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Neue Holocaust-Gedenkstätte Trostenez
Endlich ein Ort zum Trauern

Wenn in Weißrussland heute eine Holocaust-Gedenkstätte eingeweiht wird, dann ist das ein echtes Novum. Denn die ermordeten Juden sind bisher kaum Teil der Erinnerungskultur des Landes. In Trostenez bei Minsk wurden mindestens 50.000 Menschen ermordet. Hinterbliebene können dort endlich trauern.

Von Florian Kellermann | 29.06.2018
    26. Januar 2018: Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Mins halten Kerzen in den Händen zum Gedenken an die ermordeten Juden.
    In Trostenez bei Minsk wird heute eine Holocaust-Gedenkstätte eingeweiht. (picture-alliance / dpa / Viktor Drachev)
    Kurt Marx weiß nicht viel über die letzten Tage seiner Eltern. Aber immerhin steht heute fest, dass sie an einem Sommertag im Juli 1942 ermordet wurden - in Weißrussland. In einem Wald in der Nähe des Dorfs Trostenez oder auf dem Weg dorthin.
    "Am 19. hatte mir mein Vater noch einen Brief geschickt, einen Rotes-Kreuz-Brief aus Köln. Er hat geschrieben: Wir sind gerade vor der Abreise, lass dich schön grüßen, sei gesund und so weiter. Ja, die haben das nach England geschickt, über die Schweiz nach England. Höchstwahrscheinlich im September kam es da an. Da lebten sie schon lang nicht mehr, aber das wusste man damals überhaupt nicht."
    Der heute 92-Jährige Kurt Marx hat den Holocaust überlebt, weil er als Kind nach England ausreisen konnte. Der Direktor seiner Schule hatte die Flucht aus Nazi-Deutschland organisiert.
    Etwa 50.000 Menschen in Trostenez ermordet
    Die deutschen Besatzer ermordeten bei Trostenez nach verschiedenen Schätzungen mindestens 50.000 Menschen, die meisten von ihnen Juden. Die Opfer stammten aus Deutschland, Österreich, Tschechien und Weißrussland. Es ist die größte deutsche Vernichtungsstätte auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.
    Manche der Opfer wurden erschossen, andere in LKW umgebracht, die zu mobilen Gas-Kammern umfunktioniert waren. Deshalb weiß Kurt Marx nicht genau, wie seine Eltern starben. Aber er hat einiges über ihre Abreise aus Köln in Erfahrung gebracht.
    29.06.2018, Minsk, Weißrussland: Zahlreiche Menschen gehen nach der Eröffnung der Gedenkstätte Malyj Trostenez durch die sogenannten "Waggons". 
    Zahlreiche Menschen gehen nach der Eröffnung der Gedenkstätte Malyj Trostenez durch die sogenannten "Waggons". (picture-alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    "Sie haben wirklich geglaubt, dass sie hier arbeiten können. Sie mussten sogar für ihre Reise selbst bezahlen. Sie mussten 50 Mark pro Kopf bezahlen, um herzukommen, sodass man sie ermorden konnte."
    Kurt Marx wird heute dabei sein, wenn in Trostenez eine Gedenkstätte eingeweiht wird - fast 80 Jahre nach dem Verbrechen. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird kommen.
    Aufarbeitung der Geschichte der Minsker Ghettos
    Möglich wurde dies durch das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund, kurz IBB. Der Verein beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Weißrussland. Er hat in der Hauptstadt Minsk ein Begegnungszentrum und eine sogenannte Geschichtswerkstatt geschaffen - sie arbeitet die Geschichte des Minsker Ghettos auf. Das IBB sammelte für die Gedenkstätte in Deutschland Spenden von insgesamt einer Million Euro.
    Das Projekt stammt vom inzwischen verstorbenen weißrussischen Architekten Leonid Lewin, der selbst zahlreiche Verwandte durch den Holocaust verloren hatte. Seine Tochter Galina Lewina, ebenfalls Architektin, setzte sein Werk fort:
    "Die Gedenkstätte ist so konzipiert, dass jeder, der kommt, diesen letzten Weg gehen muss. Diese 800 Meter bis zu dem Ort, wo die Juden erschossen wurden, den Weg bis zu dieser letzten Grenze, hinter der die Vernichtung kam."
    "Ich habe lange genug gewartet"
    Dieser Weg führt unter anderem durch fünf begehbare Eisenbahnwaggons - Zeichen für den Transport der Juden aus dem westlichen Europa. Der 92-jährige Kurt Marx ist froh, dass das Andenken an seine Eltern nun endlich einen Ort bekommt:
    "Wenn normalerweise ein Mensch stirbt, dann wird er begraben, dann geht man zu einem Friedhof - und man kann hingehen, wenn man will oder muss. Und das ist hier für mich ungefähr dasselbe. Irgendwie hat mich das befriedigt, das ist mehr oder weniger das Ende. Ich habe lange genug gewartet."