Donnerstag, 28. März 2024

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Neuer Antisemitismus (5/6)
Rap - ein Zerrbild der Gesellschaft?

Antisemitismusfragen spielen auch in der Popkultur eine Rolle, insbesondere steht der deutschsprachige Rap in der Kritik. Kunstfreiheit, lautstarke Provokation oder auch berechtigte Gesellschaftskritik - was gilt?

Von Marcus Staiger | 14.07.2019
Die Rapper Kollegah (li.) und Farid Bang (re.) bei der Echo-Verleihung 2018
Die Rapper Kollegah (li.) und Farid Bang (re.) bei der Echo-Verleihung 2018: Wegen ihrer Nominierung für den Preis gab es breiten Protest - letztendlich wurde die Auszeichnung abgeschafft (Jörg Carstensen/dpa)
Zwischen Verschwörungstheorien, Sexismus und Nahostkonflikt ist deutschsprachiger Rap immer auf der Suche nach dem stärksten Bild, der heftigsten Provokation.Kunstfreiheit, lautstarkes Gehabe oder auch berechtigte Gesellschaftskritik?
Marcus Staiger, ehemaliger Labelbetreiber, untersucht in einem persönlichen Essay die Geisteshaltungen, die dahinter stehen.
Marcus Staiger, geboren 1971, lebt in Berlin. Er gründete 1998 das Rap-Label Royalbunker. 2008 war er für drei Jahre der Chefredakteur der Internetplattform "rap.de". Seit 2011 Industriekletterer, freier Autor und Moderator für u.a. "SPEX", "Berliner Zeitung", "FAZ", "JUICE", "vice", "noisey", "vice.TV". 2014 erschien der Roman "Die Hoffnung ist ein Hundesohn".
(Teil 6: Gespräch mit der Netzforscherin und Publizistin Ingrid Brodnig über "Hass im Netz" am 21.7.2019)

Der letzte "Echo"
Die deutsche Presse ist sich sicher: Der deutsche Rap hat ein Antisemitismusproblem und die noch nicht restlos integrierten Immigranten aus den vorwiegend muslimischen Teilen dieser Welt gleich mit. Besonders nach dem sogenannten Echo-Skandal im April 2018 ging das Thema durch alle Medien.
Kurzer Rückblick:
Die Nominierung und Auszeichnung des Rap-Albums "Jung, brutal, gutaussehend 3" von Farid Bang und Kollegah, das sich über 200.000 mal verkauft hatte, stieß auf breite Kritik. In den Liedern gäbe es gewaltverherrlichende und in Teilen antisemitische Texte. Kollegah und Farid Bang bekamen trotz dieser Kritik einen Echo in der Kategorie Hip-Hop/Urban national. Daraufhin gaben mehrere mit dem Preis ausgezeichnete Künstler ihren Echo aus Protest zurück.
Diese 27. Verleihung des Echo sollte die letzte sein. Die Präsidenten vom Deutschen Kulturrat und Deutschen Musikrat verließen den Beirat des Echo‑Musikpreises. Sponsoren kündigten ihren Rückzug an.
Besonders der Song "08-15" geriet ins Kreuzfeuer der medialen Berichterstattung. Neben den obligatorischen Beleidigungen von konkurrierenden Battle-Rappern werden hier vor allem emanzipierte Frauen und Flüchtlinge beleidigt. Aber insbesondere die Auschwitz-Line schlug hohe Wellen: "Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet/ Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen."
Das Spektrum der Kommentare reichte von "bodenloser Geschmacklosigkeit" bis "eindeutig antisemitisch".
Der CDU-Politiker Wolfgang Börnsen allerdings verteidigte als Mitglied des Echo‑Ethikbeirats die Verleihung. Es gehe "um die Grenzen der Meinungs- und Kunstfreiheit in unserem Land".
