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Neue Reaktortechnologie
In Sibirien wird ein schwimmendes Kernkraftwerk hochgefahren

2016 wurde in einer russischen Werft ein schwimmendes Atomkraftwerk fertig gestellt. Die "Akademik Lomonossow 1" ist eine 150 Meter lange Barke mit zwei Reaktoren, die zusammen 70 Megawatt elektrische Leistung liefern. Umweltschützer sorgen sich um die Sicherheit der Anlage.

Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Ralf Krauter | 08.11.2018
    Das Bild zeigt das umstrittene "Schwimmende Atomkraftwerk" Russlands, die "Akademik Lomonossow", die hier im Wasser von Beibooten eskortiert wird.
    Das schwimmende Atomkraftwerk soll die Stadt Pevek mit Strom versorgen (dpa-bildfunk / AP / Dmitri Lovetsky)
    Ralf Krauter: Die Idee des schwimmenden Kernkraftwerks stammt aus den 1950er Jahren. Doch erst vor 12 Jahren wurde in Russland tatsächlich mit dem Bau begonnen. Letzte Woche ist der erste Reaktor angefahren. Wie ist der Stand an Bord der 'Akademik Lomonossow 1'?
    Dagmar Röhrlich: Das russische Staatsunternehmen Rosatom hat bekannt gegeben, dass der Reaktor auf der Steuerbordseite läuft. Nach einer Reihe von Test soll in diesen Tagen auch der zweite angefahren werden. Nach Abschluss aller Tests soll die Akademik Lomonossow dann im Sommer an ihren Bestimmungsort Pevek geschleppt werden. Pevek ist eine 100.000-Einwohner-Stadt auf der Tschuktschen-Halbinsel in der Arktis. In etwa einem Jahr soll sie dort den kommerziellen Betrieb aufnehmen und ein altes Kernkraftwerk sowie ein Heizkraftwerk ersetzen.
    Krauter: Wie sieht denn dieses schwimmende Kernkraftwerk überhaupt aus?
    Röhrlich: Die Akademik Lomonossow ist eine Barke, hat also keinen eigenen Antrieb und muss geschleppt werden. Sie ist rund 150 Meter lang und 30 Meter breit, und in ihrem Rumpf stecken zwei Reaktoren - und zwar modifizierte Eisbrecherreaktoren. Mit 35 Megawatt ist die elektrische Leistung der schwimmenden Reaktoren rund 40 Mal geringer als die eines "klassischen" Kernkraftwerks an Land.
    Im Schiffsrumpf befinden sich außerdem noch die Dampferzeuger, alles, was man fürs Be-, Ent- und Umladen der Brennelemente braucht, drei Nasslager für abgebrannte Brennelemente und ein Trockenlager. Im Nasslager kühlt unter anderem das Meer über Wärmetauscher die Brennelemente, und im Trockenlager werden die Brennelemente nach der Abklingzeit im Nassbecken in Lagerbehältern untergebracht.
    Brennelemente werden alle drei Jahre gewechselt
    Die Brennelemente sollen alle drei Jahre gewechselt werden, und alle zwölf Jahre soll die Akademik Lomonossow dann zu Wartungsarbeiten zur Werft gebracht werden, wo dann auch die Brennelemente entladen werden.
    Dazu kommen dann auch noch sämtliche Anlagen für die Stromlieferung zur Anschlussstelle an Land, die Mannschaftsquartiere, Kantinen, Freizeiträume und so weiter.
    Krauter: Wie sieht es mit der Sicherheit dieser Anlage aus? Muss man sich da in Pevek jetzt Sorgen machen?
    Röhrlich: Bei einer Vorstellung des Konzepts bei der IAEA hieß es, dass die Anlage mit sehr großen Sicherheitsspielräumen gebaut worden sei und sowohl Tsunamis überstehe, als auch Erdbeben der Stärke zehn - das stärkste bislang gemessene war das Valdivia-Beben von 1960 mit einer Stärke von 9,5.
    Selbst bei einem totalen Blackout oder einer Kernschmelze soll nichts in die Umwelt gelangen. Die Kernschmelze werde vom Reaktordruckbehälter aufgefangen und die Hitze durch passive Kühlsysteme abgeführt. Evakuiert werden müsse im Ernstfall niemand, und Notfallpläne brauche man nur für den Umkreis von einem Kilometer um die Barke.
    Und weil das Kernkraftwerk schwimmt, muss auch das Schiff besonders widerstandsfähig sein. Es hat einen doppelwandigen Rumpf, wurde aus Stahl gebaut, dem die niedrigen Temperaturen in der Arktis nichts ausmachen - und das Schiff ist speziell verstärkt worden, damit es auch durch Eis geschleppt werden kann.
    Umweltschützer haben Bedenken
    Krauter: Sind Umweltschützer auch dieser Meinung?
    Röhrlich: Nein. Dass keine Radioaktivität in die Umwelt austreten kann, da sind sie also sehr skeptisch. Zwar sind die Reaktoren vergleichsweise klein und deshalb sollte es bei einem schweren Störfall einfacher sein, die Wärmemengen abzuführen als bei einem großen Reaktor. Doch gibt es keine robuste Schutzhülle, kein Containment. Außerdem werden die Brennelemente ja an Bord aufbewahrt, so dass im Ernstfall große Mengen an Radionukliden freigesetzt werden können. Und dann - der Tsunami. Im schlimmsten Fall, so fürchten die Umweltschützer, könnte die Anlage ins Landesinnere geschleudert werden - und sie wäre - selbst wenn der Reaktor und die Brennelementlager heil blieben - dann weit weg von ihrer Quelle für Notkühlmittel - dem Meer. Die Vorräte an Bord reichen aber nur für 24 Stunden. Und weil das Einsatzgebiet abgelegen ist, lässt sich Hilfe nicht schnell heranschaffen.
    Mobile Reaktoren liegen im Trend
    Krauter: Klingt eher nicht so, als ob solche schwimmenden Mini-Reaktoren ein Modell für die Zukunft wären. Ihre Prognose: Werden wir künftig mehr davon sehen?
    Röhrlich: Die Entwicklung schwimmender Kernkraftwerke liegt sozusagen im Trend: Zwei staatlich unterstützte Unternehmen in China sollen Pläne für mindestens 20 schwimmende Kernkraftwerke verfolgen, und amerikanische sowie kanadische Unternehmen verfolgen eine eigene Pläne. Und die Russen haben nun mit der Akademik Lomonossow einen großen Vorsprung. Nach dem Willen ihrer Erbauer soll sie die erste einer Reihe von mobilen, transportablen Kleinleistungsreaktoren sein, die entlegene Siedlungen, Industrieanlagen oder auch Bohrplattformen mit Strom und Wärme versorgen und mit entsalztem Meerwasser.
    Mit Blick auf das Exportpotential, wird derzeit eine zweiten Generation mit 50-Megawatt-Reaktoren entwickelt - sie sollen auch billiger sein, denn das Preisschild der Akademik Lomonossow war mit rund 480 Millionen Dollar sehr hoch. Man wirbt damit, dass der Bau eines solchen schwimmenden und sozusagen von der Stange hergestellten Kernkraftwerk nur vier Jahre dauere - im Gegensatz zu einem oder gar zwei Jahrzehnten bei einem konventionellen Kraftwerk. Und inzwischen gibt es Interessenten. So soll der Sudan einen Vorvertrag über den Erwerb des erste ausländischen schwimmenden Atomkraftwerk haben.