Mittwoch, 24. April 2024

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Neue Stellen in Gesundheitsämtern
"Ein historisches Ereignis"

Bund und Länder wollen 5.000 Vollzeitstellen in den Gesundheitsämtern schaffen. Das sei ein erster Schritt, sagte Ute Teichert vom Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst im Dlf. Darüber hinaus müssten die Ämter aber auch untereinander und länderübergreifend vernetzt werden.

Ute Teichert im Gespräch mit Stefan Heinlein | 07.09.2020
Ein Arzt steht vor einem Schild mit der Aufschrift "Öffentlicher Gesundheitsdienst".
Der öffentliche Gesundheitsdienst sei bisher kaum wahrgenommen worden, sagte Ute Teichert im Deutschlandfunk (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
Bund und Länder haben als Konsequenz aus der Coronakrise beschlossen, bis Ende 2022 mindestens 5.000 neue und unbefristete Vollzeitstellen im öffentlichen Gesundheitsdienst zu schaffen. Konkret soll jedes der 375 Gesundheitsämter in Deutschland 10 bis 20 neue Stellen bekommen. Noch bis Ende 2021 soll es insgesamt 1.500 neue Vollzeitstellen geben, in einem zweiten Schritt ist die Schaffung von 3.500 weiteren Stellen geplant.
Die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst, Ute Teichert, begrüßte diesen Schritt ausdrücklich. Allerdings sei es wichtig, die Stellen für Medizinerinnen und Mediziner attraktiver zu gestalten, sagte Teichert im Deutschlandfunk. Es sei jetzt schon schwierig, Posten nachzubesetzen. Ein arztspezifischer Tarifvertrag sei die einzige und sinnvolle Lösung, um dieses Problem anzugehen.
Auf einem Wegweiserschild steht "Gesundheitsamt"
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Schon vor der Pandemie konnten die Gesundheitsämter oft nicht gründlich genug Hygienekontrollen durchführen, kommentiert Johannes Kuhn. Das Geld für mehr Stellen sei deshalb gut angelegt.
Heinlein: War das für Sie und Ihre Kollegen an diesem Wochenende Weihnachten und Ostern an einem Tag? Gehen jetzt alle Ihre Wünsche in Erfüllung?
Teichert: Ein bisschen war es schon so. Aber es war, glaube ich, längst überfällig. Wir haben ja schon seit vielen Jahren darauf hingewiesen, dass wir Probleme in diesem Bereich haben. Natürlich ist es großartig, wenn sich dann endlich mal was tut. Insofern freuen wir uns sehr darüber. Das ist ein wichtiger erster Schritt.
Heinlein: Was steht denn noch auf Ihrem Wunschzettel? Was sollte denn der zweite und dritte Schritt sein?
Teichert: Das ist mir schon in der Anmoderation gerade aufgefallen. Ich würde vehement dafür werben, dass man nicht versucht und sagt, das ist ein langweiliger Job im Gesundheitsamt. Ganz im Gegenteil! Das ist super spannend. Ich kenne nichts aufregenderes. Ich mache das seit fast 20 Jahren und ich bin froh darüber, diese Entscheidung getroffen zu haben. Es ist wirklich sehr, sehr vielseitig und ärztlich herausfordernd.
"In Gesundheitsämtern wird auch Schicht gearbeitet"
Heinlein: Aber die Arbeit, Frau Teichert, in den Ämtern ist – korrigieren Sie mich, wenn es anders ist – wohl geregelter und damit auch angenehmer als etwa die knüppelharten 36-Stunden-Schichten in den Krankenhäusern. Warum sollten dann die Ärztinnen und Ärzte dennoch so viel verdienen wie in Praxen oder Krankenhäusern?
Teichert: Das stimmt insofern natürlich nicht. Es gibt keine knüppelharten 36 Stunden mehr in den Krankenhäusern. Das war zu meiner Zeit noch so, als ich angefangen habe. Wir haben heute Arbeitszeitregelungen, die dafür sorgen, dass die Leute sich in vernünftigen Arbeitszeiten bewegen.
Dr. med. Ute Teichert, MPH (Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V.)