Auch die Plattenfirma Bertelsmann Music Group Entertainment (BMG) nahm Kollegah und Farid Bang in Schutz und ließ verlauten:
"Wir nehmen Künstler und künstlerische Freiheit ernst und wir sagen unseren Künstlern nicht, was ihre Texte enthalten sollten und was nicht."
Auf Einladung des Internationalen Auschwitz-Komitees besuchten Farid Bang und Kollegah, die mit bürgerlichen Namen Farid Abdellaoui und Felix Blume heißen, im Oktober 2018 die KZ-Gedenkstätte Auschwitz und zeigten sich vor der Presse reuevoll. Der Besuch habe sie verändert, man werde "vorsichtiger und respektvoller" sein. "Die Zeit der Provokation ist vielleicht erst mal vorbei."
Ende der Debatte? Nein.
Christoph Heubner (M), Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, spricht mit den Rappern Kollegah (l) und Farid Bang nach der Niederlegung eines Blumengebindes an der Todeswand in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz.
Christoph Heubner (M), Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, spricht mit den Rappern Kollegah (l) und Farid Bang nach der Niederlegung eines Blumengebindes an der Todeswand in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz. (Internationales Auschwitz Komitee/KEYSTONE/DPA/Bernd Oertwig)
Die Medien-Debatte um Rap
Nicht nur aus der Hip-Hop-Szene äußerten sich Stimmen, die Antisemitismus nicht allein bei Kollegah sehen, sondern eher als einen "Teil der Szene" benennen.
Die Antilopen Gang wird im Magazin "Der Spiegel" zitiert, dass die "wieder gut gewordenen Deutschen, bekanntlich stolz auf ihre Erinnerungskultur", der eigentlichen Debatte hinter dem Echo-Skandal auswichen. Das Problem sei, dass sich generell "reaktionäre Inhalte massenhaft" verkauften und Deutschland demnach exakt die Echo-Preisträger bekommen habe, die es verdiene. Eine Diskussion über den Antisemitismus fände in der aktuellen Debatte überhaupt nicht statt.
Auch die Journalistin Kendra Stenzel sieht trotz großer Sympathie für die Rap‑Szene im "Spiegel" eine antisemitische Tendenz:
"Wenn Kollegah behauptet, die Vorwürfe des Antisemitismus seien neu, dann mag das zwar für seine Person gelten, nicht jedoch für Deutschrap als solchen. Seit den frühen Nullerjahren sorgen vermeintlich antisemitische Textzeilen und Äußerungen von Rappern immer wieder für Aufsehen. Spätestens seit Gangsterrap fest im Mainstream verankert ist und die Charts dominiert, finden die Diskussionen darüber auch abseits einschlägiger Hip-Hop-Portale im Netz statt."
Den Aufschlag der medialen Auseinandersetzung machte im April 2012 "Welt Online". Der Journalist Boris Peltonen untersuchte die Texte des Rappers Haftbefehl auf antisemitische Inhalte, ebenso die des Duos Celo & Abdi, das damals ein Album mit dem Titel "HJ" - Abkürzung für Hinterhof-Jargon - über Haftbefehls Label Azzlackz auf den Markt brachte.
Peltonen findet vieles, sagt aber auch:
"Klar ist: Rap-Musik lebt von der Provokation und ihrer Authentizität. Populär wird ein Rapper dann, wenn er einen für viele Hörer unbekannten Slang auf einem Tonträger festhält. Ähnlich wie durch das Anschauen eines Verbrecherepos erlangt der Konsument Eintritt in Welten, die er in seinem Alltag selbst nicht kennenlernt."
Aus meiner Sicht legte Peltonen in dem Artikel für die "Welt" den Grundstein für das, was die Debatte in den kommenden Jahren so schwierig und verfahren machen wird: Die häufig muslimische Herkunft der Musiker wird gleichgesetzt mit dem imaginären Image von Gangster-Rappern und realen Gewalttaten islamistischer Terroristen. Die persönliche Geschichte eines jüdischen Berliners iranischer Herkunft, der in der Sprüherszene aktiv war und wegen seiner jüdischen Identität angegriffen wurde, wird wirkungsvoll gegen die palästinasolidarischen und antizionistischen Statements von Celo und Abdi gesetzt.
