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Neue Deutsche Welle-Star
"Wir leben in der Zukunft der 80er"

"Tanz den Mussolini" oder "Verschwende Deine Jugend": Als Deutsch-amerikanische Freundschaft (kurz DAF) waren Gabi Delgado und Robert Görl die Provokateure der Neuen Deutsche Welle. Heute widmet sich Gabi Delgado wieder der Musik, allerdings als Solo-Künstler. Im Corso-Gespräch spricht er über sein neues Album "2" – und warum er CDs mit 10 Songs nicht mag.

Christoph Reimann im Gespräch mit Gabi Delgado | 15.08.2015
    Christoph Reimann: Herr Delgado, auf Ihrer neuen Platte, die ja schlicht "2" heißt, da sind 32 Songs drauf. Und das sind ja nicht mal nur kurze Songs, sondern die haben die normale Popsong-Länge - so drei bis vier Minuten. Das macht insgesamt drei Stunden Musik. Woher kommt dieser Inspirationsschwall?
    Gabi Delgado: Das ist ja das Ergebnis von mehreren Jahren Arbeit, auch. Ich gehe fast jeden Tag oder jeden zweiten Tag auf jeden Fall ins Studio und mache dann halt was. Und irgendwann sammelt sich so viel Material, dass man denkt: So, jetzt ist es soweit, jetzt mache ich ein Album draus. Und ich hatte wirklich so viele Stücke, und in letzter Zeit ist es auch so, dass es mich teilweise auch ärgert, diese CDs mit zehn Stücken ...
    Reimann: ... weil man das im digitalen MP3-Zeitalter gar nicht mehr braucht, oder woran liegt das?
    Delgado: Nee, das liegt an einer allgemeinen Knauserigkeit und Geiz in Leben und Kunst, möchte ich ... Ich halte das für ein wirkliches gesellschaftliches Phänomen, dass man versucht, mit einem möglichst geringen Aufwand an Ressourcen, Material und Seele auch, im Endeffekt, durchzukommen. Geiz ist eben nicht geil! Großzügigkeit ist geil. Ich finde, man soll alles geben, nicht nur wegen Value for Money, wie der Engländer sagt, dass die Leute für ihr Geld auch wirklich möglichst viel kriegen, sondern auch als Statement. Ich würde sagen, dass man als Künstler und auch als Mensch großzügig sein soll und möglichst viel geben. Oder alles geben.
    Reimann: Aber auch Sie wollen Geld verdienen mit ihrer Musik.
    Delgado: Ja, selbstverständlich. Selbstverständlich. Das verdiene ich ja dann auch. Ja. Aber das verdiene ich genauso mit zehn Stücken wie mit 32 Stücken, und da gebe ich lieber 32 fürs gleiche Geld, auch. Und wenn man im Prinzip ein gutes Leben hat und bestens versorgt ist, ja, dann sollte man den Rest verschenken.
    Reimann: Aber das ist nun wiederum auch eine sehr privilegierte Haltung, die Sie vielleicht haben können, weil Sie einfach schon so lange dabei sind, also seit Ende der 70er machen Sie ja Musik, veröffentlichen Sie Musik.
    Delgado: Ja. Ja, klar, das weiß ich, dass ich in einer privilegierten Position bin. Als junger Punk konnte ich mir das nicht leisten zu sagen: So, die nächste Platte mache für kein Geld, ja. Aber jetzt kann ich mir das leisten, und das möchte ich dann auch nutzen. Weil ich habe so viel gekriegt durch die Musik, dass ich auch viel zurückgeben kann.
