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Gefühlte Gefangenschaft

Ob in ihrer Heimatstadt in der Coming-of-Age-Geschichte "Lady Bird", in ihrem Heimatland im Drama "Pawo" oder in ihrem eigenen Körper in den Filmbiografien "Solange ich atme" und "Stronger": Die Protagonisten aller vier Kinoneustarts fühlen sich wie Gefangene.

Von Jörg Albrecht | 18.04.2018
    Szene aus dem Film "Lady Bird" von Greta Gerwig.
    Mit "Lady Bird" ist Greta Gerwig ein schönes Stück Autorenkino gelungen (imago / Elevation Pictures)
    "Lady Bird"
    "Ich will dorthin, wo Kultur ist."
    Nur raus aus Sacramento, Kalifornien! Am liebsten würde sie an der Ostküste leben und dort aufs College gehen. Davon träumt Christine, die sich von allen unverstanden fühlt. Am meisten von ihrer Mutter. Und so gehören Wortgefechte zwischen den beiden zum Alltag. Regelrecht auf die Palme bringt es die 17-Jährige, wenn man sie mit Christine anspricht und nicht mit dem Namen, den sie für sich gewählt hat:
    "Mein Name ist Lady Bird." / "Nein, ist er eigentlich nicht." / "Nenn mich Lady Bird! So wie du es versprochen hast." / "Du solltest aufs City College gehen."
    Da kann ein Streit auch schon einmal so enden, dass Lady Bird während der Autofahrt die Beifahrertür öffnet und sich auf die Straße fallen lässt.
    Von Beginn an lässt die Handschrift von Regisseurin und Drehbuchautorin Greta Gerwig erkennen: Dramatische und komische Momente fließen in ihrer Coming-of-Age-Geschichte stets ineinander. Lady Bird - auf Deutsch: der Marienkäfer - will fortfliegen. Um dies am Ende auch tun zu können, muss der schmerzvolle aber notwendige Prozess der Abnabelung und Selbstfindung eingeleitet werden. Vielleicht wird Lady Bird bei ihrer Suche auf Seelenverwandte treffen und sogar auf die erste Liebe.
    "Hey, ich mag deine Band. Ich bin Lady Bird." / "Ziemlich schräg, die Hand zu schütteln." / "Ich bezahl dich nicht fürs Flirten." / "Ich habe nicht geflirtet." / "Schade eigentlich."
    Als Außenseiterin und dickköpfige Rebellin, die allen Kleingeistern den Kampf ansagt, glänzt die 24-jährige Saoirse Ronan, die sich mit der Rolle bereits ihre dritte Oscar-Nominierung erspielt hat. Greta Gerwigs erfrischender, fein beobachtender Film übers Erwachsenwerden ist sicherlich nicht perfekt, aber er ist definitiv eine Angelegenheit des Herzens und Autorenkino, wie es in Hollywood rar geworden ist.
    "Lady Bird": empfehlenswert
    "Pawo"
    "Dorjee, wohin würdest du am liebsten gehen?" / "Ich würde zurückgehen."
    Obwohl sich auch für Dorjee seine Heimat seit der Eingliederung in die Volksrepublik China wie ein Gefängnis anfühlt, will der junge Tibeter zurückkehren aus dem indischen Exil. Dorthin hatte ihn seine Mutter vor Jahren geschickt, nachdem er 2008 während der anti-chinesischen Proteste in Lhasa verhaftet und gefoltert worden ist. Schon Dorjees Vater war ein Widerstandskämpfer. Mit dessen Tod beginnt Marvin Litwak seinen Film "Pawo". Das tibetische Wort bedeutet Held.
    "Es sind unsere Märtyrer, die das allergrößte Opfer erbracht haben. Einfach ein T-Shirt mit 'Free Tibet' zu tragen, bedeutet gar nichts."
    "Pawo" ist eine Heldenreise mit tragischem Ausgang. Für sein Spielfilmdebüt hat sich Marvin Litwak von der wahren Geschichte eines tibetischen Aktivisten inspirieren lassen. Auch "Pawo" sieht man die Engagiertheit seines Regisseurs in jeder Minute an, leider aber auch eine gewisse Unbeholfenheit. Der mit Laiendarstellern besetzte Film ist zwar gut gemeint, nicht immer aber auch gut gemacht. Litwak gelingt es nicht, eine Nähe zu seinen Figuren herzustellen. Schuld daran sind auch die oft viel zu plakativen Dialoge.
    "Pawo": zwiespältig
    "Solange ich atme"
    "Sie ist umwerfend."
    Ein Film, der den Beginn einer großen Liebe auf dem Niveau eines Groschenromans schildert, wird auch nicht mehr Tiefgang bieten, wenn die Schmetterlinge im Bauch einer niederschmetternden Diagnose weichen.
    "Solange ich atme" handelt vom Briten Robin Cavendish, der Ende der 1950er-Jahre an einer Polio-Infektion erkrankt, die ihn vom Hals abwärts lähmt. Überleben kann Cavendish nur in einer Klinik, angeschlossen an ein Beatmungsgerät. Doch je länger er in dem Krankenhaus ist, desto größer ist sein Wunsch zu sterben. Für Ehefrau Diana gibt es nur eine Lösung.
    "Was machen Sie denn da?" / "Wir bringen meinen Mann nach Hause." / "Nicht ohne meine Erlaubnis." / "Ist das ein Gefängnis?" / "Sie überleben keine zwei Wochen."
    Robin Cavendish wird noch weitere 35 Jahre leben und sich für andere Schwerkranke einsetzen. Der Film mit Andrew Garfield und Claire Foy in den Hauptrollen feiert das Leben in jeder Sekunde und hat die Hürden bereits umgestoßen, bevor er sie überhaupt aufgestellt hat. Wie also nach den ersten Minuten vorauszusehen war, läuft auch die Schicksalsbewältigung hier auf Groschenroman-Niveau ab.
    "Solange ich atme": enttäuschend
    "Stronger"
    Besser, viel besser macht es da ein anderer Film, der ebenfalls auf wahren Begebenheiten beruht: "Stronger" erzählt die Geschichte von Jeff Bauman, der beim Bombenanschlag auf den Boston-Marathon 2013 beide Beine verloren hat und der versucht, sich zurück ins Leben zu kämpfen. Jake Gyllenhaal spielt ihn.
    "Du hättest das Schild sehen sollen, das ich für dich gemalt habe." / "Es tut mir leid." / "Du schuldest mir nichts, Erin."
    Die wechselvolle Beziehung zu seiner Freundin, die am Marathon teilgenommen und für die er sich am Ziel aufgebaut hatte, ist nur eines der Themen, die "Stronger" anschneidet. Vor allem zeigt der Film, wie Jeff für patriotische Zwecke instrumentalisiert und gegen seinen Willen zum Helden gemacht wird. Regisseur David Gordon Green schickt seinen Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal wie auch den Zuschauer durch ein Wechselbad der Gefühle.
    "Stronger": empfehlenswert