Damals reagierte der Journalist Stefan Zehetmeier auf der Plattform "Vice" und warf Peltonen vor, endlich etwas gefunden haben zu wollen, das gar nicht existiere, nämlich "Nazirap von kahlgeschorenen Skinheads". Zehetmeier übersah dabei, dass es Peltonen gar nicht um Rechtsrap geht, sondern explizit um Statements von migrantischen Jugendlichen in Deutschland, und schrieb, die HipHop-Bewegung habe es
"geschafft, sich von vielen gesellschaftlichen Mechanismen zu lösen - und zuletzt großflächig eben auch von rassistischen Motiven. Als Parallelkultur wird man nicht nach sozialer Herkunft beurteilt, sondern nach dem, was man kann und zu leisten bereit ist. … Jude zu sein, ist beinahe hip geworden".
Dieser etwas naiven Sichtweise auf Rap als per se antirassistische und weltverbindende Hippiemusik entgegnete ich damals mit dem Hinweis, es gehe doch vielmehr um ein unterschwelliges Problem, denn:
"Bei den angesprochenen Symptomen [handelt es sich] eher um Begleiterscheinungen und Stimmungen innerhalb der Szene als um einzelne Rhymes und Textpassagen, was wiederum darauf hinweist, dass es sich um ein Gedankengutproblem außerhalb des radikal-künstlerischen Schaffens handelt. Ein Problem, das nicht besser wird, je länger es hinter vorgehaltener Hand und unterhalb der Wahrnehmungsgrenze vor sich hinköchelt. So let’s talk offen about it."
Doch die offene Diskussion fand nicht statt.
Eindeutige Statements sind in den Songs gar nicht so leicht zu finden. Eindeutige Zitate der Rapper sind an einer Hand abzuzählen und werden deshalb auch immer wieder in Schleife zitiert. Aber dennoch sind tatsächlich ausreichend Textbausteine des Deutschrap dokumentiert, in denen sich Rapper - ob wissentlich oder nicht - antisemitisch geäußert haben. Auch bewusst gesetzte politische Äußerungen von Rappern lassen den dringenden Verdacht zu, dass antisemitische Denkmuster auf dem Vormarsch sind.
Während der Dreharbeiten zu der Reportage "Rap.de - Juden und Araber in Berlin", antwortet einer der Interviewten auf die Frage, wie der Nahostkonflikt zu lösen sei, mit den Worten "ein neuer Adolf muss her".
Ein deutschsprachiger Rapper sinniert im Interview mit "Rap.de" darüber, dass man Israel ja nicht kritisieren dürfe, weil ansonsten der Mossad möglicherweise eine U-Bahn entgleisen lassen könnte.
Auch im internationalen Rap ist es durchaus geläufig, sich abfällig über jüdische Menschen zu äußern. So hetzte Rapper Ice Cube zum Beispiel gegen den weißen, jüdischen Manager von Eazy-E.
Im Februar 2019 erklärte der jüdische Rapper Ben Salomo in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur, dass er den deutschen Rap in weiten Teilen für so antisemitisch halte wie Rechtsrock.
"Damit meine ich nicht, dass die jetzt rumlaufen und 'Heil Hitler' brüllen oder so’n Blödsinn. Sondern dass sie bestimmte antisemitische Gerüchte und Narrative tatsächlich glauben und diese Ideologien in ihren Köpfen haben. Damit bilden sie eine Schnittmenge mit den Ideologien, die es auch im Rechtsrock gibt oder zum Teil auch in linksextremen Gruppen."
Portrait Ben Salomo
Ben Salomo (Christopher Civitillo)
Ben Salomo erzählt von persönlichen Erlebnissen und Anfeindungen, die er als jüdischer Mensch in der Hip Hop Szene und im Alltag erfahren musste.
