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Schwere Schicksalsschläge und ein langes Sommergespräch

First Lady und Stilikone: Natalie Portman verkörpert Jackie Kennedy in der Filmbiographie "Jackie" von Pablo Larraín, die in den Wochen nach dem Attentat auf John F. Kennedy spielt. Ein schicksalhaftes Ereignis hat auch die Hauptfigur im Drama "Liebmann" von Jules Herrmann zu verkraften und Wim Wenders hat Peter Handkes Theaterstück "Die schönen Tage von Aranjuez" verfilmt.

Von Jörg Albrecht | 25.01.2017
    John F. Kennedy (Caspar Phillipson) steht neben seiner Frau Jackie (Natalie Portman), die einen Strauß rote Rosen in der Hand hält. Beide sind im Profil zu sehen und lächeln
    John F. Kennedy (Caspar Phillipson) und seine Frau Jackie (Natalie Portman) im Film "Jackie" von Pablo Larraín (imago/Entertainment Pictures/Zumbapress)
    "Jackie" von Pablo Larraín
    Einige Stunden sind seit dem Attentat auf John F. Kennedy am 22. November 1963 in Dallas vergangen. Stunden, in denen seine Ehefrau Jackie weiterhin das mit Blutspritzern übersäte, pinkfarbene Kostüm trägt, das sich ins kollektive Gedächtnis einer ganzen Nation eingebrannt hat. Erst in ihren Privaträumen - so zeigt es Regisseur Pablo Larraín in seinem Film "Jackie" - erst im Weißen Haus also legt sie ihre Kleidung ab. Danach wird sie sich zitternd und unter Tränen mit einer Bürste die Finger schrubben und unter der Dusche die Blutspuren vom Körper spülen.
    Unterlegt ist diese Szene mit streicherdominierten Klängen der englischen Komponistin Mica Levi. Sie prägen den gesamten Film, werden hin und wieder aber etwas zu dominant eingesetzt, um den melancholischen Grundton zu verstärken. Schon die Filmmusik lässt erkennen: Bei "Jackie" handelt es sich nicht um die gängige, leicht zu konsumierende Filmbiographie, die geradlinig verläuft.
    "Ich will nur zur Wahrheit vordringen. Das machen Reporter so. - Ach, die Wahrheit! Ich weiß, worauf Sie aus sind. - Wie bitte? - Einen Bericht mit möglichst sämtlichen Details. Sie erwarten sicher, dass ich das fürchterliche Geräusch beschreibe, als die Kugel in den Schädel meines Mannes eintrat."
    Ein Interview, das Jackie Kennedy nach ihrem Auszug aus dem Weißen Haus einem Journalisten vom "Life Magazine" gegeben hat, ist der rote Faden in Pablo Larraíns Porträt einer Frau, für die nach den Ereignissen vom 22. November 1963 das Leben nicht mehr dasselbe ist. Larraín und seine großartige "Jackie"-Darstellerin Natalie Portman lassen geschickt Faktenwissen und Spekulatives ineinander fließen. So entsteht ein komplexes, mitunter sperriges, immer aber vieldeutiges Bild von einer kaum transparenten Persönlichkeit.
    "Tja, was habe ich jetzt noch groß zu erwarten?!"
    Einerseits soll Jackie Kennedy die Erwartungen der Öffentlichkeit erfüllen, andererseits aber muss sie den Schicksalsschlag für sich allein verarbeiten. Klug und ohne den Stoff in die Nähe einer Seifenoper über eine trauernde Witwe zu rücken, arbeitet Regisseur Larraín diesen spannenden inneren Konflikt heraus.
    "Jackie": empfehlenswert
    "Liebmann" von Jules Herrmann
    Dissonante Töne auch im Spielfilmdebüt "Liebmann" von Regisseurin Jules Herrmann. Ähnlich Jackie Kennedy hat die Hauptfigur ein einschneidendes Erlebnis zu verkraften. Was ihr widerfahren ist? Daraus macht der Film zunächst einmal ein Geheimnis.
