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Zwischen Geld und Lust

Von der erwachenden Erotik zwischen Luxus und Armut erzählt „Ein leichtes Mädchen“. Wie ein indigenes Volk in Kolumbien die Natur schützen will, beschreibt die Doku „Thinking Like a Mountain“. Und vom Rassismus in einem viktorianischen Fantasy-Setting handelt die Serie „Carnival Row“.

Von Hartwig Tegeler | 11.09.2019
Zwei Mächen gehen Hand in Hand am Strand spazieren
Die Cousinen Sofia (Zahia Dehar) & Naima (Mina Farid) in "Ein leichtes Mädchen" von Rebecca Zlotowski (www.imago-images.de)
"Es war der erste Ferientag. Ich war gerade 16 geworden."
Und Naïma, die Hauptfigur im Film "Ein leichtes Mädchen", ist in diesem Sommer auch mit der Schule fertig geworden. Zusammen mit ihrer Mutter lebt sie in bescheidenen Verhältnissen in Cannes. Dann taucht ihre ältere, sinnliche Cousine Sofia auf, die wohl – genau erfahren wir es nicht in Rebecca Zlotowskis Film – Erfahrungen als Escort-Dame hat. Und nun beginnt für die erfahrene Sofia und die naive, aber neugierige – lebens-neugierige - Naïma ein Ausflug in die Welt der oberen Zehntausend, bei dem Sofia sehr erfahren ihre sexuelle Ausstrahlung und Erfahrung in die Waagschale wirft. Bis die steinreichen Yacht-Besitzer nach einigen Partys und ein paar guten Sex-Nächten von Sofia die Nase voll haben.
"Raus hier!"
"Wir haben nichts getan."
"Andre hat mir gesagt, ich soll sie rauswerfen, sie haben den Sextanten gestohlen."
Und Naïma schaut staunend zu, wie sich die sexuellen auch als soziale Verhältnisse zeigen. Die auch in diesem Sinne erfahrenere Sofia, verjagt von der Yacht, weiß das genau:
"Jetzt komm her."
"Was willst du ihnen beweisen, das ändert doch nichts, gar nichts."
Die gnadenlose Logik von Macht und Geld
Filmemacherin Rebecca Zlotowski betreibt mit uns in "Ein leichtes Mädchen" ein äußerst hinterhältiges Spiel. Denn auf der einen Seite bekommen wir sonnendurchflutete Sommerbilder präsentiert: blauer Himmel, kristallklares Meer. Aber hinter der Maske dieser schönen Welt lauert die gnadenlose Logik von Macht und Geld. Einmal sehen wir bei einer Party die Catering-Crew am Rande stehen. Die tiefe Verachtung für die egozentrischen Luxus-Wesen da am Pool steht in den Gesichtern dieser Bediensteten geschrieben.
Und doch liegt die Hoffnung von "Ein leichtes Mädchen" darin, das die 16-jährige Naïma sich nach diesem Sommer den Verführungen dieser brutalen Welt des Geldes verweigert, während Sofia, die Cousine, ihr schon ganz verfallen ist und nur scheinbar das Spiel souverän beherrscht.
"Ein leichtes Mädchen" – empfehlenswert.
Am Ende von "Thinking Like a Mountain" ..., dem Film über das indigene Volk der Arhuacos, das in der kolumbianischen Sierra Nevada de Santa Maria lebt ..., am Ende formuliert Regisseur Alexander Hick eine Erkenntnis, die wie ein Grundstrom seinen Dokumentarfilm durchzieht:
"Zwischen dem Meer und dem Gebirge verstehe ich plötzlich, wie es sich anfühlt, zwischen zwei Welten zu stehen. Gicame hatte mir gezeigt, dass oft die beste Übersetzung ein Schweigen war. Denn ihr Wissen musste im Gebirge bleiben. Sagen sie. Das ist ihr Widerstand."
Magische Bilder
Die Arhuacos wachen über das Land auf Kolumbiens höchster Bergkette; sie sind eng mit ihm verbunden. Die Bergseen sind gemäß ihres Glaubens von Gedanken durchdrungen, und die Stoffe, die die Indigenen tragen, verkörpern das Land.
"Thinking Like a Mountain" zeigt magische Bilder von diesen Menschen in diesem Land, aber Alexander Hick beschreibt auch die Grausamkeiten, die diesem friedvollen Volk von christlichen Missionaren angetan wurden und erzählt von dem Schrecken des kolumbianischen Bürgerkrieges, dem auch die Arhuacos hier ausgeliefert waren. So wird dieser Dokumentarfilm zu einer Parabel über die Kollision zwischen einer indigenen Kultur und der der Weißen im 21. Jahrhundert. Eindrucksvoll und verstörend.
"Thinking Like a Mountain" – empfehlenswert.
Ihre einstige Heimat, der die Feen zu entfliehen suchen, ist nun eine Hölle. Am Anfang von "Carnival Row" - die Horror-Fantasy-Variante eines Weltkrieg-Eins-Bildes: Tote Feen hängen in Stacheldraht-Netzen ob in den Bäumen. So wurden diese Wesen, die Flügel haben, am Wegfliegen gehindert. Die alte Heimat, auch die der Fee Vignette – gespielt von Cara Delevingne – ist verloren. Unterschlupf finden sie nun in der "Carnival Row", einem Distrikt der Menschen-Stadtrepublik The Burgue. Aber all die Flüchtlinge, nicht nur die Feen, auch Zentauren, Trolle oder Faune in dieser Fantasy-Ausgabe eines viktorianischen Zeitalters - sie sind Außenseiter.
Dann sind das noch die bestialischen Morde an Feen, die der menschliche Polizei-Offizier Rycroft Philostrate – gespielt von Orlando Bloom – aufklären soll. Aber die Mordserie ist das eine, die gesellschaftliche Atmosphäre das andere, viel tiefer Rührende.
Eine Metapher über Migration und Rassismus
Der Führer der Opposition im Parlament von The Burgue hält eine Hassrede auf die Migranten: "Diese Flüchtlinge überschwemmen unsere Stadt. Ganze Stadtteile sind anständigen Bürgern nicht mehr zugänglich." "Carnival Row" ist also eine Metapher über Migration, über Fremdenhass und Rassismus, und auch wenn die Serie mitunter ins Kolportagehafte abgleitet, bleiben die beiden Hauptfiguren – die Fee Vignette und Philo, der Polizist – überzeugend.
Am Ende wird ein Getto errichtet in der "Carnival Row", für die Feen und die anderen nichtmenschlichen Wesen. Jetzt ist klar, dass die Serie vom Aufstieg des Faschismus erzählt.
"Carnival Row" – empfehlenswert.