"Ich glaube, vielen Rappern ist es schlicht und einfach egal, weil sie damit einfach wunderbar viel Geld verdienen. Die Industrie zieht mit, sie verdient damit Millionen. Solange der Kontostand ihnen ein tolles Leben garantiert, sehen sie sich einfach auch gar nicht in der Pflicht. … Denn hier reden wir eben nicht mehr von Musik und von einer mal irgendwie provokanten Zeile im Battle-Rap, was durchaus möglich ist. Sondern hier reden wir wirklich davon, dass eine Ideologie verbreitet wird."
Deutschrap und antisemitische Stereotypen
Man kann im Deutschrap nicht in jedem Einzelfall ein antisemitisches Weltbild festmachen, aber doch durchaus die Tendenz ablesen, dass stereotype Zuschreibungen gegenüber jüdischen Menschen Bestand haben und in den Köpfen jeder Menge junger Leute herumschwirren. Auch Vorstellungen wie jene, dass "dunkle Hintermänner" die Welt beherrschen, tauchen von Haftbefehl über Kollegah bis zu Xavier Naidoo immer wieder in deutschsprachigen Pop- und Raptexten auf.
Zugleich werden aufgrund der Vorstellung, dass jeder Jude für die Entscheidungen des israelischen Staates verantwortlich sei, jüdische Kinder auf Schulhöfen bedroht und geschlagen.
Als ehemaliger Labelbetreiber und Musikjournalist beschäftige ich mich schon länger mit diesem Thema und halte auf Einladung auch immer wieder Vorträge. Es kommen viele, die das interessiert, aber die meisten haben ihr Urteil schon vorab gefällt.
Der fromme Wunsch, offen darüber zu sprechen, um herauszufinden, wie tief sich alte Vorurteile bereits eingegraben haben, die Unterscheidung zu treffen, wo es sich nur um bloße Provokation handelt, welche Rolle Vertreibung, Geschichte und Kolonialismus dabei spielen, hat sich bis heute nicht erfüllt.
Deshalb eine Bestandsaufnahme.
Die Diskussion um Antisemitismus im deutschsprachigen Rap dreht sich überwiegend um gewisse Codes in Raptexten, bei denen allerdings nicht immer klar ist, ob sie seitens der Sprechenden das transportieren sollen, was die Kritisierenden verstehen wollen. Offen zur Schau getragener Judenhass ist in Raptexten äußerst selten. Viel kritisiert und diskutiert wurde ein offen antijüdisches Statement des Top-Ten-Rappers Haftbefehl. In seinem Song "Mama reich mir deine Hand" rappt der damals 16jährige Frankfurter:
"Ein Grund für die Bullen du bist Moslem du wirst observiert
Du nennst mich Terrorist ich nenne dich Hurensohn
Gebe George Bush einen Kopfschuss und verfluche das Judentum
Habe euch durchschaut und sage das zu eurem Krieg
Ihr wollt nur Waffen verkaufen und die Taschen voll mit Kies"
Haftbefehl äußert eigene Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen als junger Muslim und bringt sie in einen Kontext mit der weltpolitischen Lage. Der US‑Präsident Bush wird genauso als Unterdrücker wahrgenommen wie die Offenbacher Polizei und das Judentum, etwa als Besatzungsmacht des Westjordanlands und des Gazastreifens.
Warum gerade "den Juden" diese besondere Macht zugeschrieben wird? Schließlich dürfte die reale Macht der hessischen Landesregierung in Offenbach durchaus greifbarer sein als die herbeifantasierten Machenschaften einer jüdischen Weltverschwörung.
Jahre später distanzierte sich Haftbefehl in einem Interview von seinem Frühwerk und erklärte:
"Ich war dumm. Heute halte ich jede Religion für gleichwertig und gut. Hauptsache, der Mensch glaubt. An Gott. Ich bin unter Türken und Arabern aufgewachsen. Da werden Juden nicht gemocht. Es gibt ja auch keine dort. Ich will Ihnen verraten, wie ein 16jähriger Offenbacher tickt: Für den ist alles, was mächtig ist und reich, aus seiner beschränkten Sicht jüdisch. Er hängt mit anderen 16jährigen herum. Sie hassen alles. Deutsche sind für sie Kartoffeln. Davon habe ich mich freigemacht."
