Bartsch betonte, es sei zum Beispiel gut, dass die Regierung verkleinert worden sei und die Löhne nicht weiter gesenkt werden sollten. "Endlich werden da die Superreichen mal zur Kasse gebeten." Griechenland könne so für ganz Europa eine Inspiration sein. "Die ersten Entscheidungen, die getroffen worden sind, sind teilweise sehr vernünftig", sagte Bartsch. Die These aus Deutschland, der harte Sparkurs sei alternativlos, sei falsch.
Bartsch betonte, er sei mit der Koalition der griechischen Linken mit den Rechtspopulisten nicht zufrieden. Aber es habe keine anderen Bündnispartner gegeben. Entscheidend sei nicht deren Wahlprogramm, sondern was im Koalitionsvertrag stehe.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Langweiliger ist die europäische Politik seit dem Machtwechsel in Athen nicht geworden. So viel kann man am Ende der ersten Woche der links-rechtspopulistischen Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras sagen. Während die Finanzfachleute versuchen, der neuen Mannschaft den europäischen Rechtsgrundsatz "pacta sunt servanda", also die Vertragstreue in Erinnerung zu rufen – heute heißt Eurogruppenchef Dijsselbloem nach Athen -, befürchten die Außenpolitiker, dass Athen in der Sanktionspolitik gegen Russland eigene Wege beschreiten könnte.
Gestern gelang es den EU-Außenministern, nur mit einem Formelkompromiss Einigkeit herzustellen. Die Minister der 28 EU-Staaten einigten sich nach schwierigen Verhandlungen in Brüssel auf die Verlängerung von bestehenden Reise- und Vermögenssperren für russische und ukrainische Staatsbürger. Der neue griechische Außenminister Nikos Kotzias meinte, dem Großteil der griechischen Anmerkungen sei Rechnung getragen worden. Besonders wichtig war ihm, dass die Erwähnung neuer Sanktionen herausgenommen wurde. Über fehlende Aufmerksamkeit konnte sich der Mann aus Athen gestern nicht beschweren.
Zu denen, die sich offiziell über den Regierungswechsel in Athen freuen, gehört in Deutschland die Linkspartei. Am Telefon ist Dietmar Bartsch, der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion "Die Linke" im Deutschen Bundestag. Guten Morgen.
Dietmar Bartsch: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
Heinemann: Herr Bartsch, kann sich Präsident Putin auf die neue Regierung in Athen verlassen?
Bartsch: Die Regierung in Athen von Alexis Tsipras ist keine Vasallenregierung. Aber richtig ist, dass hier von ihm in anderer Weise nachgedacht wird, wie man dann die Frage Ukraine-Russland klären kann, und dort ist offensichtlich die Auffassung, dass schärfere Sanktionen und Ähnliches dieses Problem nicht lösen.
Heinemann: Russland hat sich jetzt grundsätzlich bereit erklärt, Griechenland finanziell zu unterstützen. Kann sich die Regierung in Athen auf die Regierung in Moskau verlassen?
Bartsch: Auch das würde ich nicht so einfach unterstützen. Ich glaube, dass wir auch in Deutschland nachdenken sollten, wie kriegen wir das Problem Ukraine geklärt, wie können wir auch mit der neuen Regierung in Griechenland, weil dort ist eine demokratische Entscheidung gefällt worden, dort sind die Altparteien abgewählt worden. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen und nachdenken, wie kann eine Lösung aussehen, die die bisherige Situation, nämlich Arbeitslosigkeit in Griechenland über 25 Prozent, Jugendarbeitslosigkeit über 55 Prozent, wie können wir die verändern. Und das, glaube ich, ist angesagt und da sollten wir ein klein wenig, ein klein wenig entspannter sein und nicht nach drei Tagen abschließende Urteile fällen.
"Die Ukraine-Krise muss geklärt werden"
Heinemann: Sehen Sie eine Wende in der griechischen Außenpolitik?
Bartsch: Das vermag ich nicht einzuschätzen. Das wäre sehr vermessen. Aber ich würde mir schon wünschen, dass die EU – und da freue ich mich auch, was Herr Steinmeier eben gesagt hat. Es kann nicht darum gehen, etwa Verschärfungen gegenüber Russland vorzunehmen. Wir wollen eine friedliche Lösung. Die Ukraine-Krise muss geklärt werden. Aber das geht keinesfalls, indem man dicke Backen macht, indem man vielleicht über Militärisches nachdenkt. Nein: Gespräche müssen geführt werden. Es muss eine diplomatische Lösung her.
