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Neue Kunst in alter Schaubude

Jahrmarktunterhaltung muss nicht immer kunstfern sein: Die beiden Hamburger Performancekunst-Gruppen "Geheimagentur" und "random people" haben gemeinsam mit der Theaterfabrik Kampnagel auf dem Hamburger Dom eine alte Schaubude aufgebaut und zeigen Unterhaltungsshows abseits des Mainstreams.

Von Dirk Schneider | 11.04.2013
    Eine Schaubude auf dem Hamburger Dom, dem großen Jahrmarkt der Hansestadt. Normalerweise treten hier auf: die schwebende Jungfrau und die Dame ohne Unterleib. Eine klassische Jahrmarktshow. Routinierte Zehn-Minuten-Unterhaltung mit Nostalgie-Faktor, Kunstanspruch: gegen Null. Heute aber, am selben Ort: ein junger Performancekünstler aus England. Über einen Kopfhörer wird ihm ein deutscher Text eingeflüstert, den er nachspricht, ohne seinen Sinn zu verstehen.

    Zwei Hamburger Performancegruppen haben mit Unterstützung der Theaterfabrik Kampnagel ein traditionelles Schaubudenzelt gemietet. Sie zeigen Performancekunst abseits von Museum, Galerie oder Theater. Im handlichen Fünf-Minuten-Format, mit Unterhaltungswert:

    "Wir wollen unbedingt unterhalten! Wir wollen, dass den Leuten das Performancekunstprogramm, das wir anbieten, unbedingt gefällt. Wir wollen natürlich auch die Sachen zeigen, die wir gerne machen würden, und keine Kompromisse machen mit dem Programm, und das ist immer so ein Aushandeln davon, wie diese Relation ist,"

    sagt der Künstler, der sich "The Most Charming Man" nennt. Er ist Mitglied einer der beiden Performancegruppen, die ihre bürgerlichen Namen nicht nennen. Die hehre Kunst also auf dem Jahrmarkt, wo um Aufmerksamkeit gebuhlt und um jeden Euro gefeilscht wird.

    Es war Mutanton – Vorsicht, wieder ein Künstlername –, der vor zwei Jahren ein traditionelles Schaubudenprogramm auf dem Hamburger Dom erlebt hat, und begeistert war:

    "Da jagt ein Effekt den nächsten, das geht zack-zack-zack, das ist supertight, das ist durch Tausende Wiederholungen auf das Notwendigste abgeschliffen. Es ist wahnsinnig präzise, es weiß in jeder Sekunde genau, was es tut, es ist beeindruckend. Davon will man natürlich lernen."

    Also hat Mutanton eine Woche bei der Revue hospitiert, und es war eine Erleichterung: Weg vom Kunstbetrieb und seinem elitären Anspruch auf Authentizität und Unvermarktbarkeit, hin zur profanen Unterhaltungsshow in endloser Wiederholungsschleife. So kunstfern das erst mal klingt - reine Routine -, für die Künstler ist es ein Segen.

    "Also die große Möglichkeit ist die ständige Wiederholung. Man kann an solchen Sachen wie Timing oder Variationsmöglichkeiten endlos arbeiten,"

    schwärmt die Performerin, die hier unter dem Namen "Fuchs der Hase" mit absurden Zaubertricks auftritt:

    "Also wann macht man schon 16 Shows hintereinander, vor Publikum, in kurzen Zeitabständen?"

    Draußen an der Kasse sitzt wie immer Manfred, dessen bürgerlicher Name verraten werden darf. Er tingelt seit 15 Jahren mit einer klassischen Illusionsrevue über deutsche Jahrmärkte. Aber er ist immer seltener unterwegs, dieses Jahr ist Hamburg sein erster Einsatz:

    "In den kleineren Städten, das lohnt sich nicht mehr. Schon durch die Fahrzeuge, die ganzen Spritpreise, die Stellplatzkosten oben drauf, und Strom und alles."

    Die gute alte Illusionsshow droht auszusterben, während Performancekunst, spätestens seit Marina Abramovic im New Yorker Museum Of Modern Art, boomt wie nie. Vielleicht können beide voneinander profitieren? Hofft jedenfalls "The Most Charming Man":

    "Aber wenn man ein paar Jahre zurückgeht, dann ist das beides etwas, was so ein bisschen anrüchig ist, gefährlich, so ein bisschen marginal, und vielleicht suchen wir das auch so ein bisschen hier, wenn wir am Jahrmarkt sind."

    Auf jeden Fall profitieren die Künstler, die hier ein Publikum haben, von dem sie sonst kaum zu träumen wagen – ein paar verirrte Kunstinteressierte, gemischt mit Jahrmarktbesuchern, die für ihr Geld vor allem eine funktionierende Show erwarten. Und erstaunlich offen sind für Performances, in denen ein Goethe-Band angeschrien wird, oder zwei Frauen während eines Wrestlings über politische Themen diskutieren:

    Wenn denn ein Publikum kommt. Auch die angebliche Unvermarktbarkeit der Performancekunst soll hier ja durch die Jahrmarktschreierei ad absurdum geführt werden. Bei Dauerregen in Hamburg allerdings ein hoffnungsloses Unterfangen, da weiß auch ein alter Profi wie Manfred keinen Rat.

    "Nee. Sind einfach viel zu wenig Leute da."

    Auch auf dem Jahrmarkt gilt dann: ohne Publikum keine Performancekunst.


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