    "Geschichte ist immer ein Kommentar"
    Reimann: Es ist vielleicht auch gar kein Zufall, dass Sie jetzt, im vergangenen Jahr, in diesem Jahr, wieder Musik rausbringen, denn es scheint ja gerade diese Zeit, in der Sie angefangen haben, Ende der 70er, Anfang der 80er, die scheint jetzt wieder ganz aktuell zu sein. In München, im Haus der Kunst, da gibt es eine Ausstellung zu den "Genialen Dilletanten", dann hat Wolfgang Müller mit der Tödlichen Doris gerade zwei Alben noch mal wiederveröffentlicht, sehr aufwendig, es gibt ein neues Buch von Andreas Donau, sozusagen seine Biografie, und Sie machen auch wieder Musik. Wie erklären Sie es sich, dass das jetzt wiederkommt?
    Delgado: Ich denke, dass die Eighties, um das mal so zu sagen, jetzt eigentlich lange immer wieder neuen Interpretationen auch die Tagespolitik bestimmen in Kunst und Kultur und Musik. Dass die Eighties im Prinzip, ich glaube, von der Mobiltelefonie und vom Internet abgesehen, im Prinzip alles ... Wir leben quasi in der Zukunft der 80er-Jahre. Alle wesentlichen Errungenschaften, die sich jetzt natürlich weiterentwickelt haben, vor allem in der Musik, also sprich Sampler, Computermusik, Synthesizer, aber auch politisch: Neoliberalismus, Thatcherismus, Reagonomics - das sind Sachen, die in den Eighties entstanden sind und die heute noch immer die Welt bestimmen. Und in gewisser Weise leben wir in dem, was man in den Eighties projiziert hat als Zukunft, also gesellschaftlich, politisch und auch künstlerisch.
    Reimann: Damals, Anfang der 80er, da gehörten Sie ja zu den Vorreitern dieses neuen Sounds, mit DAF, mit Songs wie "Tanz den Mussolini" oder "Der Räuber und der Prinz". Wenn man an diese Ausstellung denkt im Haus der Kunst zum Beispiel, da sind Sie auf einmal im Museum, in einer Art Vitrine sozusagen. Was in einem Museum ist, das ist im Grunde auch vergangen, das ist angestaubt. Das kann Ihnen doch nicht gefallen, oder?
    Delgado: Ich sehe das ja wirklich so, wie auch in einem Text ausgedrückt ist, dass Geschichte halt geschrieben wird. Und dass Geschichte immer ein Kommentar ist. Und die Dokumentation der Geschichte entspricht natürlich nie der Wahrheit, ja. Ich finde das schon auch teilweise befremdlich, muss ich schon sagen, ja, weil gerade ich, auch mit DAF aber auch mit anderen Projekten, bin immer ein Mensch gewesen, der genau dafür stand, Denkmäler zu zerstören oder umzukippen oder auf die Tanzfläche zu bringen und nicht, welche aufzubauen, ja. Trotzdem verstehe ich den Wunsch, den nun mal die Kulturhistorie halt hat, wichtige Entwicklungen zu dokumentieren. Das verstehe ich schon. Wenn das allerdings in der bloßen Nostalgie verharrt, dann gefällt mir das nicht. Ich bin kein Nostalgiker. Aber ich denke, dass man aus der Historie schon lernen kann. Nur sollte man das, was man auch der Historie lernt, dann auch umwandeln können und in neue Sachen projizieren. Wenn es allerdings wirklich bei der Nostalgie bleibt, dann bin ich ein wirklicher Feind dagegen. Mir gefällt das nicht: eine Eighties-Party, wo sich dann alle anziehen wie in den Eighties, und dann Eighties-Musik läuft. Weil es sind nicht mehr die Eighties. Und man kann alle kulturellen Entwicklungen immer nur im Zeitkontext betrachten.
    Reimann: Aber da muss ich dagegenhalten. Denn ein Song auf Ihrer Platte ... Da gibt es ja die Songzeile, "Wir feiern eine Party wie 1982".
