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"The 15:17 to Paris"
Clint Eastwood und die Konstruktion seiner Helden

Die drei US-Bürger, die 2015 im Hochgeschwindigkeitszug nach Paris einen vermeintlichen Terroristen überwältigen, sind nicht nur die Helden im neuen Clint-Eastwood-Film "The 15:17 to Paris", sondern spielen sich auch selbst. Dabei herausgekommen ist heldischer Welten- und Seelenretter-Schmarrn.

Von Hartwig Tegeler | 17.04.2018
    Filmszene aus "The 15:17 to Paris" - Spencer Stone und Anthony Sadler gehen durch das Großraumabteil eines Thalys
    Spencer Stone und Anthony Sadler entwaffneten 2015 im Thalys von Paris nach Amsterdam einen mutmaßlichen Attentäter - nun hat Clint Eastwood die Geschichte verfilmt (Warner Bros. Picture)
    Klassischer geht's nimmer, wenn Spencer Stone - gespielt von Spencer Stone - auf Europareise seinen Kumpel Anthony Sadler alias Anthony Sadler - diese Frage stellt:
    "Hast Du manchmal das Gefühl, dass das Leben irgendwas mit uns vorhat, wie eine innere Bestimmung?"
    Auf geht's im Trailer zur Heldenreise in Clint Eastwoods "The 15:17 to Paris". Und weil dieser Mann - Ex-Soldat - eben diese Bestimmung verwirklicht im Kampf gegen den Attentäter im Hochgeschwindigkeitszug von Paris nach Amsterdam, genau deswegen wird er am Ende umso lichter strahlen. Er hat gerettet. Wie die anderen Eastwood-Helden, egal ob Westerner, Scharfschütze, Flugkapitän, Cop oder Dieb.
    "Gnade!" / "Abgelehnt, keine Chance!"
    Die Realität wird zum Film
    Aber wie es ist möglich, diese Helden zu Superhelden zu machen, ohne dass sie so ausgewiesen sind? Clint Eastwoods Antwort: Nimm eine wahre Geschichte und reale Personen und modelliere sie 1:1 zu Kinofiguren.
    "Komm, mach die Nachrichten an: Du bist ein Held."
    "True stories - true heroes". Ob es der südafrikanische Rugby-Mannschaftskapitän in "Invictus" ist, ob es der Scharfschütze in "American Sniper" ist mit seinen 160 Tötungen, der Flugkapitän "Sully" Sullenberger oder jetzt die beiden US-Jungs, die den vermeintlichen Attentäter im Zug überwältigen und sich - kein Scherz! - tatsächlich selber spielen.
    Und so werden wir hineingeführt in eine Weltsicht, bei der sich nicht die Frage stellt, ob das Kino Realität adaptiert, sondern - im Gegenteil - es wird uns untergejubelt, dass die politische wie historische Realität wie das Kino funktioniert. Nehmen wir Kapitän "Sully" im gleichnamigen Film, der sein Flugzeug auf dem Hudson River notlandet und Passagiere und Crew rettet. "True hero - true story" - die 2009 allerdings nicht einmal ganz dreieinhalb Minuten dauerte.
    "Nur der Hudson war lang genug, glatt genug und weit genug, um auch nur zu versuchen, das Flugzeug sicher aufzusetzen."
    Eine dünne Story? Aber es geht im Kern um Anderes bei Eastwoods Helden. In "Sullys" Albträumen rast das havarierende Flugzeug in einen Wolkenkratzer. Natürlich eine Assoziation zum 11. September, die Eastwood bedient. Und da ist sie da, ganz deutlich, drängend, wuchtig: die Aufgabe, die der Eastwood'sche Held auf seiner Heldenreise zu erfüllen hat: die, die traumatisierten amerikanischen Seelen nämlich zu heilen. Im Gegenbild, selbst wenn die auch nur Fantasie ist. Aber Labsal für die Seele.
    Ideologisches Heldenkino
    Ideologisch sind diese Figuren extrem diffus, mal sind sie für Selbstjustiz, mal reflektieren sie Gewalt. Aber darum geht es eben gar nicht bei Eastwood: Solange der Held nämlich die Welt und die amerikanischen Seelen rettet, ja, erlöst, ist alles gut im Kosmos des Clint Eastwood. Wie grummelt der alte Rassist und Koreakriegs-Veteran, …
    "Runter von meinem Rasen."
    … der den asiatischen Jungen von nebenan in "Gran Torino" gegen die asiatische Gang von gegenüber rettet.
    "Okay, jetzt hört genau zu: In Zukunft wird Tao in Ruhe gelassen, klar? Sag das auch deinen Freunden. Hände weg von Tao! Das ist alles - kapiert? Ich denke, das heißt ja. Denn wenn ich noch einmal wiederkommen muss, dann wird es wirklich hässlich."
    Am Ende opfert sich der alte Misanthrop und wird dabei zur Erlöser-Jesus-Figur. Der Held kehrt mit der "Kraft, seine Mitmenschen mit Segnungen zu versehen, von seiner geheimnisvollen Fahrt zurück". So beschrieb der Wissenschaftler Joseph Campbell in seinem Basiswerk das Ende der Heldenreise, dieses Grundmuster des filmischen Erzählens.
    Bei Clint Eastwood rettet der individuelle Held Land, Gemeinde und die Familie. Dessen Heldenkino wird zu der amerikanischen Ideologie. In den letzten Filmen scheint die pessimistische Weltsicht, die Clint Eastwood in Filmen wie "Erbarmungslos", "Mystic River" oder "Letters from Iwo Jima" durchaus auch bediente, ganz abgelöst durch den heldischen Welten- und Seelenretter-Schmarrn. Wie in diesem "true story - true heroes"-Stereotyp, das er jetzt aktuell in "The 15:17 to Paris" abspult . Man schütze uns vor Leinwand-Helden mit dieser Weltsicht, die reale Politiker inzwischen zu realer Politik animieren.