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Zwischen Selbstzweifeln und Neurosen

Das Timing für den Start des Kinofilms "Die Augen des Engels" ist nahezu perkekt: Ende März wurde in Italien ein Schlussstrich unter den spektakulären Mordprozess gegen die Amerikanerin Amanda Knox gezogen, auf den sich Michael Winterbottom in "Die Augen des Engels" bezieht. Sein Film kann diese Erwartungen aber nicht erfüllen, die beiden anderen anderen Neustarts - "Mein Herz tanzt" und "Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern" – dafür umso mehr.

    Regisseur Michael Winterbottom und die Schauspielerin Kate Beckinsale bei der Premiere von "Die Augen des Engels" in Toronto
    Regisseur Michael Winterbottom und die Schauspielerin Kate Beckinsale bei der Premiere von "Die Augen des Engels" in Toronto (dpa / picture alliance / Warren Toda)
    ("Die Augen des Engels")"Ihr Buch wurde mir zugeschickt. Ich dachte, ich würde es schrecklich finden. 'True Crime' ist nicht so mein Ding", sagt Daniel Brühl in der Rolle des Filmregisseurs Thomas Lang. Er ist nach Italien gereist, um dort einen Spielfilm über einen Mordprozess zu drehen, der an den Fall Amanda Knox angelehnt ist. Thomas Lang ist die Hauptfigur in Michael Winterbottoms Film "Die Augen des Engels". Mit dem echten Regisseur verbindet ihn eine Gemeinsamkeit: "True Crime Stories", also Krimis oder Thriller über wahre Verbrechen, sind auch nicht das Ding von Winterbottom. Und so überrascht es kaum, dass "Die Augen des Engels" eben weder Krimi noch Thriller ist.
    Winterbottom ist nicht an vordergründigem Spannungskino interessiert. Er fokussiert sich stattdessen auf den Umgang der Medien mit dem Prozessgeschehen und rückt die Schwierigkeiten von Thomas Lang bei seiner künstlerischen Umsetzung des Stoffs in den Mittelpunkt. Wie will er seinen Film gestalten, was ist der Kern der Geschichte, die er erzählen will?
    "Wissen Sie schon, aus welchem Blickwinkel Sie das Drehbuch angehen wollen? – "Noch nicht. Ich habe mir gedacht aus Simones Sicht. Eine Journalistin. Könnte ein guter Einstieg in die Geschichte sein. Ich denke, die Welt der Auslandskorrespondenten bietet viel Stoff. So eine Art Exil." – "Naomi Watts." –"Chloë Sevigny vielleicht." – "Oder Tina Fey." So wie sich Daniel Brühl als Regisseur von Minute zu Minute mehr verlieren wird, er an dem Projekt und an sich zweifelt, alles hinterfragt und das Scheitern zur wahrscheinlichsten aller Optionen wird, so verliert auch Michael Winterbottom immer mehr die Kontrolle über seinen Film. Hier ist alles eher selbstreferenziell als reflektierend. Statt einen interessanten medienkritischen Diskurs zu führen, generiert er nur Ratlosigkeit und Langeweile. Erneut ein schwacher Film von einem, der immer noch interessantesten europäischen Regisseure, dessen beste Arbeiten allerdings mehr als zehn Jahre zurückliegen.
    "Aber es ist kein Film. Es ist kein Miss-Marple-Krimi." - Wäre es doch nur einer gewesen!
    "Die Augen des Engels": enttäuschend
    ("Mein Herz tanzt")"Also, was ist?" – "Angenommen." – "Glückwunsch! Wunderbar! … Was zieht ihr alle für eine Trauermiene! Das ist doch wunderbar! Das ist die beste Schule im Land. … Du wirst vielleicht sogar der erste Palästinenser, der eine Atombombe baut."
    Tawfeek Barhom als Eyad in "Mein Herz tanzt"
    Tawfeek Barhom als Eyad in "Mein Herz tanzt" (dpa / picture alliance / Eitan Riklis)
    Dass Humor ein probates Mittel ist, die von Animositäten bestimmte Koexistenz von Israelis und Palästinensern aufzubrechen, daraus hat der israelische Filmemacher Eran Riklis nie einen Hehl gemacht. Auch in "Mein Herz tanzt", der Geschichte des palästinensischen Jungen Eyad, sucht Riklis immer wieder nach dem Leichten im Schweren.
    Als Eyad 1988 an die Eliteschule in Jerusalem kommt, ist für ihn nichts mehr so, wie es war. Eyad wird sein von Israel-Hass geprägtes Zuhause gegen ein Leben mit ausschließlich jüdischen Mitschülern eintauschen. Nach anfänglichem Spießrutenlaufen entwickelt sich nicht nur eine tiefe Freundschaft mit einem schwerkranken jüdischen Jungen. Eyad wird sich auch in ein Mädchen aus seiner Klasse verlieben. "Glaubst du, ich würde nicht auch der ganzen Welt zeigen, dass ich dich liebe? Der ganzen Welt erklären, wie gut unsere Liebe ist? – Ich könnte einen Artikel von dir in die Schülerzeitung setzen."
    Eran Riklis verbindet in "Mein Herz tanzt" geschickt die Identitätssuche eines Heranwachsenden mit den gesellschaftlichen und politischen Konflikten in Israel. Dass Liebe Vorurteile überwinden kann und Versöhnung keine Utopie ist, steht in dicken Lettern über diesem wunderbaren Film.
    "Mein Herz tanzt": empfehlenswert
    (Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern) "Dora!" – "Mama!" – "Zieh dich an! Ich rufe jetzt die Polizei." – "Dora, sag mal, wie ist Ficken mit mir?" – "Sie ist behindert." – "Könnte man das nicht von vielen behaupten?" – "Sie haben sie geschwängert." – "Das kann man doch wegmachen lassen."
    Für so manchen dürfte die Geschichte, mit der die Schweizer Filmemacherin Stina Werenfels in "Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern" aufwartet, harte Kost sein. Der Film nach dem Theaterstück von Lukas Bärfuss erzählt von einer 18-jährigen, geistig behinderten Frau. Als Dora ihre sexuelle Lust entdeckt und sich in den nicht behinderten Peter verliebt, wird sie prompt von ihm schwanger. Doras Eltern sind entsetzt und sich sicher, dass ihre Tochter von Peter missbraucht worden ist.
    Das Recht auf Selbstbestimmung Behinderter kollidiert hier mit dem nachvollziehbaren Bestreben der Eltern, Dora vor sexueller Gewalt zu schützen. Dass Schauspieler Lars Eidinger die Figur von Peter keineswegs als Sympathieträger angelegt hat, verschärft die Situation noch zusätzlich. Es ist diese Kompromisslosigkeit, die Stina Werenfels´ Film lange nachwirken lässt. Aber auch die Unverkrampftheit und Direktheit, mit der sich die Regisseurin dem ambivalenten Thema nähert, sind außergewöhnlich.
    "Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern": empfehlenswert