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Neue Chance mit Fußball?

Im Schatten des Maracana-Stadions, in Rios Favela Mangueira, kickt der Nachwuchs gegen die deutsche Studenten-Nationalelf. Das Projekt "Nova Chance" ist ein typisches Hilfsprojekt, dass den Fußball als Werkzeug nutzt und schnell wieder verschwindet.

Von Jonas Reese | 16.06.2013
    Am Ende einer engen, kurvenreichen Straße in Rios Norden, steil den Berg hoch, im Rücken das grün erleuchtete Maracana-Stadion. Hier liegt der Sandplatz von Mangueira. Einer befriedeten, aber immer noch nicht ganz ungefährlichen Favela.
    Der Platz für viele hier ebenfalls ein Stadion zum Träumen:

    "Messi, Christiano Ronaldo!"

    Christiano Ronaldo, Messi oder Carles Puyol. Zahlreiche Kinder und Jugendliche laufen auf dem Platz wild umher und überbieten sich gegenseitig mit ihren Fußballidolen. Das Flutlicht wirft ihre Schatten auf die riesige, braune Felswand, die das Spielfeld auf der einen Seite begrenzt. Die blitzenden Lichter der wachestehenden Polizeiwagen verleihen dieser Abendstunde einen farbigen Schimmer.
    Anspannung und Aufgeregtheit herrschen auf und rund um den Platz. Besonderer Besuch hat sich heute angekündigt.
    Die deutsche Studenten-Nationalmannschaft ist zu einem Freundschaftsspiel gegen die Favela-Auswahl gekommen.

    "Die deutsche Elf hat eine kleine Botschafterfunktion. Deswegen ist die Finanzierung nicht nur vom DFB auf die Beine gestellt worden, sondern auch das Auswärtige Amt hilft da mit. Deswegen spielen wir auch nicht nur Fußball, sondern besuchen Projekte, machen Geschenke und unterhalten uns mit vielen Leuten, und so hat diese Studentenelft durchaus eine Berechtigung."

    Erklärt Jürgen L. Born. Der ehemalige Präsident von Werder Bremen und Südamerika-Kenner begleitet das Team auf der einwöchigen Reise durch das WM-Gastgeberland.
    Heute besucht die Elf die Einrichtung Nova Chance. Übersetzt Neue Chance. Die NGO hat diesen Platz hier gebaut und nutzt den Fußball für ihre soziale Arbeit, sagt Ely Cabral, der Leiter der Organisation.

    "Wir benutzen den Fußball als sozialen Fußball.
    Um Disziplin zu lernen, Kompromissfähigkeit, wie man Konflikte löst. Weil auf dem Platz gibt es ja viele Konflikte.
    Nach Ende des Spiels, sitzen wir dann immer zusammen und versuchen zu lernen. Wie lösen wir Konflikte. Wie hält man sich unter Kontrolle. Es ist ein langer Weg."

    Die recht ausgeglichene Freundschaftspartie gewinnt am Ende das deutsche Team knapp mit 4:3.
    Für die 18-jährige Lorrane, einziges Mädchen auf dem Feld, eine neue Erfahrung:

    "Es hat Spaß gemacht. Vorher hatte ich etwas Angst, weil die alle so groß waren. Ich dachte, oh Gott, wo bin ich? Aber dann habe ich mich daran gewöhnt. Fußball bedeutet für mich eine Menge. Es ist schon immer mein Traum. Es ist schwierig darüber zu sprechen. Es gab Momente in denen ich kurz davor war mit dem Fußball aufzuhören, aber das geht jetzt nicht mehr. Jeden Morgen sage ich mir, nein, das ist mein Traum also folge ihm. Also fange ich immer von vorne an und verfolge diesen Traum. Es ist zwar ein Kampf jeden Tag, aber ein Kampf den ich gewinne, deswegen kann ich hier sein und ihn weiter verfolgen."

    Zielstrebigkeit, ein Wert, den Lorrane offenbar durch den Fußball schon gelernt hat. Auch dafür kommen die deutschen Studenten hierher, sagt ihr Torhüter Christoph Semmler, Sportstudent aus Köln.

    "Der Kern der Reise ist, anderen Leuten zu zeigen, dass man mit Lernen und Fußball spielen auch was erreichen können. Dass wir auch Deutschland repräsentieren, das kultureller Austausch stattfindet. Ich glaube, soziale Benachteiligte nicht immer so die Chance haben auf einen kulturellen Austausch. Auch eine gute Chance für sie mal an so etwas teilzuhaben."

    Der Kulturaustausch in Mangueira währt aber nur kurz. Eine viertel Stunde nach Abpfiff ist das deutsche Team unter Polizeischutz schon wieder abgefahren. Die Brasilianer spielen schon längst die nächste Partie.