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Neudeck: Nordkorea steht am Abgrund

Rupert Neudeck erwartet von den diplomatischen Forstschritten im Umgang mit Nordkorea keine Verbesserung der Versorgungslage für die Menschen in dem asiatischen Land. Der Regierung in Pjöngjang sei es "eigentlich furchtbar egal", wie die Bevölkerung lebt, sagte Neudeck, Leiter der Hilfsorganisation "Grünhelme". Indem es all seine Ressourcen in militärische Aufrüstung stecke, habe sich Nordkorea selbst in mittelalterliche Zustände zurückversetzt.

Moderation: Dirk Müller | 14.02.2007
    Dirk Müller: Wir bleiben beim Thema Nordkorea. Über die möglichen Folgen für die Bevölkerung wollen wir nun reden mit Rupert Neudeck von der Hilfsorganisation "Grünhelme". Er ist bei uns im Studio. Guten Morgen!

    Rupert Neudeck: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Neudeck, wird es unmittelbare Konsequenzen für die Bevölkerung haben?

    Neudeck: Nein. Das glaube ich nicht, denn das ist ein unglaublich trickreiches Spiel, was die Regierung dort spielt. Sie ist in unglaublicher Not, weil jeder Mann, der das Land gesehen hat - und ich habe es seit '97 immer wieder gesehen -, weiß, dass das Land kurz vor einer Implosion, einem Zusammenbruch steht, wirtschaftlich. Energie ist nicht genug da. Es kann jetzt sein, dass Energie genug reinkommt und dass vielleicht auch Traktoren fahren können. Man muss sich vorstellen, das ist ein Land, das in mittelalterliche Zustände sich selbst zurückversetzt hat, weil: Alles was in dem Land an Energie und an Mitteln da ist, wird in die Armee und in den Aufbau von Nukleartechnologie gesetzt. Das heißt, der Regierung ist es eigentlich furchtbar egal, wie diese Bevölkerung lebt, weil sie sich letztlich immer darauf verlassen kann, dass die 700.000, die 700.000 Tonnen Reis von der internationalen Gemeinschaft irgendwie doch immer wieder hineinkommen. Es ist für die Bevölkerung - das muss man klar wissen - heute Morgen weder klar, dass dort irgendetwas passiert ist. Wir reden hier in der ganzen Welt von Durchbruch. Die Bevölkerung weiß davon gar nichts. Die wird über so etwas überhaupt nicht informiert.

    Zweitens, was von dem, was dann da hineingegeben wird an Energie und an Zugeständnissen, was dann bei der Bevölkerung ankommt, davon wissen wir auch gar nichts. Da muss man sehr skeptisch sein. Ich warne auch noch mal: Das Wort Durchbruch höre ich jetzt nun seit Juni 2000. Juni 2000. da müssen wir uns alle noch mal zurückerinnern. Das ist vor knapp sieben Jahren gewesen. Da ist der Führer, der neu gewählte Präsident Südkoreas Kim Dae-Jung, zu einem Gipfeltreffen mit Kim Jong Il nach Pjöngjang gereist und alle Welt hat gesagt, das ist der ganz große Durchbruch. Wir Deutschen haben sogar gefaselt davon, dass das jetzt der Beginn der Wiedervereinigung ist. Und was ist passiert? Dieser Durchbruch, für den der Kim Dae-Jung noch drei Monate später den Friedensnobelpreis bekommen hat, ist total gescheitert. Wir wissen jetzt nicht, ob alles das, was danach geschehen ist, von Kim Jong Il und seiner Generalsklicke, ob das nicht vielleicht sogar ein Fake war, das heißt ein Vorspielen falscher Tatsachen. Bis heute ist nicht klar, ob das ein wirklicher Atomwaffenversuch war oder ein vorgespielter Atomwaffenversuch.

    Müller: Herr Neudeck, mit Blick auf die Regierung in Pjöngjang. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, heißt das, an das Gute im Bösen zu glauben, ist politisch naiv?

    Neudeck: Ja. Das ist in der Regel sowieso naiv. Aber wir haben hier eine ganz andere Gemengelage. Wir dürfen europäische Verhältnisse, wir dürfen unsere Erfahrungen, auch die humanitären Erfahrungen mit afrikanischen Krisenkatastrophen, Hungerkatastrophen, wird dürfen die nicht auf Nordkorea legen. Nordkorea wird entscheidend von Chinas Einschätzung bestimmt, nicht von den USA. Das haben die USA möglicherweise jetzt begriffen, nachdem Rumsfeld mal gesagt hat beim Beginn des Irak-Krieges, wir können auch zwei Kriege führen. Das können die Amerikaner gar nicht. Pustekuchen! Jetzt ist China an der Reihe. China wird eine Großmacht. Das sehen wir in Afrika, das sehen wir auch in Korea.

