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Neue Rechte
Alte Ideen in neuem Gewand

Der Historiker Volker Weiß fächert in dem Buch "Die autoritäre Revolte" auf, wie nationalistische, antiliberale Ideen der Vergangenheit heute wieder verbreitet werden - von der Konservativen Revolution vor der NS-Zeit bis zu heutigen Phänomenen wie Pegida, AfD und Identitäre Bewegung.

Von Stefan Maas | 20.03.2017
    Aktivisten der "Identitären Bewegung" stehen am 27.08.2016 neben der Quadriga auf dem Brandenburger Tor. Die Gruppe wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Sie wendet sich gegen vermeintliche Überfremdung und Islamisierung.
    Aktivisten der "Identitären Bewegung" stehen am 27.08.2016 an der Quadriga auf dem Brandenburger Tor. (picture-alliance / Paul Zinken)
    Für viele kam sie überraschend, die Wut. Bankenkrise, Griechenland- und Flüchtlingskrise: Plötzlich gingen Menschen auf die Straße. Der Tonfall bei öffentlichen Diskussionen wurde schrill, in sozialen Netzwerken oft sogar hasserfüllt. Noch überraschender war für viele Beobachter, wie schnell diese Wut in Kanäle gelenkt und organisierte wurde, sich sogar zu einer Partei verfestigte. Dabei, schreibt Volker Weiß in seinem Buch "Die autoritäre Revolte", waren die Strukturen längst vorhanden, um diese – Zitat – Heimatlosen mit offenen Armen aufzunehmen.
    "Eine erstaunliche Dynamik entfaltete sich und die bisher unbedeutende Szene, die sich um einige kleine Zeitschriften und Institutionen gesammelt hatte, fand eine wütende Basis."
    Bereits zuvor habe die Neue Rechte immer wieder Anlauf genommen, um in der Bundesrepublik Fuß zu fassen und ihre Themen in den politischen und gesellschaftlichen Diskussionen zu verankern, schreibt Weiß. Doch ohne Erfolg.
    Aus dem vorpolitischen in den politischen Raum
    Dank zunehmender Europaskepsis, Globalisierung und verschiedener Krisen sei es ihren Protagonisten nun auch in Deutschland gelungen, aus den Kulissen auf die große Bühne zu treten. Als Redner bei Pegida oder bei der AfD. Und so ihre politische Agenda, die bereits seit Jahrzehnten in kleinen Zirkeln ausformuliert wurde, zu platzieren. Von metapolitischen Debatten zu konkretem politischen Einfluss:
    "Es geht zunächst darum, gesellschaftliche Zustände zu schaffen, wie sie vor den 60er Jahren in Deutschland verbreitet waren. Das heißt, Lob der Kernfamilie, Aufwertung des Mannes, Vorstellung von Autorität und Seniorität, ein positives, bis hin ins Mythische reichende Verhältnis zur Nation und zur Nationalgeschichte."
    Das Ziel ist ein autoritärer Staat
    All das seien aber nur Zwischenschritte für die Neue Rechte, führt der Autor aus:
    "Das Endziel, das kann man tatsächlich sagen, ist ein autoritäres Präsidialsystem, das dann in sich ständestaatlich gegliedert ist."
    Es ist nicht zuletzt dieser Aspekt, der zeigt, dass sich die Neue Rechte in vielen Punkten nicht von der Alten unterscheidet.
    Um die gemeinsamen Wurzeln zu belegen, widmet der Historiker Weiß, der sich seit vielen Jahren mit der Geschichte der extremen Rechten beschäftigt, den Quellen dieser Ideologie viel Raum. Unter anderem begegnet der Leser den Werken von Arthur Moeller van den Bruck, Oswald Spengler und Ernst Jünger. Sie gehörten in der Weimarer Republik ideologischen Strömungen an, die entschieden antiliberal, antidemokratisch und antiegalitär waren und als Wegbereiter für den Nationalsozialismus gelten. Ihre Vision war die Konservative Revolution.