    Antek Liebmann, ein Lehrer aus Deutschland, kommt im Sommer in Nordfrankreich an, wo er sich eine kleine Wohnung mietet. Es sind keine gewöhnlichen Ferien. So viel lässt sich aus Anteks Verhalten ablesen. Er scheint unter Panikattacken zu leiden und gibt gegenüber seinem Vermieter und der Nachbarin nur wenig von sich preis. Dass Antek mit seiner Vergangenheit abschließen will, ist spätestens klar, als seine Schwester vor der Tür steht.
    "Was machst denn du hier? - Ja, was mache ich hier? Ist ja eine schöne Begrüßung. ... Hast du jetzt ein neues Leben angefangen? - Was willst denn du hier?"
    Anteks Geheimnis soll hier nicht verraten werden und auch der Film hätte besser daran getan, es nicht oder zumindest geschickter zu tun als mit einigen plakativen Bemerkungen seines Überraschungsbesuchs.
    "Das Zimmer hier ist schrecklich. Das ist wie so ein Ibsen oder so ein Strindberg."
    Der schwesterlichen Analyse lässt Regisseurin Herrmann gleich noch eine Szene folgen, in der sie das Geschwisterpaar in Kostüme aus dem 19. Jahrhundert steckt. Einer von vielen Regieeinfällen, die mal reizvoll sind, dann wieder auch beliebig und etwas gewollt wirken in einem ansprechenden Debüt.
    "Liebmann": akzeptabel
    73. Filmfestspiele in Venedig: Donata Wenders, Regisseur Wim Wenders und die Schauspieler Sophie Semin, Reda Kateb und Jens Harzer aus seinem Film "Die schönen Tage von Aranjuez", den er im Wettbewerb präsentiert. 
    73. Filmfestspiele in Venedig: Donata Wenders, Regisseur Wim Wenders und die Schauspieler Sophie Semin, Reda Kateb und Jens Harzer aus seinem Film "Die schönen Tage von Aranjuez", den er im Wettbewerb präsentiert. (picture alliance / dpa / Ettore Ferrari)
    "Die schönen Tage von Aranjuez" von Wim Wenders
    "Ein Gartentisch zwischen der Frau und dem Mann. Sie sitzen sich in einigem Abstand gegenüber."
    Ein Schriftsteller sitzt in einem idyllisch gelegenen Landhaus in der Peripherie von Paris an seiner Schreibmaschine. In den ersten Zeilen beschreibt er zwei namenlose Personen im Garten der Villa, die er offensichtlich imaginiert. Der kurzen Einführung lässt der von Jens Harzer gespielte Autor einen langen, den gesamten Film füllenden Dialog zwischen der Frau und dem Mann folgen. Einen Sommerdialog hat ihn Peter Handke genannt, auf dessen Theaterstück "Die schönen Tage von Aranjuez" basiert. Ein Gespräch zweier Menschen, die einander gut zu kennen scheinen. Es geht um Liebe und Sex, um ihre Erfahrungen und Beobachtungen.
    "Wie war das dann mit dir und dem ersten Mann in Fleisch und Blut? Wo? Wann? Wer? - Keine Erinnerung. Weder an Fleisch noch an Blut, nicht mal an einen Mann."
    Die Variationen über den Begriff Liebe aus weiblicher und männlicher Sicht werden in einem Moment nachdenklich, in einem anderen lustvoll vorgetragen. Nur wer mit Handkes schöngeistigen Reflexionen über die Möglichkeitsform der Liebe etwas anfangen kann, wird den Dialogen aufmerksam lauschen. Und hier liegt die Schwäche von Wim Wenders' Film, die schon in der literarischen Vorlage begründet ist: Nicht jeder Gedanke ist so anregend und tiefschürfend, dass man ihm auch weiter folgen möchte.
    "Die schönen Tage von Aranjuez": zwiespältig