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Drauf gepfiffen

Im Drama "Ben Is Back" pfeift eine Mutter auf die Beteuerungen ihres Sohnes, clean zu sein. Ein junges Paar pfeift auf die DDR in der Vorwendegeschichte "Adam und Evelyn". Und Komponist Christian Bruhn, dessen Lieder jeder pfeifen kann, wird in "Meine Welt ist die Musik" porträtiert.

Von Jörg Albrecht | 09.01.2019
    Szene aus dem Film "Adam und Evelyn" von Andreas Goldstein. Zu sehen sind die Schauspieler Florian Teichtmeister, Lena Lauzemis, Anne Kanis und Milian Zerzawy
    Szene aus dem Film "Adam und Evelyn" von Regisseur Andreas Goldstein (Andreas Goldstein)
    "Hast du gesehen? Seine Augen leuchten wieder. Es geht ihm eindeutig besser, ich habe ein sehr gutes Gefühl bei der Sache."
    "Ich aber nicht."
    Nicht alle Familienmitglieder teilen das sehr gute Gefühl der vierfachen Mutter Holly, als ihr ältester Sohn Ben unangekündigt an Heiligabend auf der Matte steht. Der 19-Jährige, der in einer Entzugsklinik untergebracht ist, will Weihnachten mit seiner Familie feiern. Obwohl Ben sie schon oft belogen und enttäuscht hat, ist Holly voller Hoffnung, dass es ihrem Sohn bessergeht und er von den Drogen endgültig losgekommen ist.
    Bereits die ersten Minuten unterstreichen, dass "Ben Is Back" ein Film über die Liebe einer Mutter ist. Allerdings keiner bedingungslosen, denn die legt Ben einen Regelkatalog für die Feiertage vor.
    "Ich sage dir, wie es läuft, und das ist nicht verhandelbar: Du kannst hierbleiben, okay?"
    "Ja, okay."
    "Ich bin noch nicht fertig. Die Tür zu deinem Zimmer bleibt immer geöffnet. Wenn dein Bett auch nur quietscht, hast du mich am Hals. Weil du in den nächsten 24 Stunden nur mir gehörst. Nur mir ganz allein. Hast du das verstanden?"
    Mutter-Sohn-Drama
    Die Szenen zwischen Mutter und Sohn sind das Herzstück des Films und haben alle Zutaten, für die Schauspieler – in diesem Fall Julia Roberts und Lucas Hedges – morden würden. Doch die Schwächen des Drehbuchs können auch sie nicht vergessen machen.
    Angesichts des eng gesteckten Zeitrahmens der Handlung muten viele Situationen methodisch an. Sie sind nur dazu gut, dem Zuschauer Informationen mit auf den Weg zu geben – wie zum Beispiel die, dass an Bens Sucht ein Arzt schuld ist, der ihn in jungen Jahren mit Medikamenten vollgepumpt hat. Das ist dramaturgisch hilflos. Überhaupt lässt "Ben Is Back" mit zunehmender Dauer stark nach. Denn das Familiendrama wandelt sich in der zweiten Hälfte zu einem unnötigen Krimi.
    "Ben Is Back": zwiespältig
    "Ich wollte euch nicht wecken."
    "Lass dich bloß nicht bequatschen!"
    "Können wir nicht mal reden?"
    "Damit kommst du einen Tag zu spät. Ich fahre mit Simone."
    Was der eine Regisseur zu viel macht, macht der andere zu wenig. Bei seinem Spielfilmdebüt gibt sich Regisseur Andreas Goldstein betont minimalistisch. Nüchtern erzählt er in "Adam und Evelyn" von Abschied und Neuanfang sowie von einer Flucht.
    Flucht aus der DDR
    Die Geschichte beginnt in der DDR im Sommer 1989, wenige Monate also vor dem Fall der Mauer. Adam und Evelyn, seit längerem ein Paar, stecken in der Krise. Eigentlich wollten sie gemeinsam am Balaton Urlaub machen. Doch Evelyn fährt stattdessen mit einer Freundin. Um die Beziehung zu retten, reist Adam ihr nach.
    "In diesen Tagen halten sich nach amtlichen Schätzungen etwa 200.000 DDR-Bürger in Ungarn auf."
    Vor dem Hintergrund der geöffneten ungarisch-österreichischen Grenze und der einsetzenden Fluchtwelle von DDR-Bürgern über Ungarn denken auch Adam und Evelyn über eine Zukunft im Westen nach. Während er verhalten reagiert, sieht sie darin eine Chance.
    "Vielleicht war das ja ein Zeichen."
    "Was denn für ein Zeichen?"
    "Dass wir zusammen von vorne anfangen sollen."
    Ein Dialog wie dieser ist geradezu eine Explosion der Gefühle in einem weitgehend emotionslosen, hingehauchten Film, in den die Figuren oft wie die Bestandteile eines Stilllebens drapiert worden sind. Diese Fluchtgeschichte ist der komplette Gegenentwurf zum Spannungskino, wie es kürzlich erst Michael "Bully" Herbig in "Ballon" inszeniert hat.
    "Adam und Evelyn": zwiespältig
    "Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht. Ja, so geht das!"
    Und so geht ein Schlager, den auch 50 Jahre nach seiner Veröffentlichung jeder kennt. Die meisten Komponisten haben von solchen Evergreens vielleicht zwei oder drei geschrieben, Christian Bruhn dagegen Dutzende.
    "Ich halte ihn für einen der Begabtesten von allen Nachkriegskomponisten. Er kann eben eigentlich alles schreiben", sagt Katja Ebstein, die einige Jahre mit Bruhn verheiratet war und unter anderem sein Lied "Wunder gibt es immer wieder" gesungen hat.
    Gar keine Frage: Über diesen Mann will man unbedingt mehr erfahren, zum Beispiel darüber, wie der Hit "Marmor, Stein und Eisen bricht" entstanden ist. 1965 traf Bruhn in einem Tonstudio auf den noch unbekannten Sänger Drafi Deutscher, der "dam-dam" sang.
    "Und ich sage: Das fängt ja fantastisch an. Wie geht denn das weiter? Da sagt er: Das machst du."
    Dramaturgisch ideenlos
    Christian Bruhn ist ein eloquenter Erzähler mit wachem Blick und verschmitztem Lächeln, dem man gern zuhört in Marie Reichs Dokumentarfilm "Meine Welt ist die Musik". Dennoch ist das Porträt unbefriedigend, denn die Regisseurin hat weder visuelle noch dramaturgische Ideen, heftet beliebig Anekdoten und Interviews mit Weggefährten – viele davon sind nichtssagend – aneinander.
    Die wirkliche Größe Bruhns erschließt sich erst, wenn der Abspann mit den Sätzen beginnt, dass von ihm 2.500 Lieder bei der GEMA gelistet sind und er über 100 bekannte Werbejingles komponiert hat. Letztere sind nicht einmal Thema in diesem Film.
    "Mir liegt nichts daran, auf der Straße erkannt zu werden. Ich will auf der Straße gepfiffen werden."
    "Meine Welt ist die Musik – Der Komponist Christian Bruhn": enttäuschend