    Von der Konservativen Revolution zur Autoritären Revolte
    Die Neue Rechte strebt danach, die kulturelle Deutungshoheit von den liberalen 68ern zurückzuerobern. Dazu bedient sie sich strategisch geschickt der Ideen der Konservativen Revolution und eben nicht der Nationalsozialisten. Der Weg zur kulturellen Hegemonie führe nicht über den Stammtisch, sondern den Hörsaal, sagt der Autor:
    "Die Konzeption der Neuen Rechten war schon immer eine Elitenkonzeption, das bedeutet, man wollte auf die angehende Führungsgeneration einwirken. Ganz konkret Leute aus der mittelständischen Wirtschaft, Leute, die eine akademische Karriere durchlaufen, in die Verwaltung, vor allem Staatsverwaltung dann gehen, dafür hat man sich konzentriert auf die akademischen Verbindungen, Burschenschaften und ähnliches, und die dritte Gruppe, die man anvisiert, sind Offiziersanwärter der Bundeswehr."
    Gegen die liberale Gesellschaft und den Islam
    Hat man diese Menschen erst einmal erreicht, so die Überzeugung, dann werden die neuen alten Ideen auch langsam in den Rest der Gesellschaft einsickern. Und es wird möglich sein, einem großen, einenden Feind entgegenzutreten: Dem Westen.
    "Es geht um die Abkopplung Deutschlands vom westlichen System. Es gilt eben ein Kampf gegen das, was dekadent, als liberal oder sozialistisch empfunden wird. Das ist die große Leitlinie. Das sind alles Dinge, die kennen wir schon aus der deutschen Rechten seit dem Ersten Weltkrieg."
    Allerdings ist, wie Weiß zeigt, der liberale Westen – verkörpert vor allem durch die USA - nicht der einzige Feind im Kulturkampf derjenigen, die sich selbst als konservativ bezeichnen. Auf der anderen Seite nämlich steht der Islam. Hier aber sei es wichtig zu differenzieren, erklärt der Autor:
    "Diejenigen, die über mehr verfügen als nur über Ressentiments, die sind durchaus in der Lage, den Islam ihren Respekt zu zollen, weil er selber als antiwestliche Kraft gesehen wird, die sich im Kampf gegen die Dekadenz des westlichen Liberalismus befindet."
    AfD erschloss Wählerschichten für rechte Ideen
    Und so stelle sich bei genauerer Analyse schnell heraus: "dass die Abneigung meist weniger dem Islam, sondern in erster Linie der 'ethnischen Bedrohung' durch Einwanderung gilt, die mit den Begriffen 'Austausch' und 'Umvolkung' gefasst werden soll."
    Dieses Bedrohungsszenario instrumentalisiert auch die Alternative für Deutschland für ihre Zwecke. Die Partei wird, davon ist Weiß überzeugt, auf lange Sicht eine Bewegung wie Pegida absorbieren, weil es nicht möglich sein wird, die für die Demonstrationen notwendige Energie aufrecht zu erhalten.
    Der AfD sei dabei gelungen, was rechten Parteien zuvor, zumindest in Deutschland nicht langfristig gelungen sei, konstatiert Weiß: Eine gewisse Breitenwirkung zu entfalten und neue Wählerschichten für rechte Politik zu erschließen. Nun werde es möglich, diese Politik in den Parlamenten auch umzusetzen.
    Dass allerdings nicht alle im neurechten Spektrum den Einzug der AfD in die Parlamente positiv bewerten, auch das zeigt der Historiker. Zu groß ist bei manchen Akteuren die Sorge, dass die Partei lediglich den Frustrierten ein Ventil bieten, durch ihre Verfasstheit als Partei aber das System stabilisieren könnte, das sie überwinden wollen.
    Der vermeintliche Untergang des Abendlandes
    Volker Weiß begnügt sich in seinem Buch aber nicht allein mit der deutschen Perspektive. Intensiv beleuchtet er auch die Entwicklungen der Neuen Rechten in Frankreich, Italien und den USA, erläutert Parallelen und Unterschiede.
    Ein großes Kapitel widmet er auch dem Thema "Abendland". Dessen Untergang die Neue Rechte seit Jahrzehnten befürchtet, und das doch, wie Weiß zeigt, eigentlich mehr Mythos ist als Realität. Und vor allem dann bemüht wird, wenn es um die Ausgrenzung des Fremdem geht.
    "Die autoritäre Revolte" ist kein einfach zu lesendes Buch. Und keine Lektüre, die optimistisch stimmt. Es ist eine gründliche und detaillierte Bestandsaufnahme einer Ideologie, die mit der Identitären Bewegung, mit Pegida und AfD Gesichter bekommen hat. Und deren Vertreter Deutschland zu einem anderen Land machen wollen.
    Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes
    Klett-Cotta, 304 Seiten, 20 Euro.