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Kranken-, Verlags- und Gewächshäuser

Das Thema Organhandel greift das Drama "Das Leben meiner Tochter" auf. Die Komödie "Zwischen den Zeilen" taucht in die Pariser Literaturszene ein. Von einer mysteriösen Dreiecksgeschichte erzählt der Film "Burning".

Von Jörg Albrecht | 05.06.2019
Eine Frau und ein Mann gehen auf einer Straße vor einer Ladenzeile
Juliette Binoche und Vincent Macaigne in dem Film "Zwischen den Zeilen" (imago stock&people)
"Durch die Entzündung ist das Herz Ihrer Tochter so sehr geschädigt, dass es nur noch zu etwa 20 Prozent arbeitet."
Für Natalie und Micha ist die Diagnose ein Schock. Ihre achtjährige Tochter benötigt dringend ein neues Herz. Doch auch nach einem Jahr gibt es keine positive Nachricht der Stiftung Eurotransplant, die für die Zuteilung von Spenderorganen zuständig ist.
"Sag mal, erinnerst du dich an den Bericht, den wir mal gesehen haben über die Agentur, die Spenderorgane plus Krankenhaus und Operation vermitteln?!"
"Ja."
"Ich glaube, ich habe so eine gefunden."
Bei "Das Leben meiner Tochter" bedient sich Regisseur Steffen Weinert der schablonenhaften und gefühlsduseligen Fernsehspieldramaturgie. Das wird früh deutlich, wenn Jana just in dem Moment die ersten Atemaussetzer bekommt, als Natalie Micha erzählt, dass sie erneut schwanger ist. Und genauso geht es weiter mit durchsichtigen Szenen und druckreif gesprochenen Sätzen:
"Aber was ist besser? Jana legal sterben sehen oder ihr illegal helfen?"
Wertlos mit seinen Floskeln und Allgemeinplätzen
Micha, den Christoph Bach spielt, wird den illegalen Weg einschlagen. Aber spätestens, wenn in einer besonders plumpen Form von Typecasting Standard-Bösewicht André Hennicke als Herzchirurg im rumänischen Hospital auftaucht, dämmert es auch Micha: Hier sind Kriminelle am Werk, die über Leichen gehen.
Organspende und Organhandel sind Themen, die seit Jahren in Gesellschaft und Politik hochemotional diskutiert werden. Als Diskussionsbeitrag ist Steffen Weinerts Film jedoch wertlos mit seinen Floskeln und Allgemeinplätzen. Wie man eine Geschichte um ein Spenderherz mitreißend, kunstvoll und subtil erzählt, hat dagegen eindrucksvoll der Film "Die Lebenden reparieren" gezeigt.
"Das Leben meiner Tochter": enttäuschend
"In Zukunft verlassen wir uns vielmehr auf Algorithmen, die auf unserem Konsumverhalten basieren, als auf Literaturkritiker, die von ihrer Macht überzeugt sind."
Er erfordert ein Umdenken: der Wandel von der analogen zur digitalen Welt. Sowohl für Literaturkritiker als auch für Autoren und deren Verleger, ja letztlich betrifft er natürlich alle Menschen. Doch im Fall von "Zwischen den Zeilen" konzentriert sich Filmemacher Olivier Assayas auf diejenigen, die der Pariser Kulturszene angehören. Im Mittelpunkt stehen zwei Paare. Das erste sind der Schriftsteller Léonard und seine Ehefrau Valérie. Paar Nr. 2 der Verlagsleiter Alain und dessen Frau Selena.
"Ich habe heute mit Léonard zu Mittag gegessen. Es war anstrengend. Wir mussten über sein Manuskript reden."
"Hat es dir nicht gefallen?"
"Ich habe abgelehnt."
Dialogfilm mit gut aufgelegtem Ensemble
Der deprimierte Léonard wiederum, der als Autor schon erfolgreichere Zeiten erlebt hat, heult sich bei seiner Liebsten aus, die allerdings wenig Mitgefühl zeigt. Wenig später sucht er das Gespräch mit Selena.
"Ich habe dein Buch gelesen. Findest du wirklich, dass ich Ähnlichkeit mit Xenia habe?"
"Moment! Xenias Figur ist rein fiktiv."
"Eine fiktive Figur? Sie ist nur sehr durchschaubar. Wenn man mich kennt …"
Über die Dialoge – und "Zwischen den Zeilen" ist angelegt als reiner Dialogfilm – über die Dialoge schälen sich nach und nach die Figurenkonstellationen heraus. Wer hintergeht wen? Wer hat oder hatte mit wem eine Affäre? Das ist sehr Französisch. Aber der Film über die Doppelleben – der Originaltitel heißt auch "Doubles vies" – verkommt nie zu einer Seifenoper. Den roten Faden bilden kluge, oft humorvolle Gespräche über die digitalisierte Welt, über die Entmaterialisierung der Worte sowie über das Verhältnis von Realität und Fiktion. Getragen wird das alles von einem gut aufgelegten Ensemble, dem unter anderem Juliette Binoche und Guillaume Canet angehören.
"Zwischen den Zeilen": empfehlenswert
"Erkennst du mich nicht? Wir kennen uns von früher aus der Schulzeit. Ich bin's: Haemi."
Es beginnt mit einer Zufallsbegegnung. Jongsu, ein junger Südkoreaner, trifft auf die etwa gleich alte Haemi. Sie verbringen die nächsten Stunden miteinander, werden zusammen Sex haben. Später wird Haemi verreisen. Als Jongsu sie bei ihrer Rückkehr vom Flughafen abholt, stellt sie ihm den reichen Ben vor.
Statt der erhofften Zweisamkeit muss Jongsu die Frau, in die er sich verliebt hat, jetzt mit Ben teilen. Dann ist Haemi plötzlich spurlos verschwunden. Am letzten Abend zu Dritt hat Ben Jongsu noch ein Geheimnis verraten.
"Manchmal brenne ich Gewächshäuser ab."
"Du machst was?"
"Sie abbrennen zu lassen, ist meine Leidenschaft."
Herausfordernd und enorm reizvoll
Vorlage für Lee Chang-dong Film "Burning" ist die Kurzgeschichte Barn Burning von Haruki Murakami, der sich seinerseits von der gleichnamigen Kurzgeschichte William Faulkners hat inspirieren lassen. So wie die Texte Murakamis und Faulkners die Erzähltechnik des Bewusstseinsstromes anwenden, verhält es sich auch mit den filmischen Mitteln, die Lee Chang-dong wählt. Es gilt die losen Enden und ungeordneten Wahrnehmungen Jongsus, der im Zentrum des mysteriösen Beziehungsdreiecks steht, zu dechiffrieren. Das ist herausfordernd - aber bis zum Schluss auch enorm reizvoll.
"Burning": empfehlenswert