Remme: 1.300 Lieferungen, was heißt das in Mengen?
Höhn: Wir gehen davon aus, dass es 8.500 Tonnen Mischfutter sind, und man muss davon ausgehen, dass die Melasse, die ja auch davon betroffen ist, weiter im Futter eben vermischt worden ist - oft sind das etwa drei Prozent -, so dass man davon ausgehen kann, dass sich das gerade über die Futtermittelhersteller nochmals potenziert. Also wir werden in enorme Dimensionen kommen von Betrieben, die davon betroffen sind. Wir bekommen heute die Informationen, welche Betriebe betroffen sind, und werden dann eben mit Sperraktionen und entsprechenden Prüfungen und Messungen beginnen. Aber das hat sich enorm ausgeweitet. Natürlich sind - das ist klar - wegen der Nähe zu den Niederlanden insbesondere Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen betroffen.
Remme: Wie viele Höfe sind denn aus diesem Grund in Nordrhein-Westfalen bereits gesperrt?
Höhn: Also die Zahl der Betriebe hat sich jetzt noch sehr in Grenzen gehalten, weil wir einige auch schon wieder entsperren konnten. Gerade die Schweinelieferungen sind ja an Schlachthöfe gegangen und nur an wenige Betriebe, so dass momentan in Nordrhein-Westfalen sehr wenige Betriebe betroffen sind. Aber 1.300 Lieferungen nach Deutschland, da werden Hunderte von Betrieben in unterschiedlichen Bundesländern gesperrt werden müssen.
Remme: Im Mittelpunkt steht das Wachstumshormon MPA. Wie gefährlich ist dieses Zeug für unsere Gesundheit?
Höhn: Es hat viele Meldungen darüber gegeben. Es ist natürlich so, dass man jetzt nicht Angst haben muss, wenn man irgendwas von den Lebensmitteln gegessen hat, dass man ein akutes Problem bekommt, und etwas Schlimmes sofort passiert. Aber die Hormone sind zurecht in Deutschland und EU-weit in der Tiermast verboten, und zwar deshalb, weil der Eintrag von Hormonen in die Umwelt in den letzten Jahrzehnten massiv angestiegen ist, und auch seine Wirkung tut. Hormone können in geringen Mengen am falschen Platz eben schon wirken. Und das sind Hormone, die in der Anti-Baby-Pille sind, also eben eine negative Wirkung haben, was die Zeugungs- und Fortpflanzungsfähigkeit angeht. Insofern merken wir auch, dass diese Hormone in ihrem Gesamteintrag, sowohl über die Humanmedizin als auch über die Tierarzneimittel, doch ihre Wirkung tun.
Remme: Wenn ich es richtig weiß, dann gibt es aber immer noch Wachstumshormone - ich glaube, es sind vier -, die nach wie vor erlaubt sind. Warum ist das noch so?
Höhn: Das sind keine Hormone. In Europa haben wir verboten, dass Hormone in der Mast eingesetzt werden. Das sind Antibiotika, die als Futtermittelzusatzstoffe eingesetzt werden, von denen auch ich der Meinung bin, dass sie verboten werden müssen. Aber das haben wir bisher noch nicht erreicht. Und auch das wollen wir versuchen zu erreichen, denn Antibiotika in diesen Mengen eingesetzt wie in der Vergangenheit führen eben dazu, dass wir Antibiotika-Resistenzen haben. Wir merken, dass Antibiotika nicht mehr wirken, weil die Bakterien es geschafft haben, dagegen resistent zu werden, und das bedeutet, dass der Schutz der Antibiotika zunehmend wegfällt.
Remme: Das führt zur nächsten Frage. Der Spiegel berichtet, ihr Ministerium habe dieses in der Tiermast verbotene Arzneimittel Tetrazyklin auch in Kalbfleisch gefunden. Stimmt das? In welchem Umfang?
Höhn: Es ist so, dass wir 2001 sehr viele Messungen gemacht haben. Wir finden das vorwiegend in den Knochen, das heißt die Tiere sind mit diesem Mittel behandelt worden. Wir finden es weniger im Fleisch selber, aber in den Knochen können wir das länger nachweisen. Das ist noch ein Mittel, was auch erlaubt ist, auch dann, wenn die Tiere krank sind, ist der Einsatz erlaubt, aber es wird doch im erheblichen Umfang eingesetzt, und deshalb haben wir von Nordrhein-Westfalen aus eine ganz große neue Gesetzgebung eingeleitet, das Tierarzneineuordnungsgesetz, was jetzt gerade vom Bundesrat verabschiedet worden ist, dass wir sehr viel restriktiver auch mit dem legalen Einsatz von Medikamenten in Zukunft umgehen wollen. Das hat von dem Bundesrat teilweise 16:0 - Ergebnisse bekommen, das heißt alle Länder haben dem zugestimmt. Man sieht daran, dass hier ein großes Defizit war, was wir verändern mussten.
Remme: Trügt der Eindruck, oder haben wir es in den vergangenen Monaten mit immer mehr Affären dieser Art zu tun?
Höhn: Also in den letzten Wochen häuft sich das in der Tat. Aber ich bin jetzt seit sieben Jahren Ministerin, und es ist schon so, dass jedes halbe Jahr oder jedes Jahr mindestens ein größerer Lebensmittelskandal stattgefunden hat. Aber Sie haben schon Recht, wir haben gerade nach Nitrofen jetzt eben auch Hormone. Insofern haben wir es momentan mit einer Summe von Lebensmittelskandalen zu tun.
Remme: Jüngsten Umfragen zufolge ist die Bereitschaft, für Öko-Produkte mehr Geld auszugeben binnen eines Jahres von 56 Prozent auf 32 Prozent abgesackt. Das muss doch für Sie als Grüne eine absolute Hiobsbotschaft sein, oder?
Höhn: Was ich auch gemerkt habe ist, dass sich das Verbraucherverhalten natürlich direkt nach einem Lebensmittelskandal total ändert, und sehr viele eben auf Öko-Lebensmittel gehen, dass das auch dann wieder ein Stück wieder absackt, aber nach jedem folgenden Lebensmittelskandal dann wieder steigt, so dass das in der Summe dann schon eine ansteigende Kurve ist. Das ist, glaube ich, ganz natürlich. Und so sehe ich das auch.
Remme: Was muss sich denn grundlegend ändern, um den Vertrauensschwund der Verbraucher wieder gut zu machen.
Höhn: Die entscheidenden Lösungsansätze haben wir ja mehrfach genannt. Auch die EU, denn die neuen Vorschläge von Herrn Fischler gehen auch in diese Richtung, dass wir viel stärker setzen auf Tierschutz, auf Verbraucherschutz, auf Umweltschutz in der Landwirtschaft, dass wir da die Fördermittel hingeben lassen, dass aber auch die Verbraucher stärker auf Qualität setzen sollten, gerade bei Lebensmitteln. Es ist eigentlich ein Unding, wenn in allen anderen Bereichen, sei es das Auto, sei es die Waschmaschine, auf ein Preis-Leistungsverhältnis geachtet wird, nur im Lebensmittelbereich, eigentlich dem Wichtigsten, was wir brauchen, herrscht die Meinung vor: Alles ist gleich gut, und man richtet sich nur nach den Preisen. Da müssen wir zu einer Änderung kommen.
Remme: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio