Friedbert Meurer: Ende 2014 sollen die letzten NATO-Truppen Afghanistan verlassen haben. Das ist nicht mehr allzu lange hin, und viele fragen sich: Was kommt danach? Wird das Land Afghanistan wieder im Chaos versinken? Rupert Neudeck, Gründer der Hilfsorganisation Grünhelme e.V. ist heute Nacht aus Afghanistan zurückgekehrt, er war in der Nähe der Hauptstadt Kabul und auch in Herat im Westen des Landes. Guten Morgen, Herr Neudeck!
Rupert Neudeck: Guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Sie haben sich vor allen Dingen die Schulen angeschaut, die Ihre Organisation, die Grünhelme, gebaut hat. Sind Sie noch zufrieden mit dem, was Sie da gesehen haben?
Neudeck: Ja, sehr, weil es ja auch ganz wichtig ist, dass die deutsche Bevölkerung mitbekommt, dass die Schulen am Netz sind, das heißt, dass die alle arbeiten. Und die arbeiten eigentlich im afghanischen Sinne, muss man schon sagen, vorzüglich, weil es keine Diskussionen darüber gibt, dass dort Mädchen vormittags und Jungen nachmittags zur Schule gehen. Ich habe in einigen Schulen Lehrerkollegien getroffen, in denen die Hälfte der Lehrer Frauen sind. Das ist auch etwas, was man sensationell nennen kann in Afghanistan. Also diese Bewegung im ländlichen Raum, der wenig zu tun hat mit der Großstruktur in Kabul und mit der großen Politik des Übergangs 2014, diese Struktur funktioniert hervorragend. Ich habe eine deutsche Organisation in Kabul getroffen, heißt die, die macht in Moscheen in Vororten von Kabul auch eine fantastische Arbeit dadurch, dass sie dort ansetzt, wo die Menschen sind, nämlich eben sie leben auch in der islamischen Struktur. Und dort wird auch Unterricht gemacht, auch mit Frauen.
Meurer: Also diese Ideen, Herr Neudeck – Unterricht in Moscheen oder getrennter Unterricht, morgens für Mädchen, nachmittags für Jungen –, ist das die Lösung, mit der auch die Taliban einverstanden sein können?
Neudeck: Ja, das glaube ich ganz sicher. Wenn man mit diesen Menschen zu tun hat und wenn man weiß, mit ihnen spricht – wir haben ja mit sehr vielen Mullahs zu tun, die dort in der Gegend sind – der Begriff "Taliban" ist ja sehr ungenau, den wir in Deutschland verwenden. Also wenn wir mit den religiösen Elementen, mit den religiösen Fundamenten der Gesellschaft, wenn man mit denen zu tun hat, dann kann man auf ein befriedetes Afghanistan zugehen und dann muss man nicht große Angst haben vor der Anarchie, die uns droht, wenn vielleicht Deutsche und andere ISAF-Soldaten weggehen.
Meurer: Sind Sie sicher, dass es eine friedliche Zukunft für Afghanistan gibt?
Neudeck: Nein, darüber kann man gar nicht sicher sein, weil die Regierung zu grottenschlecht ist, dass man das gar nicht mehr fassen kann. Also es gibt eine solche Korruption, eine solche Bestechungsorgien, Familien, die dort an die Macht gekommen sind, nutzen ihren Machterhalt, indem sie jedem in der Familie einen Posten zusteuern. Man hat das gesehen in Herat, in der Provinz, wo die Familie des in Deutschland auch bekannten ehemaligen Außenministers Spanta lebt – dort hat jeder irgendetwas bekommen. Manche Analphabeten aus dieser Familie sind auch in Posten gekommen, die zum Beispiel mit Schule zu tun haben. Es sind zwei Minister jetzt vom Parlament abgelehnt worden – das ist das Einzige, was das Parlament in Kabul tun kann. Was hat der Präsident Karzai gemacht? Er hat sie zu Beratern gemacht, also mehr als ein Minister. Der ist dann in dem Beraterkabinett. Alle Minister, die vom Parlament abgelehnt werden, werden von Karzai zu Beratern gemacht, das heißt, hier wird das gesamte demokratische, kleine, winzige Potenzial, was im Lande geschaffen worden ist, schon wieder untergraben von den Machthabern, nicht zu reden davon, dass sie gesamte Bevölkerung weiß, dass die Drogenökonomie auch in den Großfamilien in Kabul beheimatet ist. Also da hat der Westen, wenn er überhaupt etwas verlangt hat, ganz total versagt, er hat nicht das besorgt und das gemacht, was mit den vielen Geldern, die dort von außen reingekommen sind, hätte gemacht werden können.
Meurer: Nur kurz, weil der Name eben von Ihnen genannt wurde: Sie erheben den Vorwurf, Herr Neudeck, gegen den Außenminister Spanta, der 30 Jahre lang, glaube ich, in Deutschland gelebt hat und dann zurückgegangen ist, in Afghanistan auch korrupt ist?