Die Welt in gut und böse
Trotz allem kommen gerade diese Bilder in deutschen Raptexten immer wieder vor und haben viele Fans. Das liegt zum einen an der besonderen Beschaffenheit von Rapmusik, in der es auch immer wieder darum geht, eine klare Trennlinie zwischen sich und einem imaginierten Gegner zu ziehen.
Das Prinzip des Battle-Raps funktioniert eben auch außerhalb der reinen Battle‑Rap-Arena und lebt davon, die Welt in schwarz und weiß darzustellen. Battle-Rap, will ja überspitzen und dem Gegenüber verbale Schläge verpassen.
Damit hat es sehr viel mit den Prinzipien medialer popkultureller Erzählungen gemein, die wie in "Star Wars", immer auch eine klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse liefern. Aber zugegebenermaßen eignen sich diese Prinzipien nicht unbedingt als Grundlage für einen differenzierten Diskurs über das Weltgeschehen.
Zugleich hat sich das Weltbild der Protagonisten der deutschen Rap-Szene vor dem Hintergrund der Moral einer bürgerlichen Gesellschaft geformt, die Krisen und Katastrophen auf individuelles Fehlverhalten zurückführt. Wenn es beispielsweise weltweit zu einer Bankenkrise kommt, wird selten nach der Sinnhaftigkeit des ganzen Systems gefragt, sondern eher die exzessive Gier einzelner Banker an den Pranger gestellt. Wer dann seine weltpolitische Bildung aus den "Zeitgeist"- Filmen auf YouTube bezieht, wo mit Mythen und Lügen einem Millionenpublikum die Welt (v)erklärt wird, wird es nicht unbedingt fortschrittlicher.
Eine weitere Rolle spielt der sekundäre Antisemitismus. Er wird als eine Art Schuldabwehr genutzt, bei der mit Blick auf den Holocaust eine Täter‑Opfer‑Umkehr betrieben wird und Juden bezichtigt werden, zum Teil selbst schuld an ihrer Verfolgung gewesen zu sein oder diese inszeniert zu haben, um nun davon zu profitieren und die Deutschen am Gängelband zu führen. Zu diesem gehört die Vorstellung, dass es sich bei "den Juden" um eine Einheit, ein Kollektiv handele, welche ein gemeinsames Interesse verfolgt und mit einer ihr zugeschriebenen Macht Einfluss auf den öffentlichen Diskurs nimmt. Dies taucht zum Beispiel im Song "Contraband" von Snaga und Fard auf: Dort wird
"kontra Bilderberger, Volksverräter, Hintermänner" gewettert sowie "kontra Zins, kontra Schuld, kontra Geduld". Hinterhergereicht wird noch ein "und ja, pro Todesstrafe für Kinderschänder".
Der Widerspruch bleibt unaufgeklärt, dass dies an eine Argumentation der NPD erinnert, aber ausgerechnet von einem Rapper kommt, der sich selbst wahrscheinlich als Antirassist versteht und die Nähe zur Nazipartei weit von sich weisen würde.
Mit anderen Worten: so funktioniert Rap. Im Kampf gegen imaginäre Gegner gibt es keine Grautöne, egal ob im Battle-Rap oder auf dem politischen Schlachtfeld.