Dr. med. Ute Teichert, MPH (Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V.) (dpa/ picture alliance/ Eventpress Stauffenberg)
Im Übrigen ist es so, dass in den Gesundheitsämtern jetzt auch Schicht gearbeitet wird, 24 Stunden rund um die Uhr sieben Tage die Woche. Die Kollegen können da von keinen anderen Arbeitszeiten reden und die unterliegen auch dem Arbeitsschutzgesetz. Das ist das eine und das andere ist: Die Arbeit in den Gesundheitsämtern ist für die Bevölkerung und nicht für den Einzelnen und sie dient der Gesundheit der Bevölkerung, und die Folgen sehen wir ja jetzt in der Pandemie, wie teuer auch die wirtschaftlichen Folgekosten sind, wenn da nicht vernünftig gearbeitet wird. Das ist doch Wahnsinn!
Heinlein: Kann man es so formulieren, Frau Teichert: Die Gesundheitsämter waren bislang eher die Stiefkinder des Gesundheitswesens, ungeliebt und wenig beachtet?
Teichert: Das könnte man vielleicht so sagen. Es ist bisher wenig aufgetreten, weder in der Öffentlichkeit, noch in der Gesundheitspolitik hat man diesen Versorgungszweig überhaupt richtig wahrgenommen.
"Können Stellen jetzt schon nicht nachbesetzen"
Heinlein: Hat erst diese Corona-Krise, diese Sieben-Tage-Woche in den Ämtern die Politik aufgeweckt? Braucht es erst diese Pandemie?
Teichert: Ich fürchte, ja, obwohl wir wie gesagt schon sehr lange darauf hinweisen und auch an vielen Stellen das schon öffentlich gemacht haben, aber es brauchte, glaube ich, jetzt so was wie ein Brennglas, wie so eine Pandemie, um da mal deutlich hinschauen zu können.
Heinlein: 5000 neue und auch unbefristete Vollzeitstellen soll es jetzt geben. So hat Jens Spahn und seine Länderkollegen es angekündigt. Ein vier oder fünf Milliarden Paket. Wie schwierig wird es denn werden, diese zusätzlichen 5000 Stellen zu besetzen? Jens Spahn ist da ja sehr optimistisch. Er wurde gefragt. In ein, zwei Jahren sei das über die Bühne. Teilen Sie diesen Optimismus?
Teichert: Grundsätzlich bin ich auch optimistisch, dass wir es zumindest mal versuchen. Wir brauchen diese Stellen dringend. Wir brauchen die Unterstützung. Aber – und da sehe ich ein erhebliches Problem – solange die Bezahlung so unattraktiv ist, wie sie im Moment ist, wird das ein großes Problem. Wir haben jetzt schon das Problem, dass wir die Stellen nicht nachbesetzen können, und deswegen bin ich froh, dass das im Pakt ja mit vorgesehen ist, dass auch die Bezahlungen attraktiver werden sollen und angehoben werden sollen. Ich glaube, das ist jetzt der allerallerwichtigste Punkt. Es müssen jetzt endlich die Tarifverhandlungen für die Ärzte in den Gesundheitsämtern aufgenommen werden und da müssen sich auch alle bewegen.
"Arztspezifischer Tarifvertrag einzige Lösung"
Heinlein: Braucht es einen eigenen Tarifvertrag für die Ärztinnen und Ärzte im Gesundheitswesen?
Teichert: Ich halte das für ganz wesentlich, weil so passiert das, was Sie auch im Beitrag schon angedeutet haben, dass man Ärzte gar nicht mehr als Ärzte wahrnimmt. Daher ist für mich ein arztspezifischer Tarifvertrag die einzige und sinnvolle Lösung, um dieses Problem anzugehen.
Heinlein: Neben der unzureichenden personellen Ausstattung der Gesundheitsämter wird ja auch über die Infrastruktur in den Ämtern geklagt. Man arbeitet oft noch mit Faxgeräten. Das fällt jetzt auf, wenn die Zahlen gemeldet werden ans Robert-Koch-Institut. Frau Teichert, wie tief stecken denn die Gesundheitsämter noch in der digitalen Steinzeit?
Teichert: Digitale Steinzeit würde ich so nicht stehen lassen. Die Meldungen ans Robert-Koch-Institut erfolgen schon seit 20 Jahren auf digitalem Weg. Das Problem sind aber die Medienbrüche. Das heißt, es kommen Faxe rein, es kommen E-Mails rein, es kommen Telefonate rein, es kommen Briefe oder auch Postkarten rein. Alle diese Sachen muss ein Gesundheitsamt bearbeiten und kann ich nicht einfach liegen lassen und sagen, ich kümmere mich nicht darum, und da müssen Sie gucken, wie Sie dieses Medium wieder in das digitale Medium rein kriegen. Das ist besonders fatal bei den Testergebnissen aus dem Labor, wenn diese zum Beispiel über Fax reinkommen, oder auch die Aussteigerkarten, über die wir jetzt diskutiert haben, weil da gibt es keine Schnittstellen und keine Software, mit der man das verarbeiten kann, sondern man muss die quasi eins zu eins händisch umarbeiten, um sie dann in den Computer einzugeben. Das ist natürlich ein enormer Arbeitsaufwand, vor allen Dingen, wenn da so hohe Zahlen anfallen.
