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"Neue Solidarität"
Polens Parteienlandschaft im Umbruch

Die Stichwahl um das polnische Präsidentenamt im Juli hat der Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski denkbar knapp verloren. Den Schwung aus dem Wahlkampf will der 48-Jährige nutzen, um mit einer neuen politischen Bewegung die Opposition zu einen. Doch "Neue Solidarität" stößt auch auf Widerstände.

Von Florian Kellermann | 19.10.2020
Rafał Trzaskowski, Bürgermeister von Warschau und liberaler Präsidentschaftskandidat, im Juni 2020
Rafał Trzaskowski, Bürgermeister von Warschau und liberaler Präsidentschaftskandidat, im Juni 2020 (picture alliance/dpa - Darek Delmanowicz)
Schon vorab hatten sich über 10.000 Menschen online registriert, um an der neuen Initiative des Warschauer Bürgermeisters teilzunehmen. Die Eröffnungsveranstaltung wurde dann allerdings kein, wie ursprünglich geplant, großes Fest. Sie konnte wegen der Corona-Pandemie nur im Internet stattfinden. Rafał Trzaskowski präsentierte sich im dunklen Anzug vor einem großen Monitor mit blauen und grünen Rechtecken:
"Wir rufen eine Bewegung ins Leben, die ein Polen will, in dem das Ziel nie die Mittel heiligt. Wo das Recht die Grundlage für das Staatshandeln ist, auch wenn es den Interessen der Machthabenden entgegensteht. Wo jeder die gleichen Rechte und Pflichten hat, unabhängig von der Nationalität, der Religion, der Herkunft oder der sexuellen Orientierung."
Kampfansage an die PiS
Sätze, wie der 48-Jährige sie auch im Wahlkampf gesagt hatte. Doch nun gehe es ihm um eine überparteiliche Initiative, erklärte der Warschauer Bürgermeister. Die Gesellschaft sei nach fünf Jahren Regierung der rechtskonservativen Partei PiS tief gespalten.
"Ich habe entschieden, dass unsere Bewegung ‚Gemeinsames Polen‘ heißen soll. Ich glaube daran, dass es Ideen und Werte gibt, die für uns alle gelten."
Wahlen in Polen
"Polarisierung überwinden"
Die Präsidenten-Stichwahl in Polen war eine Richtungswahl zwischen dem liberalen Trzaskowski und dem konservativen Amtsinhaber Duda. Aber auch der Wahlsieg Dudas müsse kein "weiter so" bedeuten, sagte Peter Loew vom Deutschen Polen-Institut nach der Wahl. Duda könne sich freischwimmen.
Als prominente Unterstützer der Idee traten am Wochenende andere Kommunalpolitiker aus ganz Polen auf. So auch Hanna Zdanowska, Bürgermeisterin von Lodz:
"Ich stehe an der Seite von Rafal. Denn die Polen wollen Normalität, sie wollen Ruhe, Wahrheit und Sicherheit. Hier ist Platz für jeden, der die Verfassung und die Menschenrechte achtet, für den ein vereinigtes, sicheres, offenes Europa wichtig ist."
Auch das war natürlich gegen die Regierungspartei PiS gerichtet. Diese eckt in der EU durch eine Gerichtsreform an, die der Regierung Einfluss auf Richter gibt.
Kritik aus den eigenen Reihen
In der Führungsetage von Rafał Trzaskowskis Partei, der rechtsliberalen "Bürgerplattform", wird seine Initiative allerdings eher kühl aufgenommen. Manche dort äußern hinter vorgehaltener Hand die Befürchtung, die Gruppierung könne zu einer Konkurrenz werden.
Der Vorsitzende der "Bürgerplattform" Borys Budka pocht auf Absprachen mit Trzaskowski. Gegenüber dem Nachrichtenportal "Wirtualna Polska" sagte er:
"Wahlen werden von politischen Parteien gewonnen. Rafał Trzaskowski hat von Anfang gesagt, dass seine Bewegung nur eine Ergänzung sein soll, etwas, das politische Parteien unterstützt. Er will die Energie der Polen nutzen, sich aber nicht mit der Tagespolitik befassen."
So stellte es Trzaskowski am Wochenende auch dar. Zuerst sollten die Mitglieder aus dem ganzen Land zusammentragen, welche Probleme sie und ihre Nachbarn haben. Mit diesem Wissen solle dann ein großes Zukunftskonzept entstehen. Und ein Werte-Grundgerüst, das für alle Polen gelten könne. Das alles solle die Opposition auf die Parlamentswahl in drei Jahren vorbereiten.
Bewegung in der politischen Landschaft
Der liberalen Opposition könne das in der Tat neuen Wind geben, meinen Experten, so Jaroslaw Kuisz, Chefredakteur des linksliberalen Internetportals "Kultura liberalna":
"Die Bürgerplattform ist seit fünf Jahren nicht vorangekommen, seit sie die Regierungsverantwortung verloren hat. Es ist nicht zu sehen, dass sie neue Ideen entwickelt hätte. Sie ist die größte Oppositionspartei geblieben, aber sie kann kaum neue Wähler von sich überzeugen. Und sie kommt bei jungen Wählern nicht besonders gut an. Deshalb ist Trzaskowskis Bewegung eine Chance für die Partei, sich zu regenerieren."
Zumal der Partei eine andere Bewegung im Nacken sitzt: die Initiative des liberalkatholischen Publizisten Szymon Hołownia. Auch er hat bei der Präsidentschaftswahl politisches Profil gewonnen. Im ersten Wahlgang landete er als Politneuling auf Platz drei. Umfragen zeigen, dass Hołownia mit einer eigenen Partei bei einer Parlamentswahl derzeit knapp zehn Prozent der Stimmen bekäme.