Die Widersprüche dieser Welt tauchen - wen wundert es - im Rap in einer übersteigerten, karikierten und überspitzten Form wieder auf. Widersprüche, die in der comicartigen Schlagwortwelt des Rap dann auch nicht ausgehalten werden, sondern in prä-, post- und spätpubertären Ermächtigungsfantasien ausgelöscht und vernichtet werden müssen. In der Wissenschaft nennt man dieses Nichtaushalten von Widersprüchen Ambiguitätsintoleranz und man versteht darunter das Bedürfnis, auf widersprüchliche Wahrnehmungen, Komplexität und Mehrdeutigkeiten mit dem schnellen Rückgriff auf einseitige Schwarz-Weiß beziehungsweise Gut-Böse-Schemata zu reagieren.
Am prominentesten sind im deutschsprachigen Rap deshalb die Verschwörungstheorien mit antisemitischen Stereotypen. In einer Welt, die oft schwer durchschaubar erscheint, versprechen Verschwörungstheorien offenbar Halt, wobei dies kein Privileg der Rapzunft ist: Krisenzeiten gelten als Verschwörungszeiten, und selbst in der Bundesrepublik ist das Bewusstsein dafür vorhanden, dass die globalen Erschütterungen näher kommen, und mit ihnen die Angst. Dann kommen die einen auf die Idee, der "Zustrom" von Millionen von Flüchtlingen sei von den USA organisiert und diene einer großen "Umvolkung", während andere meinen, dass ohnehin alles von einer Handvoll Dunkelmänner gesteuert sei. Widersprüche werden konsequent zum Ergebnis eines Fehlverhaltens einiger weniger umgedeutet, so dass die Welt wieder in Gut und Böse organisiert ist.
Damit ist zu erklären, dass es in politisch angehauchten Rapsongs vor Illuminaten, Rosenkreuzern und anderen Geheimgesellschaften nur so wimmelt. Der Topos der "New World Order" taucht immer wieder auf, das Zinssystem wird als Grund dafür angesehen, warum es mit dem eigentlich für gut befundenen Kapitalismus nicht so richtig läuft, und bis zur jüdischen Weltverschwörung ist es dann nicht mehr weit. Das macht der Rapper Favorite in seinem Song "Sanduhr" in Zusammenarbeit mit Kollegah vor. Dort heißt es einmal:
"Ich leih dir Geld, doch nie ohne ’nen jüdischen Zinssatz" und an einer anderen Stelle: "Yeah, Freispruch, wie üblich, ich kann hier halt machen, was ich will dank meines jüdischen Anwalts."
Teilweise reicht der Einfluss dieser angeblichen weltumspannenden jüdischen beziehungsweise zionistischen Lobby sogar bis ins Neuköllner Kioskgewerbe, etwa bei Hassan K., der in seinem Song "Juggernaut" einen klassischen Gut‑Böse-Gegensatz zwischen sich und einem verschlagenen Genenüber aufmacht:
"Der Zionist bietet mir Whisky an
Ich sage ich trinke nur Wasser
Er macht jährlich Urlaub in Thailand
Und ich geh in die Heimat."
Das Wort "Zionist" ist einer der angesprochenen Codes und in diesem Zusammenhang nur eine schlechte Tarnung für das, was eigentlich gemeint ist: "der" Jude, der das Böse verkörpert und die Menschen zu unreinen Handlungen wie dem Trinken von Alkohol verführen möchte und selbst Sexurlaub in Thailand macht.
Der Begriff "Zionist" wird im Rap immer häufiger als Chiffre für "den Juden" genommen, auch weil damit vordergründig eine Kritik an Israel verbunden wird - und hier wird eine saubere Unterscheidung schwierig.
Israelbezogene Kritik wird dann als antisemitisch bezeichnet, "wenn sie alle Jüdinnen und Juden weltweit für die israelische Politik verantwortlich macht, die israelische Politik an Maßstäben misst, die an kein anderes demokratisches Land gesetzt werden, oder wenn dem Staat Israel aufgrund seiner jüdischen Selbstdefinition das Existenzrecht abgesprochen wird", heißt es bei der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus.