Neudeck: Ja, eindeutig. Das sind alle Familien, auch die Familie des Ministers, der hier auch in Bochum an der Universität Dozent war, Farhang, das sind alles Menschen, die sind zu Beratern, Berater im Küchenkabinett von Karzai geworden, ohne dass sie noch eine Bindung haben oder eine Legitimation durch das Parlament. Also das, was wir als Westler gemeint haben, dass wir es schaffen würden, in Afghanistan herzustellen, nämlich eine demokratische Legitimität, das, muss man ganz eindeutig sagen, das ist total gescheitert.
Meurer: Sie plädieren aber dafür, Herr Neudeck, die Kultur zu akzeptieren, ihr Schulprojekt in die Kultur Afghanistans zu integrieren. Müssen wir anerkennen: Korruption gehört zur Kultur Afghanistans?
Neudeck: Es ist natürlich in vielen dieser traditionellen Ländern, in denen wir tätig waren, eine Struktur, die da ist. Wir haben ja in Deutschland auch Korruption, nur: Wir können uns die leisten. Afghanistan kann sich die nicht so sehr leisten und deshalb wäre es so gut, dass ein Land, das noch auf einem Niveau mit 80 bis 90 Prozent der Einnahmen aus dem Ausland lebt, dass diese Einnahmen, dass das genutzt würde für die Bevölkerung. Das ist das, was man eigentlich für das afghanische Volk für die nächsten Jahre am dringlichsten sich erwünschen würde.
Meurer: Rupert Neudeck, Vorsitzender der Hilfsorganisation Grünhelme, ist aus Afghanistan zurückgekommen und schildert uns seine Eindrücke von den Schulprojekten der Organisation und der Lage des Landes. Herr Neudeck, besten Dank. Wiederhören!
Neudeck: Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema bei deutschlandradio.de:
Milliarden für Afghanistan bis zum Militärabzug -
Deutschland sagt Kabul 430 Millionen Euro pro Jahr zu *
USA erklären Afghanistan zu wichtigem Verbündeten -
Deutschland sieht Kabul durch Finanzzusagen in der Pflicht *
Auf- und Umbruch in Afghanistan
Vor der Geberkonferenz in Tokio (DLF) *
Fragile Bündnisse, schwelende Konflikte
Deutsche Soldaten bereiten den Abzug aus Afghanistan vor (DLF) *
Umschlagplatz und Handelszentrum für Drogen
Drogenalltag und Drogenpolitik in Afghanistan (DLF) *
Misstrauen regiert in Afghanistan
Ein Lagebericht vor der Bonner Konferenz (DLF) *
Schulbänke hinter afghanischen Lehmmauern
Bildungsangebot für afghanische Mädchen und Frauen (DLF) *
Hehre Ziele, falsche Partner
Zehn Jahre Einsatz in Afghanistan (DLF) *
Rupert Neudeck: Guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Sie haben sich vor allen Dingen die Schulen angeschaut, die Ihre Organisation, die Grünhelme, gebaut hat. Sind Sie noch zufrieden mit dem, was Sie da gesehen haben?
Neudeck: Ja, sehr, weil es ja auch ganz wichtig ist, dass die deutsche Bevölkerung mitbekommt, dass die Schulen am Netz sind, das heißt, dass die alle arbeiten. Und die arbeiten eigentlich im afghanischen Sinne, muss man schon sagen, vorzüglich, weil es keine Diskussionen darüber gibt, dass dort Mädchen vormittags und Jungen nachmittags zur Schule gehen. Ich habe in einigen Schulen Lehrerkollegien getroffen, in denen die Hälfte der Lehrer Frauen sind. Das ist auch etwas, was man sensationell nennen kann in Afghanistan. Also diese Bewegung im ländlichen Raum, der wenig zu tun hat mit der Großstruktur in Kabul und mit der großen Politik des Übergangs 2014, diese Struktur funktioniert hervorragend. Ich habe eine deutsche Organisation in Kabul getroffen, heißt die, die macht in Moscheen in Vororten von Kabul auch eine fantastische Arbeit dadurch, dass sie dort ansetzt, wo die Menschen sind, nämlich eben sie leben auch in der islamischen Struktur. Und dort wird auch Unterricht gemacht, auch mit Frauen.
Meurer: Also diese Ideen, Herr Neudeck – Unterricht in Moscheen oder getrennter Unterricht, morgens für Mädchen, nachmittags für Jungen –, ist das die Lösung, mit der auch die Taliban einverstanden sein können?
Neudeck: Ja, das glaube ich ganz sicher. Wenn man mit diesen Menschen zu tun hat und wenn man weiß, mit ihnen spricht – wir haben ja mit sehr vielen Mullahs zu tun, die dort in der Gegend sind – der Begriff "Taliban" ist ja sehr ungenau, den wir in Deutschland verwenden. Also wenn wir mit den religiösen Elementen, mit den religiösen Fundamenten der Gesellschaft, wenn man mit denen zu tun hat, dann kann man auf ein befriedetes Afghanistan zugehen und dann muss man nicht große Angst haben vor der Anarchie, die uns droht, wenn vielleicht Deutsche und andere ISAF-Soldaten weggehen.
