liberia zwei Staaten in Afrika, die es als Staaten gar nicht mehr gibt, das heißt, sie fallen aus der Staatengemeinschaft heraus. Die haben zwar einen Sitz in der UNO-Generalversammlung, aber sie können den gar nicht mehr besetzen, weil sie keine Regierung mehr haben. Man wollte verhindern, dass für dieses riesengroße, reiche Land Afrikas, das Kupfer, Diamanten und Gold hat, nämlich die Demokratische Republik des Kongo, ähnliche Verhältnisse einreißen könnte. Deshalb hat man diese sehr starke UNO-Mission im Kongo beschlossen und eingeführt.

    Müller: Wenn ich da noch mal nachfragen darf, wir reden ja von ungefähr 10.000 Mann UNO-Truppen, Blauhelme. Sie haben eben die Größe des Landes beschrieben. Ist das nicht doch dann sehr wenig?

    Neudeck: Das ist wenig, aber auch wiederum nicht wenig. Ich glaube, es kommt im entscheidenden Moment darauf an, dass der politische Wille da ist. Ich habe den algerischen Chef der Blauhelmmission in Goma gesprochen, ein hervorragender UNO-Diplomat, der große Erfahrung mit solchen Missionen hat. Der war am Abend des 27. Mai ganz fest entschlossen, ganz enthusiastisch sicher, dass das die große Stunde der UNO-Blauhelmmission in Bukavu ist, denn jetzt muss man zeigen, man hat dieses Kapitel 7 auf seiner Seite, man kann eingreifen, man kann dafür sorgen, dass die Regierung in Kinshasa und dass die nationale kongolesische Armee jetzt wirklich die entscheidenden Kräfte des Landes sind, und man muss die kleine Rebellengruppe aus der Stadt herausjagen. 24 Stunden später habe ich diesen algerischen Diplomaten und UNO-Missionschef noch mal getroffen, und dann hatte er zwei Seiten aus Kinshasa von dem obersten Chef seiner Behörde, nämlich dem amerikanischen Ex-Botschafter in Kinshasa William Swing, und auf diesen zwei Seiten stand etwas ganz anderes, nämlich dass die Blauhelmmission sich gar nicht für eine der beiden Seiten entscheiden kann, man muss zu beiden Seiten die gleiche Distanz haben. Ich glaube, in dieser Nacht ist etwas Verhängnisvolles passiert, denn wir erleben jetzt den totalen Zusammenbruch der Mission. Wir müssen abwarten, dass diese Mission jetzt nicht völlig dadurch kaputtgeht, dass dieser entscheidende Schritt gegen die Rebellen in Kivu nicht passiert ist.

    Müller: Vielen Dank für das Gespräch.