Heinemann: Herr Bartsch, Zeitungen haben darüber berichtet, dass mehrere ältere Funktionäre des linken Syriza-Flügels in jungen Jahren Mitglieder der Kommunistischen Partei waren in Griechenland. Viele haben in der ehemaligen Sowjetunion studiert so wie Sie. Beeinflusst eine solche Erfahrung das politische Urteil?
Bartsch: Selbstverständlich. Ich habe in Moskau meine Aspirantur gemacht, habe zu Zeiten Gorbatschows dort promoviert, und man bekommt ein anderes Verhältnis zu diesem Land.
Wer einmal den 9. Mai miterlebt hat und erlebt hat, wie viele Tränen dort heute noch fließen – jede Generation ist betroffen, 20 Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg -, der hat nicht so schnell den Mut zu drohen und dicke Backen zu machen, sondern der hat ein gewisses Maß an Demut. Der weiß, dass für Deutschland, im Übrigen auch für Griechenland es immer gut war, wenn man vernünftige, ruhige, vor allen Dingen gute wirtschaftliche Beziehungen zu Russland hatte. Natürlich beeinflusst das und das ist im Übrigen ganz gut, genauso wenn man in Amerika oder in anderen Ländern einige Zeit gelebt hat.
Heinemann: Wir wollen uns, Herr Bartsch, anhören, was der CDU-Politiker Michael Gahler von den Rechtspopulisten in der griechischen Regierung hält.
Michael Gahler: "Es ist natürlich schon besorgniserregend, wenn man Parteien in Regierungen bekommt, die sich so verhalten wie Tsipras oder Kotzias, der Außenminister, der neue, der sich mit dem Chefideologen Alexander Dugin schon vor Jahren getroffen hat, der ihn zweimal nach Piräus in die Universität eingeladen hat, also eindeutig ein sehr gewaltbereiter Ideologe, Herr Dugin, der Verteidigungsminister Kammenos, der antisemitische Äußerungen macht, Juden zahlen keine Steuern. Solche Äußerungen und solche Partner, die sind höchst unappetitlich."
Heinemann: Herr Bartsch, Sie haben die Tränen am 9. Mai in Moskau erwähnt. Hat die griechische Linkspartei Syriza Faschisten hoffähig gemacht?
Bartsch: Das hat sie so nicht. Ich bin mit der Koalitionsbildung wahrhaftig nicht zufrieden. ich finde das höchst problematisch. Es werden aber hier keine Faschisten hoffähig gemacht.
"Im Wahlprogramm dieser Partei sind Dinge, die inakzeptabel sind"
Heinemann: Entschuldigung! Juden zahlen zu wenig Steuern. Das ist Originalton Deutschland 30er-Jahre. Noch mal die Frage: Hat Syriza Faschisten hoffähig gemacht?
Bartsch: Um das noch mal klarzustellen: Ich finde noch mal diesen Koalitionspartner nicht akzeptabel, ich finde das sehr problematisch, will aber darauf hinweisen, der O-Ton dieser Äußerung, er wird immer nur wiederholt, der O-Ton dieser Äußerung ist, dass Juden, orthodoxe Juden in Israel keine Steuern zahlen und dass das ein Problem ist.
Der Mann hat das nicht bezogen auf Griechenland.
Aber nichts desto trotz: Im Wahlprogramm dieser Partei sind Dinge, die inakzeptabel sind. Das muss man ganz klar sagen. Das ist auch die Position der Linkspartei. Und trotzdem: Ich möchte das gern an den Ergebnissen dieser Regierung messen und nicht daran, dass es Vorurteile gibt. Ich finde das wie gesagt problematisch.
Der Mann hat das nicht bezogen auf Griechenland.
Aber nichts desto trotz: Im Wahlprogramm dieser Partei sind Dinge, die inakzeptabel sind. Das muss man ganz klar sagen. Das ist auch die Position der Linkspartei. Und trotzdem: Ich möchte das gern an den Ergebnissen dieser Regierung messen und nicht daran, dass es Vorurteile gibt. Ich finde das wie gesagt problematisch.
Heinemann: Vorurteile? Wo sind denn da die Vorurteile?
Bartsch: Nein, noch mal! Ich kann das gern wiederholen. Die Anel und ihr Wahlprogramm ist aus Sicht der Linkspartei in Deutschland nicht nur problematisch, da sind inakzeptable Positionen. Aber wichtig ist, wie ein Koalitionsvertrag aussieht. Ich kritisiere das, diese Koalition. Es gab offensichtlich aber kaum andere Möglichkeiten. Ich will da aber nicht den Stab brechen, sondern will das an der Politik messen. Wenn irgendetwas davon Politik werden sollte – davon gehe ich nicht aus -, dann we3rden wir das auch in großer Deutlichkeit kritisieren.
