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Neue Ausgabe von "Charlie Hebdo"
Die Zeitung der Überlebenden

Wer "ich bin Charlie" sagt, muss auch "ich bin die Laizität" sagen - das meint der Chefredakteur von "Charlie Hebdo" nach der Veröffentlichung der ersten Ausgabe seit dem Anschlag. Das Titelbild des Heftes soll mit beißendem Humor zeigen: Ihr habt nicht gewonnen.

Von Kathrin Hondl | 14.01.2015
    Die erste Ausgabe von "Charlie Hebdo" nach dem Anschlag zeigt eine Karikatur Mohammeds auf dem Titel
    Die erste Ausgabe von "Charlie Hebdo" nach dem Anschlag zeigt eine Karikatur Mohammeds auf dem Titel (imago stock&people)
    "Charlie Hebdo" Nummer 1178 ist ein echter Charlie. Und was es heißt, Charlie zu sein, das stellt Chefredakteur Gérard Biard in seinem Leitartikel klar: "Die Millionen Menschen", schreibt er da, "alle Institutionen, Staats- und Regierungschefs und Intellektuellen, alle Persönlichkeiten aus Politik und Medien, alle religiösen Würdenträger, die diese Woche "je suis Charlie" gerufen haben, müssen wissen, dass das auch bedeutet - "je suis la laicité". Zitat Ende. "Ich bin die Laizität". Das wiederum - ein Prinzip, das neben Frankreich nur ein Dutzend Länder in seinen Verfassungen verankert hat - bedeutet: weltanschauliche Neutralität des Staates, Distanz zu den Religionen und ihrem absoluten Wahrheitsanspruch. Zum Beispiel gegenüber der muslimischen Glaubensvorstellung, dass der Prophet Mohammed nicht abgebildet werden dürfe. Die erste Ausgabe von "Charlie Hebdo" nach dem Attentat vor einer Woche zeigt wieder ein Mohammed-Bild auf der Titelseite: Einen weinenden Mohammed mit einem "Je suis Charlie"-Schild unter der Überschrift "Alles ist verziehen".
    "Das Titelbild war eine lange und schwierige Geburt unter Schmerzen, sagt Gérard Biard. Aber es brachte uns zum Lachen. Und ich hoffe, es wird die ganze Welt zum Lachen bringen, die unser Heft kaufen wird."
    Das von Trauer gezeichnete Titelbild ist die einzige Mohammed-Karikatur in "Charlie Hebdo" Nummer 1178. Und es ist auch der vielleicht sanfteste, zärtlichste Beitrag des Hefts, das vor allem den islamistischen Mördern mit beißendem Humor zeigt: Ihr habt nicht gewonnen. "Charlie Hebdo" lebt weiter. Den Triumph der Karikaturisten über die Dschihadisten demonstriert zum Beispiel ein Cartoon auf der letzten Seite, wie der Titel gezeichnet von Luz: Mit Engelsflügeln und umgehängten Kalaschnikows kommen da die beiden schwarz vermummten Terroristen im Himmel an. "Wo sind sie denn nun, die 70 Jungfrauen?" fragt der eine. "Bei den Charlie-Leuten, ihr Flaschen!" ruft es von der Wolke nebenan aus einem fröhlichen Durcheinander nackter Leiber. Bitterer ist dagegen ein großformatiger Beitrag des Zeichners Riss, der bei dem Attentat schwer verletzt wurde: Ein kleiner erschöpfter Typ sitzt zeichnend vor einem Stapel "Charlie Hebdo" am Schreibtisch. Überschrift: "Charlie Hebdo"-Zeichner zu sein bedeutet 25 Jahre Maloche. Darunter - unter der Überschrift: "Terrorist zu sein bedeutet 25 Sekunden Maloche" - ein schwarz maskierter Dschihadist, der mit grimmigem Gesicht Menschen erschießt. Und dann das Fazit: "Terrorist ist ein Beruf für Faule und Wichser."
    Aber auch die "Je suis Charlie"-Massen bekommen ihr Fett weg. "Unterdessen in Bangladesch" heißt eine Zeichnung von Catherine Meurisse: Zu sehen sind ausgemergelte Textilarbeiter beim Nähen von schwarzen "Je suis Charlie"-T-Shirts, wie sie am Rand der Großdemonstration in Paris verkauft wurden.
    "Meinungsfreiheit kennt kein Aber"
    Karikaturen macht man nicht, weil man sich sagt: Ich verteidige jetzt die Meinungsfreiheit, sondern weil man eine Idee ausdrückt, betonte der Zeichner Luz gestern auf einer Pressekonferenz und erinnerte an die relative Einsamkeit des Satiremagazins vor dem mörderischen Terroranschlag. Als viele - nicht nur in Frankreich - mit Blick auf religiöse Empfindlichkeiten meinten, Charlie strapaziere die Meinungsfreiheit zu sehr.
    "Es war kompliziert, verständlich zu machen, wer wir sind. Was der Geist von Charlie ist. Da gab es viel "ABER" - wir seien Provokateure, hieß es. Oder, als es den Brandanschlag auf die Redaktion gab, da meinten viele: Schlimm, ABER irgendwo haben sie's auch verdient. Meinungsfreiheit kennt aber kein ABER. Nur ein JA!"
    Und zwar - ganz im Sinne der Laizität und der französischen Aufklärung - auch und gerade mit Blick auf religiöse Wahrheitsverfechter. "Was uns am meisten zum Lachen brachte war, dass die Glocken von Notre-Dame uns zu Ehren geläutet haben," schreibt Gérard Biard im Leitartikel und schließt mit einer "Botschaft" an Papst Franziskus, der "diese Woche auch Charlie ist": "Dass die Notre-Dame-Glocken uns zu Ehren läuten, akzeptieren wir nur, wenn Femen-Aktivistinnen sie zum Bimmeln bringen." Solchen Blödsinn muss aushalten können, wer "Je suis Charlie" sagt. Denn wer das sagt, sagt eben auch: "Je suis la laicité".