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Neue Schutzgebiete für den Aralsee

Die Austrocknung des Aralsees ist eine der größten von Menschen verursachten Umweltkatastrophen. Ein Staudamm soll den kasachischen Teil des Sees wieder zum Leben erwecken. Wie das gelingen kann, hat die Greifswalder Michael-Succow-Stiftung nun in einer Studie erarbeitet.

Von Martin Wolter | 17.09.2013
    "50er-Jahre, die große landwirtschaftliche Intensivierung der mittelasiatischen Flüsse Amu Darya und Sir Darya . Es gab riesige Bewässerungsprogramme, dass diese Landschaften, diese ariden Wüsten, durch die großen Flüsse, gespeist von den Gletschern aus Pamir und Tian Shan, dann urbar gemacht wurden. Und das hat über die Jahre dafür gesorgt, dass dem See immer mehr Wasser entzogen wurde: Es kam einfach nicht mehr an, es wurde immer weniger."

    Sebastian Schmidt ist Landschaftsökologe und Geschäftsführer der Succow-Stiftung. Die Studie zur Renaturierung des Aralsees hat er selber betreut. Und kennt auch die Bedeutung der Baumwollproduktion für die Region. In Usbekistan, auf dessen Staatsgebiet der Südteil des Sees liegt, wird ein Großteil des Bruttoinlandsproduktes mit ihr erwirtschaftet. Daher wird das Land auch in Zukunft die Zuflüsse des Aralsees zur Bewässerung anzapfen müssen.

    Der Aralsee ist mit der Austrocknung in Teilseen zerfallen. Seine Reste gehören im Süden zu Usbekistan, im Norden zu Kasachstan – diese Region könne jetzt wieder Hoffnung schöpfen, sagt Schmidt:

    "Also da ist sehr, sehr viel geforscht worden in den letzten 20 Jahren. Nachdem Lokalinitiativen einen Damm gebaut haben, um den nördlichen Teil vom südlichen Teil abzugrenzen, sodass dann die Weltbank vor zehn Jahren einen soliden Damm hat bauen lassen, der dafür sorgt, dass das Wasser vom Sir Darya, welcher nördlich in den Aralsee mündet, dort gehalten wird, und nicht mehr in den südlichen, großen Teil fließen kann, wo der Amu Darya, der aus Usbekistan kommt, kaum mehr das alte Seebett erreicht, und vorher schon verdunstet, verbraucht wird."

    Sowohl der Fischbestand als auch die Ufervegetation des nördlichen Sees erholen sich inzwischen stetig. Trotzdem ist er noch weit entfernt vom ursprünglichen Zustand biologischer Vielfalt. Als einer der wenigen Wasserkörper in der Steppenlandschaft zwischen Sibirien und den zentralasiatischen Gebirgen ist der Aralsee auch wichtiger Rastplatz auf den Vogelfluglinien in den Nahen Osten und den Mittelmeerraum – ein weiterer Rückgang würde auch den Vogelzug beeinflussen.

    "Unser Vorhaben war weniger ein landwirtschaftsorientiertes und ein Wasservorhaben, sondern wirklich im Bereich Naturschutz/Schutzgebiete. Das haben wir versucht, auf Nachfrage der kasachischen Regierung, die sehr interessiert ist, dieses Thema gerade auch als ein Negativbeispiel, als ein Mahnmal ein Stück weit ins Bewusstsein zu rücken. Denn die ökologische Katastrophe ist generell bekannt, das kommunizieren sowohl die kasachische als auch die usbekische Regierung sehr ausführlich. Aber was jetzt auch der Wert dieses wiederentstehenden Sees ist, das herauszustellen, war uns ein Anliegen."

    Dafür haben die Wissenschaftler aus Greifswald aufwendig recherchiert.

    "Wir haben mit der Regierung, mit verschiedenen staatlichen Stellen Analysen durchgeführt bezüglich floristischer Vielfalt, faunistischer Vielfalt, aber auch der Landnutzung, wie viele Leute leben da in den Dörfern, wovon leben die Leute, um dann eine Bewertung herzustellen, eine Matrix, was ist geeignet für einen Nationalpark, für ein Biosphärenreservat, für ein strenges Schutzgebiet – oder, das ist unser Favorit eigentlich, für ein Naturmonument."

    Das Naturmonument ist eine relativ neue Kategorie des Schutzgebiets, bei dem die ökologische Bedeutung nicht unbedingt im Vordergrund stehen muss – sondern Kulturlandschaften, entstanden aus der Wechselbeziehung Mensch/Natur. Dabei hat die Empfehlung natürlich auch pragmatische Gründe – ein strenges Naturschutzkonzept würde den Menschen die Nutzung der Fischgründe verbieten, was innenpolitisch in Kasachstan nicht durchsetzbar wäre.

    Wie in Russland wird die Arbeit für Nichtregierungsorganisationen auch in Zentralasien zunehmend schwieriger: Ihre Mitarbeiter werden qua Gesetz automatisch als ausländische Agenten eingestuft und überwacht.

    "Das ist die Herausforderung für die internationale Zusammenarbeit, diese letzten 20 Jahre, die die Offenheit brachten für die NGO-Szene, die am Leben zu halten, sich nicht einschüchtern zu lassen, denn gerade in Kasachstan kann mit sehr viel jungen Wissenschaftlern und Aktivisten sehr gut arbeiten, da gibt es mittlerweile sehr gute Kompetenz."

    Finanziert wurde die Erstellung der Studie ausschließlich durch das Bundesumweltministerium – was für Schmidt keineswegs selbstverständlich ist.

    "Da kann man sich natürlich fragen: Muss man diese rohstoffreichen Länder auch noch finanziell unterstützen? Aber dann muss man sich natürlich wiederum anderweitig fragen, wie sieht’s in Deutschland aus, hier sind auch Stiftungen, Vereine, die geben sehr viel Geld für Naturschutz aus und spenden sehr viel. In Kasachstan fehlt aber diese vermögende Zivilgesellschaft, es ist noch nicht diese Gesellschaftsschicht vorhanden, die aus dem Land heraus für diese Alternativen Geld gibt."

    Die auch in russischer Sprache verfasste Studie liegt den Regierungen von Kasachstan und Usbekistan nun vor – die müssen jetzt entscheiden, ob sie in die Renaturierung des Aralsees investieren wollen.