"Ich möchte Herrn Tsipras an seiner Politik messen"
Heinemann: Herr Bartsch, vor nicht so langer Zeit hat Die Linke noch gegen Faschisten in der ukrainischen Regierung in Kiew gewettert. Messen Sie jetzt nicht mit zweierlei Maß?
Bartsch: Nein! Wir kritisieren – ich kann das noch mal gern sagen –, Faschisten in keiner Hinsicht sind für uns akzeptabel. Aber sie koalieren nicht mit der Partei Morgenröte, sondern es ist die Anel.
Ich darf das noch mal deutlich sagen. Die Menschen dort, auch die im Parlament sind, waren alle in der Nea Dimokratia. Das ist die Partei, die das Land dort hingeführt hat. Das ist die Partei, die die Schwesterpartei der CDU ist. All diese Leute waren vor vier oder fünf Jahren in der Partnerpartei der CDU. Heute sind es alle Faschisten. Das ist eine zu große Abkürzung. Ich will und muss diese Partei nicht verteidigen und werde das auch nicht. Ich kritisiere das. Und trotzdem: Jetzt zu sagen, sie koalieren mit Faschisten, ist eine Abkürzung, die aus innenpolitischer Sicht gern genommen wird.
Ich möchte Herrn Tsipras an seiner Politik messen. Die ersten Entscheidungen, die getroffen worden sind, sind teilweise sehr vernünftig: Eine kleinere Regierung, endlich die Kampfansage an die Oligarchen in Griechenland, endlich werden dort die Superreichen mal zur Kasse gebeten. Und auch der Kurs, nicht etwa Löhne weiter zu senken, ist ein richtiger Kurs. Wir brauchen in Europa einen Kurswechsel und Griechenland kann dort eine Inspiration sein. ich gehe davon aus, dass auch in Spanien, auch in Irland linke Regierungen möglich werden, und wir werden dann für Europa einen Kurswechsel haben. Die These aus Deutschland, das ist alles alternativlos, ist falsch.
Ich darf das noch mal deutlich sagen. Die Menschen dort, auch die im Parlament sind, waren alle in der Nea Dimokratia. Das ist die Partei, die das Land dort hingeführt hat. Das ist die Partei, die die Schwesterpartei der CDU ist. All diese Leute waren vor vier oder fünf Jahren in der Partnerpartei der CDU. Heute sind es alle Faschisten. Das ist eine zu große Abkürzung. Ich will und muss diese Partei nicht verteidigen und werde das auch nicht. Ich kritisiere das. Und trotzdem: Jetzt zu sagen, sie koalieren mit Faschisten, ist eine Abkürzung, die aus innenpolitischer Sicht gern genommen wird.
Ich möchte Herrn Tsipras an seiner Politik messen. Die ersten Entscheidungen, die getroffen worden sind, sind teilweise sehr vernünftig: Eine kleinere Regierung, endlich die Kampfansage an die Oligarchen in Griechenland, endlich werden dort die Superreichen mal zur Kasse gebeten. Und auch der Kurs, nicht etwa Löhne weiter zu senken, ist ein richtiger Kurs. Wir brauchen in Europa einen Kurswechsel und Griechenland kann dort eine Inspiration sein. ich gehe davon aus, dass auch in Spanien, auch in Irland linke Regierungen möglich werden, und wir werden dann für Europa einen Kurswechsel haben. Die These aus Deutschland, das ist alles alternativlos, ist falsch.
"Ich sehe diese Koalition als problematisch an"
Heinemann: Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie strategisch zwischen Links- und Rechtsparteien?
Bartsch: Ich sehe überhaupt keine Gemeinsamkeiten. Ich trete in Deutschland und auch in Europa für Mitte-links-Bündnisse ein. Wir brauchen ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit, wir brauchen Friedenspolitik. Diese sogenannte Hufeisen-Theorie lehne ich entschieden ab. Es gibt keine Gemeinsamkeiten mit Menschen, die ausländerfeindlich sind, die rassistisch sind. Das werden wir nicht zulassen, das bleibt unsere Position. Und deswegen wiederhole ich: Ich sehe die Koalition als problematisch an. Aber man muss auch wissen: Ein Sitz fehlte an der absoluten Mehrheit. Andere Koalitionspartner standen nicht zur Verfügung und da ist in diesen sauren Apfel gebissen worden. Diese Entscheidung kann ich kritisieren, aber dann ist es das auch.
Heinemann: Dietmar Bartsch, der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion "Die Linke" im Deutschen Bundestag. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Bartsch: Bitte gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.