Jede Meldung braucht umfassende Recherche
Heinlein: Am Wochenende wird in vielen Gesundheitsämtern nicht gearbeitet und deswegen sind am Wochenende die Zahlen des Robert-Koch-Instituts immer so niedrig.
Teichert: Nein, das stimmt auch nicht. Viele Gesundheitsämter arbeiten am Wochenende.
Heinlein: Aber nicht alle.
Teichert: Aber die Meldezahlen werden unter Umständen nicht eingegeben. Aber es werden natürlich alle Kontaktpersonen-Ermittlungen gemacht. Es werden alle Krisenfälle bearbeitet und so weiter und so fort.
Heinlein: Warum werden diese Zahlen nicht eingegeben?
Teichert: Das hängt davon ab. Es geht nicht nur darum, dass Sie die einfache Meldung eins zu eins eingeben, sondern wenn Sie die Meldung bekommen, müssen Sie erst mal anfangen zu recherchieren. Das heißt, Sie brauchen die ganzen Umgebungsinformationen. Es reicht nicht aus, dass Sie sagen, das Testergebnis ist positiv, das melde ich, sondern es gibt eine ganze Meldemaske mit sehr vielen Informationen, die eingearbeitet werden müssen. Und Sie können auch erst dann melden, wenn alle Informationen vorhanden sind. Das erklärt auch die Lücke zum Beispiel. Manchmal haben die Gesundheitsämter oder auch die Länder andere Zahlen als das Robert-Koch-Institut. Die Angaben, die ans Robert-Koch-Institut gehen, müssen sehr genau differenziert und vor allen Dingen auch nachgeprüft sein und deswegen liegen die auch schon mal ein, zwei Tage, bis die Anforderungen alle erfüllt worden sind. Das liegt aber am System, weil das so ausführlich ist, sage ich jetzt mal.
"Brauchen eine Vernetzung der Gesundheitsämter"
Heinlein: Sie haben bestimmt die Stellungnahme von Jens Spahn an diesem Wochenende gehört. Er hat das Ziel ausgegeben "eines vernetzten Systems modernster Gesundheitsbehörden in ganz Deutschland". Wie realistisch, Frau Teichert, ist diese Ankündigung?
Teichert: Ich hoffe sehr, dass Jens Spahn mit seiner Kraft das auch noch mit durchsetzen kann, denn das ist ein ganz, ganz wichtiger Schritt. Wir brauchen eine Vernetzung der Gesundheitsämter untereinander und wir brauchen es auch länderübergreifend. Wir haben im Moment einzelne Schubladen, sage ich mal, die ablaufen, auch in den Meldesystemen, und das, was rechts und links des Weges liegt, kann nicht miteinander kommunizieren. Deswegen ist das ganz, ganz, ganz wichtig und das würde dem Ganzen einen riesen Schub verleihen, wenn wir das auf digitale Beine stellen und vernetzen können.
Heinlein: Frau Teichert, wenn ich richtig informiert bin, haben Sie morgen eine Schalte mit der Kanzlerin – nicht Sie alleine, sondern auch andere Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens. Werden Sie bei dieser Gelegenheit bei Angela Merkel, bei der Kanzlerin Jens Spahn loben oder eher auch kritisieren?
Teichert: Das was da passiert ist, ist prinzipiell ein historisches Ereignis, wenn ich das noch mal geraderücken darf. Das hat es vorher noch nie gegeben. In all den Jahrzehnten hat kein Bund Geld in den öffentlichen Gesundheitsdienst gegeben. Deswegen muss man grundsätzlich erst mal alle Beteiligten loben. Das ist ein guter und ein wichtiger Schritt. Ich sage noch mal: Es ist nur der Anfang. Ich glaube, dass man sicherlich auch noch weitergehen muss und dass dem aber auch weitere Sachen folgen. Da bin ich aber sehr optimistisch, weil alle ja jetzt erkannt haben, wie wichtig das auch ist, dass man den öffentlichen Gesundheitsdienst stärkt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.