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Die Andenken zweier Mütter

Die Memoiren einer Filmdiva lassen in "La Vérité – Leben und lügen lassen" einen Mutter-Tochter-Konflikt aufbrechen. Eine narzisstische Adelstochter steht im Zentrum von "Emma.“. Im zerstörten Aleppo ist der Film "Für Sama" entstanden, den die Syrerin Waad al-Kateab ihrer Tochter gewidmet hat.

04.03.2020
Zwei Frauen spazieren im Park
Anya Taylor-Joy als Emma in dem gleichnamigen Film von Autumn de Wilde (www.imago-images.de /ZUMA / Focus Features)
"Welche Schauspielerin hat Ihnen mehr als jede andere ihre DNA weitergegeben?"
"Ich war immer ich selbst."
Konflitkreicher Mutter-Tochter-Diskurs
Catherine Deneuve als französische Filmdiva Fabienne, die nicht nur betont, dass sie als Schauspielerin schon immer unvergleichlich gewesen ist. Sie lässt ihren Gesprächspartner – einen Journalisten – ebenso spüren, dass sie es ist, die das Heft in der Hand hält. Anlässlich der Veröffentlichung von Fabiennes Memoiren ist auch ihre Tochter Lumir, die von Juliette Binoche gespielt wird, mitsamt Ehemann und Kind nach Paris gekommen. Allerdings weicht die Neugierde auf die Biografie schnell einer Verblüffung über das, was ihre Mutter da schreibt.
"Was soll das, Mama? Du verarschst uns doch. ‚Vor dem Schultor auf meine Tochter zu warten und zu sehen, wie sie auf mich zuläuft, bereitete mir Freude.‘ Das ist nicht ein einziges Mal vorgekommen."
"Ich bin Schauspielerin. Ich erzähle wohl kaum die nackte Wahrheit."
Der Nährboden für einen konfliktreichen, möglicherweise sogar auch amüsanten Mutter-Tochter-Diskurs ist damit vorbereitet. Doch weder als Drama noch als Komödie kann "La Vérité – Leben und lügen lassen", die erste fremdsprachige Regiearbeit des Japaners Hirokazu Koreeda, wirklich überzeugen. Zu brav und zu wenig pointiert fallen die Wortduelle aus und zu küchenpsychologisch gerät der Handlungsstrang von den Dreharbeiten zu Fabiennes neuem Film. Dessen Mutter-Tochter-Thematik dient allein dazu, der Filmdiva einen Spiegel vorzuhalten.
"Lieber eine schlechte Mutter und schlechte Freundin und dafür eine gute Schauspielerin. Und wenn du mir das nicht verzeihst: Das Publikum tut es."
Dank der zwei Ausnahmeschauspielerinnen Deneuve und Binoche wird auch bei "La Vérité" das Publikum über die Schwächen des Films milde hinwegsehen. Aber der Eindruck vom verschenkten Potenzial bleibt.
"La Vérité – Leben und lügen lassen": zwiespältig
"Denken Sie, ich sollte besser ‚Nein‘ sagen?"
"Sie müssen selbst über ihr Glück bestimmen."
Wechselspiel zwischen Farce und Drama
Das ist natürlich knallhart gelogen. Schließlich bereitet der hübschen, klugen und reichen, aber auch gelangweilten Emma Woodhouse nichts im Leben eine größere Freude, als die Ehestifterin zu spielen. Für ihren neuesten Verkupplungsversuch hat sich die von Anya Taylor-Joy gespielte Titelheldin aus Jane Austens 200 Jahre altem Roman ihre Freundin Harriet Smith auserwählt. In ihr hat sie die perfekte Ehefrau für den Dorfvikar Mr. Elton ausgemacht. Dass der Vikar selbst längst ein Auge auf Emma geworfen hat, entgeht der Strippenzieherin dabei völlig.
"Ich muss mir diese kostbare Gelegenheit zunutze machen, um Ihnen meine Gefühle zu gestehen."
"Sie haben zu viel Wein getrunken. Mr. Elton, Sie vergessen sich!"
Der Protagonistin hat sich jetzt die US-amerikanische Werbe- und Musikvideoregisseurin Autumn de Wilde angenommen. "Emma." ist ihr Spielfilmdebüt. Der vollständige Titel lautet eigentlich "Emma Punkt". Das hinter dem Namen gesetzte Satzzeichen mutet wie ein Statement an. Das zeugt – nach diversen "Emma"-Adaptionen für Kino und Fernsehen – von demselben Selbstbewusstsein, mit dem auch die Titelheldin reichlich ausgestattet ist. Der Filmemacherin gelingt mit ihrem bunten Wechselspiel zwischen Farce und Drama ein frischer Blick auf das zeitlose Werk, an dessen Ende drei Hochzeiten und ein Todesfall stehen. "Emma" ist eben die Mutter aller romantischen Dramödien.
"Emma.": empfehlenswert
Wer kennt sie nicht – die Handyvideos von stolzen Müttern und Vätern, auf denen ihr Baby unmittelbar nach der Geburt zu sehen ist? Später werden auf weiteren Filmen die ersten Worte und ersten Schritte festgehalten. Auch die Journalistin Waad al-Kateab filmt ihr Neugeborenes mit dem Handy. Nur dass ihre Tochter Sama am 7. Februar 2016 im syrischen Aleppo zur Welt gekommen ist.
Sama sei ihr erstes Baby. Erzählt die Mutter. Der Name bedeute Himmel. Sie liebe den Himmel, aber nur den ohne Luftwaffe und ohne Bomben. Die Kamera fängt ein Lächeln auf Samas Gesicht ein. Glückliche Sekunden. Denn bald schon werden wieder Einschläge in unmittelbarer Nähe zu hören sein.
Der Alltag im Krieg
Aus diesen Handy- und Kameraaufnahmen, die Sama zeigen, vor allem aber auch das Leben ihrer Eltern und deren Alltag in einer vom Krieg gezeichneten Stadt, ist ein eindringlicher Film entstanden: ein Liebesbrief von Waad al-Kateab an ihre Tochter.
Sein Mädchen, so Samas Vater, würde gerade fragen, warum es die Mama überhaupt geboren habe. Daraufhin hören wir die Stimme der Mutter aus dem Off: "Sama, du bist das Schönste in unserem Leben. Aber was für ein Leben mute ich dir zu? Du hast dir das nicht ausgesucht. Wirst du mir das je verzeihen?"
Die permanente Bedrohung, die Ohnmacht sowie der Tod von Freunden und Nachbarn wechseln sich mit Momenten der Hoffnung ab. Dieser Film ist ein einzigartiges Zeitdokument: berührend und erschütternd.
"Für Sama": herausragend