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Trennung, Verlust und Familienzuwachs

Die Flüchtlingskrise als Thema einer Komödie? Daran versucht sich Regisseur Simon Verhoeven mit "Willkommen bei den Hartmanns". Vom Weiterleben nach dem Tod der Partnerin erzählt Mikhaël Hers im Drama "Dieses Sommergefühl", und der belgische Filmemacher Joachim Lafosse zeigt in "Die Ökonomie der Liebe" ein Paar, das sich nach 15 gemeinsamen Jahren trennen will.

Von Jörg Albrecht | 02.11.2016
    Eric Kabongo, Palina Rojinski und Elyas M. Barek aus "Willkommen bei den Hartmanns"
    Eric Kabongo, Palina Rojinski und Elyas M. Barek aus "Willkommen bei den Hartmanns" (imago stock&people)
    "Die Ökonomie der Liebe" von Joachim Lafosse
    "Du kannst hier bleiben, bis wir eine Lösung gefunden haben. Aber halte dich gefälligst an die Regeln!"
    Es sind ihre Regeln. Marie hat sie aufgestellt, um das Zusammenleben mit Noch-Ehemann Boris in ihrem gemeinsamen Haus so erträglich wie nur möglich zu gestalten. Die emotionale Trennung der Partner ist längst vollzogen, die räumliche dagegen noch nicht. Ein Blick in Maries eisiges Gesicht verrät, wie angespannt das Nervenkostüm der Mutter von zwei kleinen Mädchen mittlerweile ist.
    "Ich will, dass du gehst. – Warum soll ich gehen? – Das ist nicht mehr dein Zuhause."
    Nach 15 Jahren Ehe wollen sich Marie und Boris, die von Bérénice Bejo und Cédric Kahn gespielt werden, scheiden lassen. Boris, der chronisch pleite ist, macht jedoch keine Anstalten, sich nach einer neuen Bleibe umzusehen. Immer wieder kriegen sich die Beiden deswegen in die Haare.
    "Hör zu Boris, ich ertrage diese Situation nicht mehr lange. Ich will mich nicht aufregen, aber im Kühlschrank gibt es ein Fach für dich und ein Fach für uns. Boris, es reicht! Finde gefälligst eine Lösung und verschwinde! – Dann gib mir meinen Anteil!"
    Auch über die finanzielle Abfindung, die Boris bei einem Auszug einfordert, entbrennt immer wieder Streit. Es sind Szenen einer Noch-Ehe, die der belgische Filmemacher Joachim Lafosse in seinem Kammerspiel "Die Ökonomie der Liebe" präsentiert. Mal werden diese flankiert von den beiden Töchtern, mal von Maries Mutter, in einer Szene auch von gemeinsamen Freunden, die Marie zu einem Abendessen geladen hat.
    Auch wenn es der wissenschaftlich-nüchterne Titel vermuten lassen könnte: "Die Ökonomie der Liebe" ist keine strenge Versuchsanordnung. Regisseur Lafosse übt sich mit ruhiger Kamera in Zurückhaltung und gibt seinen beiden glänzenden Hauptdarstellern viel Raum, das Schlusskapitel einer Paarbeziehung emotional glaubwürdig und unverfälscht zu durchleben.
    "Die Ökonomie der Liebe": empfehlenswert
    "Dieses Sommergefühl" von Mikhaël Hers
    "I´ll keep thinking that Sasha turns up in every moment, sits down and eats half of my sandwich."
    Er stelle sich immer wieder vor, dass Sasha sich im nächsten Moment neben ihn setzen und die Hälfte seine Sandwiches aufessen würde. Lawrence hat einen Schicksalsschlag zu verkraften. Seine Freundin ist tot. Vor einigen Tagen war sie plötzlich in einem Park zusammengebrochen. Der US-Amerikaner hat mit der Französin in Berlin gelebt. Nicht nur Lawrence, auch Sashas Familie ist am Boden zerstört. Gegenseitig versuchen sie sich Halt zu geben.
    In seinem Film "Dieses Sommergefühl" folgt der französische Regisseur Mikhaël Hers vor allem zwei Personen und ihrer Trauerbewältigung: Die eine ist Lawrence, die andere Zoé, die Schwester von Sasha.
    "Anouk meinte, es wäre ganz schön schwer für dich gewesen in letzter Zeit. Du hättest dich bei uns melden können. – Ja, ich weiß. Es ist für euch auch nicht besonders leicht, oder? Auf jeden Fall geht es mir langsam besser."
    Lawrence will die Zelte in Berlin abbrechen und wieder in seine Heimatstadt New York zurückkehren. Und auch für Zoé steht ein Neuanfang bevor, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hat.
    Ähnlich wie in "Die Ökonomie der Liebe" verzichtet "Dieses Sommergefühl" auf künstliche Spannungsbögen und psychologische Profile seiner Figuren. Stattdessen begleitet und beobachtet dieser Film seine Protagonisten und nimmt sich Zeit. Zeit, die auch Trauerarbeit benötigt.
    "Dieses Sommergefühl": empfehlenswert
    "Willkommen bei den Hartmanns" von Regisseur Simon Verhoeven
    "Wir müssen nun alle mithelfen, dass die Integration gelingt. – Stopp! Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?”
    Integration ist ein wunderbares Stichwort. Wie es um sie in der Wirklichkeit bestellt ist, lässt sich ganz einfach am Plakat der Komödie "Willkommen bei den Hartmanns" ablesen. Da prangen die Namen von Senta Berger, Heiner Lauterbach, Florian David Fitz, Palina Rojinski und Elyas M’Barek in dicken Lettern über dem Titel. Unter dem Titel sehen wir allerdings sechs Personen. Dabei ist die eine, die nicht genannte Person, die von den Fünfen eingerahmt wird, die zentrale Figur in der Geschichte. Aber es taucht kein Eric Kabongo mit Namen auf. Wahrscheinlich hat sich der Verleih Warner Brothers gedacht: Den Schauspieler aus den Niederlanden mit schwarzer Hautfarbe kennt doch eh keiner! Das aber ist im Falle von "Willkommen bei den Hartmanns" kein Fauxpas, sondern entlarvt etwas viel Gravierenderes. In der Vermarktung eines Films, in dem eine bürgerliche deutsche Familie einen dunkelhäutigen Asylbewerber aufnimmt, wird eben dieser zum Statisten degradiert.
    "Wir dulden hier natürlich keine Diskriminierung."
    Genau das aber ist es: Es ist diskriminierend, was der Verleih hier macht. Soviel zur Integration. Abgesehen davon sollte niemand eine bissige Satire von "Willkommen bei den Hartmanns" erwarten. Simon Verhoevens Film benutzt das Flüchtlingsthema nur, um einen überdrehten, leidlich komischen Familienschwank mit einem allerdings großartigen Heiner Lauterbach zu inszenieren.
    "Ja, ich hätte da noch ein paar Fragen. Wir müssen ja ein bisschen absichern. Ich meine, es gibt auch immer ein paar Schafe unter den Schwarzen, also schwarze Schafe unter den Kriminellen."
    "Willkommen bei den Hartmanns": zwiespältig