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Neue Gespräche zwischen gemäßigten und radikalen Palästinensern als Chance für Frieden?

    Simon: Wochenlange Besetzungen palästinensischer Gebiete, massenhafte Verhaftungen mutmaßlicher Terroristen, der Bau einer Mauer zwischen Israel und den Gebieten und trotzdem kein Ende der verheerenden Selbstmordanschläge. Israels Regierung ist anscheinend ratlos, wie es weitergehen soll. Aber auch in Palästina wird zunehmend diskutiert, wohin die Intifada steuert. Wofür kämpfen die Palästinenser? Wie kann der Konflikt beendet werden? Sind Selbstmordattentate ein legitimes Mittel des Kampfes? Mit diesen Fragen beschäftigt sich seit über einem Monat ein informeller Kreis, dem sowohl Mitglieder radikaler und fundamentalistischer Gruppen angehören, wie Hamas und islamischer Dschihad, aber auch Palästinenser, die für Friedensverhandlungen mit Israel - das berichtet die Washington Post . Am Telefon ist nun Fawas Abu Sitta, Dozent an der Universität Al Azhar im Gaza. Herr Abu Sitta, dass jetzt bislang eher verfeindete Palästinenser über Strategie und Ziele gegenüber Israel sprechen, was bedeutet das?

    Abu Sitta: Das bedeutet, dass die Palästinenser immer danach suchen werden, Wege und Mittel zu finden, um aus diesem Teufelskreis zu kommen. Seit 35 Jahren sind die Gebiete schon okkupiert und das Palästinaproblem überhaupt besteht seit 100 Jahren und es gibt keine Lösung in absehbarer Zeit. Nach der Übernahme der Regierung durch Scharon, wurde den Palästinensern klar, dass sie einen palästinensischen Staat auf der Westbank und im Gazastrafen, sprich auf 22 Prozent des palästinensischen Gebietes, als Kompromiss bereit sind aufzubauen, um ihre palästinensischen Gesellschaft endlich in Frieden und in Stabilität und Sicherheit entwickeln zu lassen. Dennoch kamen sie immer wieder zu dem Punkt, dass sie die israelischen Regierungen, und speziell die Regierung Scharons, immer nur mit taktischen Angeboten abspeisen, die PLO somit praktisch schwächen und die Palästinenser ihre Ziele durch fortgesetzte Okkupation, massive Zerstörung der Wohnorte und fortgesetzte Siedlungspolitik nicht erreichen lassen will. Deshalb stellt man immer wieder fest, dass von Seiten der Palästinenser Initiativen ausgehen, um die Hoffnung aufrecht zu erhalten.

    Simon: Herr Abu Sitta, hat das denn eine neue Qualität, wenn man sich nun wirklich in einem Zirkel konkret zusammensetzt und gezielt überlegt?

    Abu Sitta: Alle Verhältnisse und jede Situation schafft eine gewisse Atmosphäre für die Entstehung und Entwicklung neuer Bemühungen, neuer Ideen und neuer Strategien und neuer Pläne, um aus diesem Teufelskreis und dieser Krise herauszukommen. Es ist normal, dass immer wieder Aktivisten und Kreise aus den verschiedenen Schattierungen der politischen Landschaft versuchen, kreative Ideen zu entwickeln, um die Situation vielleicht zu retten. Aber eines bleibt: Diese ganzen Versuche erwecken immer den Schein, dass man an den Symptomen herumdoktert und das Übel nicht an der Wurzel packt. Das ist meine Befürchtung.

    Simon: Was sehen Sie denn als das Übel, was man an der Wurzel packen müsste?

    Abu Sitta: Das ist jede fortgesetzte Okkupation.

    Simon: Aber das können die Palästinenser in der Situation auch gar nicht an der Wurzel packen. Wie sehen Sie es, dass Arafat und seine Autonomiebehörde bei diesen Gesprächen jetzt, die wohl recht ernsthaft laufen, wo wohl auch europäische und amerikanische Emissäre schon teilgenommen haben, nur am Rande einbezogen ist? Wird die überhaupt nicht mehr ernst genommen unter den Palästinensern?

    Abu Sitta: Die Amerikaner wissen genau, was dieser Krisensituation ein Ende bereiten würde. Den Amerikaner ist wohl klar, dass sie mit massivem Druck oder mit entsprechendem Druck auf beiden Seiten eine Lösung herbeiführen kann. Und die soll so aussehen, dass die israelische Seite die Formen der Lösung und die international akzeptierten Vorstellungen zur Durchsetzung anerkennt und zum Ende der Okkupation, zur Bereitschaft des Endes der Okkupation, zur Bereitschaft der Lösung des Siedlungsproblem, gezwungen wird, was ein großes Sicherheitsproblem innerhalb der palästinensischen Gesellschaft darstellt. Bei dieser Bereitschaft durch die verstärkte Einschaltung der internationalen Gemeinschaft sieht man eine Hoffnung am Ende des Tunnels und dass auf der palästinensischen Seite auch kreative Ideen stehen und die Bereitschaft für neue qualitative Ideen vorhanden ist. Anders würde ich das nicht sehen. Solange die israelische Politik gegenüber den Palästinensern gerechtfertigt und toleriert wird, obwohl jeder weiß, dass Okkupation die Ursache für diesen Teufelskreis ist, den wir in unserem Leben seit Jahren durchmachen.

    Simon: Herr Abu Sitta, in diesem Zusammenhang kommt ja auch die Meldung von vor einigen Tagen, nach der Hamas erklärt hat, dass sie in Zukunft keine Selbstmordattentate mehr in Israel selber verüben wollen, stattdessen verstärkt israelische Siedlungen auf palästinensischem Gebiet angreifen werden. Das heißt aber, wenn Sie von kreativen Ideen und Neuausrichtung sprechen, dass ein Ende dieser Gewalt und schlimmen Selbstmordattentate erst einmal nicht ansteht, sondern sozusagen nur eine räumliche Verlagerung: weg vom Kerngebiet Israel hin zu dem palästinensischen Gebiet, zu den israelischen Siedlungen.

    Abu Sitta: Ja. Zuerst hieß es von der israelischen Seite, dass sie, wenn die Selbstmordattentate innerhalb der Grenze von '48 eingestellt würden, sie dann gesprächbereit wäre und bereit, mit den Palästinensern zu verhandeln. Dann heißt es, dass, wenn die Palästinenser das einstellen würden, sie auch den Widerstand gegenüber der israelischen Armee in den okkupierten, palästinensischen Gebieten und gegen die Siedlungspolitik einstellen müssten. Es wird auch hinzukommen, dass die israelische Seite von den Palästinensern verlangt, dass sie ihren Widerstand gegen die Okkupation als einen Schritt, um mit ihnen zu verhandeln, aufgeben müssen. Es wird so weit kommen, dass jede pazifistische und alle friedlichen Mittel des Prozesses von Seiten der israelischen Regierung als eine Bedrohung betrachtet wird. Also, es wird kein Ende geben. Es gibt eine kritische Haltung innerhalb der palästinensischen Gesellschaft, was manche Formen der Militäraktionen anbelangt, aber eines steht fest: Israel betrachtet jede Form des Widerstandes als eine Bedrohung und als ein Mittel, zu dem die Palästinenser nicht greifen müssen.

    Simon: Herr Abu Sitta, wir müssen an dieser Stelle leider aufhören. Das war der Dozent an der Universität Al Azhar in Gaza.

    Link: Interview als RealAudio