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Neue Sprache, alte Richtung
Die dänische Ausländerpolitik

Die dänischen Sozialdemokraten haben die konservativ-rechtsliberale Minderheitsregierung abgelöst, ihre restriktive Ausländerpolitik jedoch beibehalten. Sie wollen nur den Begriff "Ghetto" nicht mehr verwenden. Das sogenannte "Ghetto-Gesetz" wird aber umgesetzt.

Von Kai Schlüter | 22.07.2019
Das Viertel Mjølnerparken in Kopenhagen steht schon länger auf der "Ghetto"-Liste der dänischen Regierung. 80 Prozent der Bewohner haben einen Migrationshintergrund.
Das Viertel Mjølnerparken in Kopenhagen steht auf der "Ghetto"-Liste der dänischen Regierung. Das könnte sich bald zumindest sprachlich ändern: die regierenden Sozialdemokraten wollen den Begriff "Ghetto" vermeiden. (deutschlandradio / Jana Sinram)
29 solcher Ghettos hat die Regierung in ganz Dänemark ausgemacht. Hier sollen Wohnblöcke abgerissen und weniger Sozialwohnungen gebaut werden. Es gibt mehr Polizei. Diebstahl und Vandalismus können doppelt so hart bestraft werden wie im Rest des Landes. Eine Kindergartenpflicht wird eingeführt und Sprachunterricht für die Kleinsten. Das Gesetz wurde mit 80 Prozent Zustimmung im Parlament, dem Folketing, verabschiedet. Kritik kam von Søren Egge Rasmussen von der oppositionellen linken Einheitsliste:
"Es ist gut, dass diese Viertel verändert werden sollen. Aber indem man sie als 'Ghetto' abstempelt, wird man niemanden motivieren, dorthin zu ziehen."
Bei der Parlamentswahl im Mai verlor die konservativ-rechtsliberale Dreierkoalition die Regierungsfähigkeit, weil die Rechtspopulisten, die diese Minderheitsregierung stützten und politisch vor sich hertrieben, eine krachende Niederlage erlitten. Sie verloren die Hälfte ihrer Mandate.
"Wir werden [...] den Zustrom von Einwanderern nach Dänemark kontrollieren."
Die Sozialdemokraten kündigten schon im Wahlkampf an, dass sie eine Einparteien-Minderheitsregierung bilden wollten. Sie versprachen eine linke Sozialpolitik und die Fortsetzung der harten Ausländerpolitik. Das Spagatprogramm zog. Die Sozialdemokraten wurden stärkste Partei und bildeten unter Mette Frederiksen eine Minderheitsregierung. Der neue sozialdemokratische Minister für Ausländer und Integration Mattias Tesfaye erklärte noch am Tag seiner Amtseinführung:
"Die Aufgabe bleibt die Gleiche wie in den Jahren zuvor. Wir werden daran festhalten, den Zustrom von Einwanderern nach Dänemark zu kontrollieren. Aber wir wollen die Integration verbessern. Das kann man besser machen."
Mattias Tesfaye muss Verbesserungen versprechen, weil die sozialdemokratische Minderheitsregierung auf die Unterstützung von drei Parteien des linken Lagers angewiesen ist, um im Folketing eine Mehrheit zu bekommen. Die Zugeständnisse dürfen aber nicht zu groß sein, damit die Sozialdemokraten ihre neu gewonnenen rechten Wähler nicht verlieren. Zunächst einmal sind es symbolische Änderungen.
Hilfsorganisationen lehnen den Begriff "Ghetto" ab
So hatte Mattias Tesfayes rechtsliberale Amtsvorgängerin auf ihrer Website einen Ticker, der die gesetzlichen Verschärfungen im Ausländerrecht zählte. Bei Nummer 50 gab es im Internet symbolisch Torte. Bei Nummer 114 nahm Mattias Tesfaye den Ticker vom Netz. Nun kündigte der neue Wohnungsbauminister Kaare Dybvad in einer Fernsehsendung an, den Begriff "Ghetto" vermeiden zu wollen.
"Den Begriff 'Ghetto' verbindet man heute mit Städten wie Baltimore, Chicago oder Detroit. Sundparken in Horsens ist weit entfernt davon. Die Menschen, die wir mit an Bord haben wollen, alle privaten Hilfsorganisationen und ehrenamtlichen Helfer in unserer Wohlfahrtsgesellschaft, tun sich schwer mit diesem Begriff. Weil es für sie wichtig ist, ist es auch für mich wichtig."
In einer schnellen Umfrage nach der Sendung waren 64 Prozent der Dänen dafür, den Begriff "Ghetto" zu vermeiden.
Die neue Regierung setzt das Ghetto-Gesetz der Vorgängerregierung um
Inhaltlich setzt die neue Regierung das Ghetto-Gesetz der Vorgängerregierung aber um. Zum Schuljahresbeginn, am ersten August, treten zwei Maßnahmen des "Ghetto-Pakets" in Kraft: In Schulen, wo über 30 Prozent der Schüler aus "Ghettos" kommen, müssen Kinder in der Vorschulklasse einen Sprachtest bestehen, um in die erste Klasse eingeschult werden zu dürfen. Gleichzeitig wird eine Abwesenheitsstrafe eingeführt: Wenn Schüler mehr als 15 Prozent der Unterrichtszeit abwesend sind, soll die Kommune den Familien das Kindergeld streichen. Dies soll insbesondere Familien ausländischer Herkunft treffen, die monatelang im Ursprungsland Urlaub machen.