Meurer: Sind Sie sicher, dass es eine friedliche Zukunft für Afghanistan gibt?
Neudeck: Nein, darüber kann man gar nicht sicher sein, weil die Regierung zu grottenschlecht ist, dass man das gar nicht mehr fassen kann. Also es gibt eine solche Korruption, eine solche Bestechungsorgien, Familien, die dort an die Macht gekommen sind, nutzen ihren Machterhalt, indem sie jedem in der Familie einen Posten zusteuern. Man hat das gesehen in Herat, in der Provinz, wo die Familie des in Deutschland auch bekannten ehemaligen Außenministers Spanta lebt – dort hat jeder irgendetwas bekommen. Manche Analphabeten aus dieser Familie sind auch in Posten gekommen, die zum Beispiel mit Schule zu tun haben. Es sind zwei Minister jetzt vom Parlament abgelehnt worden – das ist das Einzige, was das Parlament in Kabul tun kann. Was hat der Präsident Karzai gemacht? Er hat sie zu Beratern gemacht, also mehr als ein Minister. Der ist dann in dem Beraterkabinett. Alle Minister, die vom Parlament abgelehnt werden, werden von Karzai zu Beratern gemacht, das heißt, hier wird das gesamte demokratische, kleine, winzige Potenzial, was im Lande geschaffen worden ist, schon wieder untergraben von den Machthabern, nicht zu reden davon, dass sie gesamte Bevölkerung weiß, dass die Drogenökonomie auch in den Großfamilien in Kabul beheimatet ist. Also da hat der Westen, wenn er überhaupt etwas verlangt hat, ganz total versagt, er hat nicht das besorgt und das gemacht, was mit den vielen Geldern, die dort von außen reingekommen sind, hätte gemacht werden können.
Meurer: Nur kurz, weil der Name eben von Ihnen genannt wurde: Sie erheben den Vorwurf, Herr Neudeck, gegen den Außenminister Spanta, der 30 Jahre lang, glaube ich, in Deutschland gelebt hat und dann zurückgegangen ist, in Afghanistan auch korrupt ist?
Neudeck: Ja, eindeutig. Das sind alle Familien, auch die Familie des Ministers, der hier auch in Bochum an der Universität Dozent war, Farhang, das sind alles Menschen, die sind zu Beratern, Berater im Küchenkabinett von Karzai geworden, ohne dass sie noch eine Bindung haben oder eine Legitimation durch das Parlament. Also das, was wir als Westler gemeint haben, dass wir es schaffen würden, in Afghanistan herzustellen, nämlich eine demokratische Legitimität, das, muss man ganz eindeutig sagen, das ist total gescheitert.
Meurer: Sie plädieren aber dafür, Herr Neudeck, die Kultur zu akzeptieren, ihr Schulprojekt in die Kultur Afghanistans zu integrieren. Müssen wir anerkennen: Korruption gehört zur Kultur Afghanistans?
Neudeck: Es ist natürlich in vielen dieser traditionellen Ländern, in denen wir tätig waren, eine Struktur, die da ist. Wir haben ja in Deutschland auch Korruption, nur: Wir können uns die leisten. Afghanistan kann sich die nicht so sehr leisten und deshalb wäre es so gut, dass ein Land, das noch auf einem Niveau mit 80 bis 90 Prozent der Einnahmen aus dem Ausland lebt, dass diese Einnahmen, dass das genutzt würde für die Bevölkerung. Das ist das, was man eigentlich für das afghanische Volk für die nächsten Jahre am dringlichsten sich erwünschen würde.
Meurer: Rupert Neudeck, Vorsitzender der Hilfsorganisation Grünhelme, ist aus Afghanistan zurückgekommen und schildert uns seine Eindrücke von den Schulprojekten der Organisation und der Lage des Landes. Herr Neudeck, besten Dank. Wiederhören!
Neudeck: Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema bei deutschlandradio.de:
Milliarden für Afghanistan bis zum Militärabzug -
Deutschland sagt Kabul 430 Millionen Euro pro Jahr zu *
USA erklären Afghanistan zu wichtigem Verbündeten -
Deutschland sieht Kabul durch Finanzzusagen in der Pflicht *
Auf- und Umbruch in Afghanistan
Vor der Geberkonferenz in Tokio (DLF) *
Fragile Bündnisse, schwelende Konflikte
Deutsche Soldaten bereiten den Abzug aus Afghanistan vor (DLF) *
Umschlagplatz und Handelszentrum für Drogen
Drogenalltag und Drogenpolitik in Afghanistan (DLF) *
Misstrauen regiert in Afghanistan
Ein Lagebericht vor der Bonner Konferenz (DLF) *
Schulbänke hinter afghanischen Lehmmauern
Bildungsangebot für afghanische Mädchen und Frauen (DLF) *
Hehre Ziele, falsche Partner
Zehn Jahre Einsatz in Afghanistan (DLF) *