    Delgado: Richtig, genau. Ja, das spielt halt damit, ja. Das ist aber auch ... Der Text ist ja durchaus ironisch gemeint. Da wird ja so ein grenzenloser Optimismus verbreitet ... "Wir feiern jetzt 'ne Party und nehmen alle Freunde mit auf die grüne Wiese", das ist ja, sage ich mal, am Rande des Märchens, das ist ja durchaus ironisch gemeint. "... so ein Casio und trinken nur noch Bluna und ...", also da ist ein großer Schuss Ironie da drin und soll sich eigentlich genau über diese Sache auch dann ... nicht lustig machen, aber das doch so, sage ich mal, zumindest als Karikatur auch darstellen.
    "Musik war immer die Flagge von Jugendbewegungen"
    Reimann: Sie haben ja eben angesprochen, es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen der Jetzt-Zeit und Anfang der 80er. Da gibt es dann aber auch viele Unterschiede. Die Rolle von DAF war es ja immer, zu provozieren, zum Beispiel eben mit Songs wie "Tanz den Mussolini, tanz den Adolf Hitler". Ich denke: Womöglich war es damals auch einfacher, zu provozieren.
    Delgado: Ja, das werde ich oft gefragt. Und ich denke eben nicht, ja. Ich denke, es ist wirklich... Manche Tabus sind dann irgendwann mal keine mehr, dafür entstehen andere Tabus. Ich glaube auch nicht, dass die Gesellschaft freier geworden ist. Ich glaube, dass es heute halt neue Tabus gibt, ja. Und dass das genauso leicht ist zu provozieren wie früher. Jetzt bei meiner neuen Platte, das ist sicher auch nicht so radikal wie "Tanz den Mussolini", aber wo ich da sage: "Zerstört die Disko, zerstört die Bank, zerstört das Bundeskanzleramt", kriege ich auch schon wieder Gegenwind, (von Leuten, die) sagen: Ja, ist das nicht die Aufforderung zur Gewalt? Das Bundeskanzleramt? Das kannst du nicht bringen, Gabi, und so.
    Reimann: Warum muss man das bringen? Warum haben Sie sich dazu entschlossen?
    Delgado: Man muss das nicht bringen. Aber als Künstler darf ich machen, was ich will. Das ist so entstanden aus diesem Gefühl, dass ich wirklich denke, dass, sage ich mal, die alten Institutionen, also sprich Kirchen, Gewerkschaften, Staat im Prinzip so viel an Kraft, Daseinsberechtigung und Macht verloren haben, dass sie wirklich im Prinzip durch andere ersetzt werden könnten. Ich weiß, das wird in Deutschland nicht so geführt, die Diskussion. Weil ich beobachte wirklich viele verschiedene Nachrichtenkanäle, und das spielt hier noch keine Rolle. Aber ich denke schon, dass in anderen Ländern wie Spanien, oder auch Griechenland, Italien, Frankreich, England, selbst USA, es momentan eine Riesen-Bewegung gibt, andere Formen der Demokratie zu finden.
    Reimann: In Spanien bekommen Sie's ja live mit. Sie wohnen seit einer Weile wieder in ihrem Geburtstort, Córdoba. Welche Rolle - also, Sie, als jemand, der in Spanien lebt - welche Rolle spielt da die Musik, die Künstler?
    Delgado: Eine untergeordnete Rolle, muss ich sagen. Ich denke ... Musik hat ja oft kulturelle und auch politische Revolutionen ausgelöst. Und Musik war bis jetzt immer, sage ich mal, die Flagge von Jugendbewegungen. Und ich denke, das hat sich geändert. Ich weiß noch, also ich ein Kind war, ich und alle meine Freunde, haben uns eigentlich über die Musik definiert. Wir haben unser ganzes Taschengeld für Platten ausgegeben. Und das war eine ganze Zeitlang so, aber heute gibt man Geld für Smartphones aus, für Flatrates, für Modelabels, für Video Games, ja, und die Musik, denkt man, kriegt man umsonst, eigentlich, aus dem Netz. Ich denke, dass die nächste Revolution, die nächste Jugendbewegung sicher eher mit Internet als mit Musik zu tun hat. Bin ich ganz, ganz sicher.