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Tief ins Gedächtnis eingebrannt

Eine Dreiecksgeschichte vor dem Hintergrund des Völkermords an den Armeniern vor 100 Jahren erzählt der Film "The Promise - Die Erinnerung bleibt". Von einem Kindheitstrauma handelt "Träum was Schönes - Fai bei sogni". Außerdem neu im Kino: Ein Dokumentarfilm über die mexikanische Sängerin Chavela Vargas.

Von Jörg Albrecht | 16.08.2017
    Michael (Oscar Isaac, links) und Ana (Charlotte Le Bon) im Film "The Promise - Die Erinnerung bleibt"
    Michael (Oscar Isaac, links) und Ana (Charlotte Le Bon) im Film "The Promise - Die Erinnerung bleibt" (Capelight Pictures/José Haro)
    "The Promise - Die Erinnerung bleibt" von Terry George
    Es braucht nicht eine einzige Szene, sondern allein den Abspann von "The Promise", um zu erahnen, um welche Sorte Film es sich hier handelt. Der im Mai verstorbene Musiker Chris Cornell ist zu hören mit dem Titelsong: eine sogenannte Powerballade, ein schlimm-pathetisches Crescendo über eine auseinandergerissene Familie und die Erinnerungen, die bleiben. Textlich kaum über Schlagerniveau. Die passende Musik zu einem Dramolett. Denn genau das ist die Geschichte vor dem Hintergrund des Genozids an den Armeniern in den Jahren 1915 und '16, in deren Zentrum ein Liebesdreieck steht.
    "Guten Morgen! - Guten Morgen! - Wir wurden uns noch nicht vorgestellt. Ich bin Mikael Boghosian, Mesrobs Neffe. - Ana Khesarian."
    Zwei Armenier in Konstantinopel. Ana eine Künstlerin, Mikael ein angehender Arzt. Sie mit einem amerikanischen Journalisten an ihrer Seite, er mit Verlobter aus seinem Heimatdorf. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Und weil es filmisch kaum dramatischer sein könnte, verleben die Künstlerin und der Arzt ihre erste Liebesnacht, während in der Stadt armenische Intellektuelle gejagt und zusammengeschlagen werden.
    Danach geht es schnell: Mikael wird deportiert und landet im Gefangenenlager. Ihm wird die Flucht gelingen und wenig später das ganze Ausmaß des Völkermords bewusst.
    "Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind musste den Heimatort verlassen und wurde getötet."
    Natürlich werden sich auch die Wege von Mikael und Ana wieder kreuzen. Wenn die Liebe in den Zeiten des Krieges und der Verfolgung einen doch wenigstens berühren würde! So wie in den Großwerken "Vom Winde verweht" oder "Doktor Schiwago". Aber hier ist sie uninteressant und trägt allenfalls zur Verwässerung der tragischen Geschehnisse bei oder - noch schlimmer - zu ihrer Verkitschung. Da sind zwangsläufig auch die Schauspieler - Charlotte Le Bon, Oscar Isaac und Christian Bale - verloren.
    "The Promise - Die Erinnerung bleibt": enttäuschend
    "Träum was Schönes - Fai bei sogni" von Marco Bellocchio
    "Träum was Schönes - Fai bei sogni". Es werden die letzten Worte sein, die Massimo von seiner Mutter hört. Mitten in der Nacht wird der Junge dann unsanft geweckt. Seine Mutter ist nicht mehr da. Sie sei plötzlich und unerwartet gestorben, erfährt Massimo von seinem Vater. Aus dem schönen Traum ist ein Albtraum geworden, der Massimo auch als erwachsener Mann einfach nicht loslassen wird. Verdrängung, Wut und die Suche nach Antworten beherrschen sein Leben. Er will den Tod der geliebten Mutter nicht akzeptieren. Für Massimo lebt sie weiter.
    Szene aus dem Film "Träum was Schönes - Fai bei Sogni"
    Szene aus dem Film "Träum was Schönes - Fai bei Sogni" (Movienet Film/Simone Martinetto)
    "Deine Lüge ist für die anderen völlig harmlos. Aber nicht für dich." Ein Priester findet deutliche Worte für Massimos Verweigerungshaltung. Er solle lieber den ganzen Tag weinen. Hauptsache er reagiere auf den Schmerz und fühle sich nicht als Opfer.
    Mit "Träum was Schönes" hat der italienische Regisseur Marco Bellocchio den autobiografischen Roman von Massimo Gramellini verfilmt. Die Zeitebenen - sie reichen vom neunjährigen Jungen bis zum 40-jährigen Mann - diese verschiedenen Zeitebenen werden nicht chronologisch abgehakt. Sie alle greifen aber ineinander und gewähren einen eher analytischen als emotionalen Blick in den Seelenzustand eines Menschen, dessen ganzes Leben durch die Abwesenheit der Mutter geprägt ist. Es ist eine behutsam arrangierte, aber auch etwas zähe Geschichte, die ab und an hätte gerafft werden können.
    "Träum was Schönes - Fai bei sogni": akzeptabel
    "Chavela" von Catherine Gund und Daresha Kyi
    Sie grüße alle Frauen der Welt und sende ihnen ihre Liebe und ihren Respekt. Ihr Name: Chavela Vargas. "Vergesst mich nicht!", fügt die mexikanische Sängerin, die vor fünf Jahren gestorben ist, dann noch hinzu. Lange Jahre war sie genau das: eine Vergessene. Bis Chavela und ihre markant-raue und doch zärtliche Stimme Ende der 1980er-Jahre - sie war damals 70 - wiederentdeckt wurden.
    Chavela Vargas
    "Chavela" - ein toller Dokumentarfilm über die mexikanische Sängerin Chavela Vargas (Arsenal Film/Maj Lindström)
    "Ich sterbe vor Sehnsucht, dich bei mir zu haben." Chavela beginnt in den 1950er-Jahren damit, Rancheras vorzutragen - Lieder, die normalerweise von Männern gesungen werden und die von der hingebungsvollen oder unerfüllten Liebe zu einer Frau handeln. Chavela hat Erfolg. Weil sie in Männerkleidern auftritt, wird sie "Mannweib" genannt. Als sie sich Hosen anzog, erzählt Chavela, habe sie das Publikum sprachlos gemacht. Männer und Frauen seien verrückt nach ihr gewesen.
    Über die Frau, die traditionelle Geschlechterrollen im katholischen Mexiko über Bord geworfen hat und die so viele Geschichten über sich und ihr Leben erzählen konnte - die eine oder andere erfundene dürfte auch dabei sein - über diese Frau gibt es jetzt einen ganz wunderbaren Dokumentarfilm.
    "Chavela": empfehlenswert