    Das Zweite, was wir in Deutschland beobachten müssen, ist: Die Südkoreaner, die sich ja angelegentlich immer wieder in Berlin erkundigen, wie das mit der deutschen Wiedervereinigung läuft, und die sich angelegentlich erkundigen, was sie denn gekostet hat den Deutschen, haben eine furchtbare Angst davor, dass sie in die gleiche Kostenspirale reingehauen werden. Das heißt, hier ist ein Prozess im Gange, der möglicherweise dazu führt, dass die Wiedervereinigung zwischen Süd- und Nordkorea kommen wird, aber unter Bedingungen, die Südkorea alleine nicht tragen kann. Das ist eine ganz andere Ausgangslage. Das Regime, das muss ich noch mal sagen, das Regime hat sich nicht einen Zentimeter, nicht einen Millimeter von seinen Ausgangsbedingungen entfernt, denn wir wissen nicht ob die Kontrollen, die jetzt in dem Abkommen des Durchbruchs da sind, wirklich zureichen, um überhaupt festzustellen, ob diese Anlage Yongbyon überhaupt eine Atomwaffenanlage ist.

    Müller: Herr Neudeck, Sie waren ja häufig in Nordkorea. Deswegen reden wir jetzt auch darüber. Mir ist immer noch nicht ganz klar geworden, warum das Regime in Pjöngjang denn kein Interesse daran hat offenbar, wie Sie es darstellen, die Bevölkerung in Zukunft zumindest besser zu versorgen. Dann wäre man doch ein Problem los?

    Neudeck: Weil dieses Regime furchtbare Angst davor hat - gucken Sie sich mal die Welt an seit 1989 -, dieses Regime hat furchtbare Angst, dass die letzte Schlacht des Kalten Krieges, oder die vorletzte Schlacht des Kalten Krieges nach Kuba Nordkorea, dass die für das Regime kaputt geht, dass das Regime seine Macht verliert. Das sind ja Machtträger. Die sind seit 30, 40 Jahren an der Macht in einem theokratischen System. Die haben furchtbare Angst, diese Macht zu verlieren. Und diese Angst führt dazu, dass sie jedes Mittel ausnutzen, um die internationale Staatengemeinschaft an der Nase herumzuführen. Ich fürchte, dass es auch jetzt wieder so ist, denn das Entscheidende wird sein: Hat die Atomenergiebehörde wirkliche Kontrollmechanismen durchgesetzt bei diesen Verhandlungen, oder ist das wieder so ein Larifari-Verhandlungsergebnis. Wenn sie das nicht durchgesetzt hat, dann kann Nordkorea mit seinen Erpressungsmöglichkeiten weiter die Welt an der Nase herumführen. Die Bevölkerung, das muss man wirklich auch sagen, die ist wirklich arm dran, denn dort herrscht Mangelernährung. Wir haben furchtbare Angst, dass eine ganze Generation von Kindern dadurch, dass die dort, dadurch dass sie immer zu wenig zu Essen haben, immer ein bisschen zu wenig zu Essen, dass eine ganze Generation von jungen heranwachsenden Nordkoreanern im Wortsinn, um es mal kurz zu sagen, verblödet. Wenn die Gehirne von jungen Menschen nicht genügend Nahrung bekommen, dann ist die große Gefahr, dass hier eine ganze Generation kaputt geht, sehr, sehr groß. Diese Sorge teilen alle humanitären Organisationen, die übrigens jetzt nicht mehr ins Land rein dürfen, die rausgeschmissen worden sind.

    Müller: Vermeiden wir die großen Worte. Sie haben gesagt "Durchbruch" und so Vorsicht. Nehmen wir doch noch mal ein Synonym. Reden wir von vermeintlichem Tauwetter. Könnte es sein, dass sich die humanitäre Zugänglichkeit zum Land in den nächsten Jahren zum Besseren entwickelt?

    Neudeck: Ich kann mir das sehr gut vorstellen, weil: China hat ein Interesse daran, dass Nordkorea nicht zusammenbricht. Das ist viel wichtiger, als wenn die westliche Staatengemeinschaft oder die USA. Die USA sind weiter der Hassgegner, der Erbfeind für die Nordkoreaner. Warum? Weil sie weiter an der Grenze, an der Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea ihre Truppen stationiert haben. Alles Mögliche ist da stationiert an den schwersten Waffen stationiert. Das Ganze ist vermint bis dorthinaus. Das heißt, die USA wären gut beraten, sich überhaupt aus dem Feld zurückzuziehen, nach meiner Einschätzung, und China die Sache mit Japan machen zu lassen. Das wäre eine regionale, gute Lösung. Ich denke, das ist die einzige Hoffnung, die ich jetzt habe. Diese multilateralen Lösungsversuche haben jetzt ihren Gipfel dadurch erreicht, dass China der größte Handlungsagent in Nordkorea ist und nicht mehr die USA.

    Müller:! Bei uns im Deutschlandfunk-Studio Rupert Neudeck von der Hilfsorganisation "Grünhelme". Vielen Dank, dass Sie zu uns gekommen sind.