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Neue Fracking-Regelungen
Probebohrungen und Ausnahmen in der Kritik

Risse in Hauswänden und Quecksilber, das auch aus Rohrleitungen in Äcker und Bäche sickert: Die meisten Fracking-Gegner fürchten, dass die Zahl der Erkundungsflächen und Gasförderanlagen durch die neue Gesetzesregelung dramatisch ansteigen könnte - und mit ihr die Folgen für Umwelt und Trinkwasser.

Von Alexander Budde | 01.04.2015
    Ein Plakat mit der «Stop Fracking» steht am 03.06.2014 in Brünen (Nordrhein-Westfalen) am Niederrhein in einem Feld.
    Wegen heftigen Bürgerprotesten werden in Niedersachsen seit Jahren keine Projektanträge für neue Fracks mehr bearbeitet. (dpa / Martin Gerten)
    Rotenburg im Norden Niedersachsens. Rund zweihundert Fracking-Gegner protestieren auf dem Marktplatz. Slogans, blutrot auf Plakate gemalt: "Profitgier", "Hände weg".
    "Wir müssen dafür kämpfen, dass unsere Kinder sauberes Trinkwasser haben!"
    Fracking ist eine Methode zur Förderung von Erdgas unter Einsatz von hohem hydraulischen Druck und Chemikalien. In Niedersachsen wird seit Jahrzehnten Erdgas durch Fracking im tiefen Sandgestein gefördert. Dieses so genannte konventionelle Fracking soll nach dem Gesetzentwurf von Umweltministerin Hendricks und Wirtschaftsminister Gabriel weiterhin erlaubt bleiben, wenn strenge Auflagen eingehalten werden.
    "Wir haben uns auf die Politik verlassen, dass immer alles sauber ist! Wir haben mittlerweile bewiesen, dass wir Quecksilber im Boden haben, dass wir Benzole haben!"
    Fracking mag tabu sein, verboten ist es nicht
    Bei 300 Fracks in Niedersachsen in den letzten 50 Jahren habe es keine Auswirkungen auf Umwelt und Trinkwasser gegeben, versichern die Unternehmen ExxonMobil, Wintershall und RWE Dea. Die Firmen beschäftigen 20.000 Menschen in der Region, zahlen Gewerbesteuer. Doch der einst so umworbene Industriezweig ist auch Andreas Weber, Rotenburgs Bürgermeister von der SPD, unheimlich geworden: An Hauswänden tun sich Risse und Spalten auf, aus Rohrleitungen sickert Quecksilber in Äcker und Bäche.
    "Wir haben bislang immer nur von den Vorteilen gehört. Und dann fing es plötzlich an, dass man von Erdbeben gesprochen hatte, dass es auch Quecksilberbelastungen im Boden gegeben hat, bis hin zu der jetzigen Situation, dass auch nicht auszuschließen ist, dass es sogar Krebserkrankungen in höherem Maße in einer solchen Region gibt, wo wir mit vielen Bohrstellen auch Erdgas hier nahe bei den Wohngebieten fördern."
    Wegen der Bürgerproteste werden in Niedersachsen seit Jahren keine Projektanträge für neue Fracks mehr bearbeitet. Fracking mag tabu sein, verboten ist es aber nicht, so begründet Niedersachsens grüner Umweltminister Stefan Wenzel, warum sich auch die rot-grüne Landesregierung dafür einsetzt, den Einsatz der Technologie erstmals grundsätzlich zu regeln:
    "Die alte Praxis ist so, dass die Firmen grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf Genehmigungen haben, wenn sie relativ geringe Auflagen erfüllen. Und da haben wir gesagt, wir wollen hier klare Auflagen, wir wollen klare Umweltstandards, wir wollen viele Praktiken, die in der Vergangenheit üblich waren, in der Zukunft nicht mehr! Wir wollen ja keinen Persilschein, sondern wir wollen in jedem Einzelfall sehr genau gucken: Kann man das erlauben? Kann man das nicht erlauben? Oder kann man das nur unter Auflagen entscheiden?!"
    Die Fracking-Gegner fürchten, dass die Zahl der Erkundungsflächen und Gasförderanlagen in der Folge des neuen Gesetzes dramatisch ansteigen könnte. Thorben Gruhl vom Aktionsbündnis "No Moor Fracking" kritisiert insbesondere, dass nach dem jetzigen Gesetzentwurf auch das Fracking in so genannten unkonventionellen Lagerstätten zu Forschungszwecken erlaubt werden könnte.
    "Wir müssen nicht die letzten Reserven der Erde ausbeuten"
    Die Förderung von Schiefergas ist auch in den USA umstritten, denn dabei wird oft nahe der Oberfläche gebohrt, mit größerer Gefahr fürs Trinkwasser. In Deutschland soll eine Expertenkommission im Einzelfall Ausnahmen vom Verbot erwirken können. Kritiker wie Gruhl bezweifeln, dass die beabsichtigten Probebohrungen tatsächlich nur der Forschung dienen:
    "Man würde keine Forschungsvorhaben betreiben, wenn man nicht darauf abzielen würde. Wenn man in die Gesetzesbegründung schaut, werden da etwa vier Forschungsvorhaben für jedes Jahr prognostiziert. Das heißt für mich nichts anders, als dass man die ganz normale Aufsuchung, die Exxon jetzt ohnehin betreiben würde, wo Vorkommen zu finden sind, jetzt mit einem Wissenschaftsstempel versehen möchte und weiter betreiben will."
    Auch Niedersachsens Umweltminister Wenzel kündigt im parlamentarischen Nachgang harte Kontroversen an:
    "Wir wollen definitiv keine Schiefergasförderung! Da bin ich mir einig mit meinem Kollegen vom Wirtschaftsressort. Das ist einerseits von den Risiken her nicht abschätzbar. Aber auch aus klimapolitischer Sicht sage ich: Wir müssen nicht die letzten Reserven der Erde ausbeuten."