Dieser sogenannte israelbezogene Antisemitismus wird deutschsprachigen Rappern am häufigsten vorgeworfen. Das ist jedoch nicht unbedingt immer gerechtfertigt. Dass Antizionismus, Palästinasolidarität und Kritik an der israelischen Politik sehr oft als israelbezogener Antisemitismus eingestuft werden, ist für eine offene Diskussion äußerst hinderlich.
Auf der einen Seite wird in der Öffentlichkeit immer wieder betont, dass nicht nur Personen mit Migrationshintergrund latent anfällig für antisemitisches Gedankengut sind. Auf der anderen Seite steht die durch Studien gefestigte These, dass Deutschland unter anderem ein sogenanntes "importiertes Antisemitismusproblem" hat.
Eines lässt sich dabei immer wieder beobachten: Wenn sich Rapper mit ungelenken Antiimperialismusäußerungen und kritikloser Solidarität mit der palästinensischen Sache zu Wort melden, handeln sie sich schnell einen Antisemitismusvorwurf ein. Wenn Rapper zu dem sich der deutschen Solidarität mit dem Staat Israel nicht anschließen wollen, handeln sie sich den Tadel ein, sie würden sich nicht richtig in die deutsche Wertegemeinschaft integrieren. So entsteht eine Zirkelargumentation, die sich immer wieder selbst befeuert und vor allem der Versicherung des eigenen Standpunktes dient.
Dass auf der Seite der Beschuldigten die gleichen Fehler gemacht werden, macht es nicht besser. Der Einwand deutschsprachiger Rapper, mit der deutsch‑jüdischen Geschichte nichts zu tun zu haben, wird mit einem Freifahrtschein für die Aussprache von Vorurteilen und Ressentiments verwechselt.
Die "fetischhafte Beschäftigung" mit den Problemen des Nahostkonfliktes
Die beschwörende Rede von dunklen Hintermännern des Zinsgeldsystems, von Zionisten, die auch für die Bankenkrise, diverse Kriege und den Bau einer Sperranlage zwischen Israel und dem Westjordanland verantwortlich sind, die Behauptung, dass eine Kritik daran nicht möglich sei, lässt auch hier einen Zirkelschluss entstehen, der einem Teufelskreis nahekommt.
Diese verschiedenen Stränge zu entwirren und das eine vom anderen abzugrenzen und offen anzusprechen, wäre die Aufgabe von Medien, Politik und Bildungsinstitutionen. Hier wird in Deutschland aufgrund der speziellen Geschichte des Holocaust aber mit äußerster Vorsicht agiert. Entsprechend verquer und verklemmt wird Antisemitismus diskutiert - Missverständnisse, Unterstellungen und Vorverurteilungen eingeschlossen. Es wäre dringend notwendig, das zu ändern.
Offensichtlich ist, dass ein offener Diskurs in Deutschland immer wieder in eine Sackgasse führt, weil er zwei Dinge unablässig miteinander verknüpft, die getrennt voneinander behandelt werden müssten: Antisemitismus an sich, also die Ausgrenzung, Stigmatisierung und Anfeindung von jüdischen Menschen auf der einen Seite und die deutsche Solidarität mit dem Staat Israel auf der anderen. Die Verquickung dieser beiden Themenfelder macht die Diskussion über Rap und Antisemitismus so verworren.
So sehen sich deutschsprachige Rapper wie Massiv, dessen Großeltern aus Palästina vertrieben wurden, oder auch der palästinensisch-stämmige Rapper Ali Bumaye Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt, weil sie sich in ihren Songs auch sentimental mit der Heimat ihrer Eltern und Großeltern auseinandersetzen und die Missstände der israelischen Politik für Palästinenser zur Sprache bringen - zweifellos einseitig, aus Sicht der Betroffenen und Unterlegenen, ohne ausgewogene und differenzierte Betrachtungsweise, aber warum auch nicht? Schließlich handelt es sich bei Rap um Kunst, die radikal und parteiisch sein darf.
Mit einiger Berechtigung kann gefragt werden, woher die zum Teil geradezu fetischhafte Beschäftigung mit dem Nahost-Konflikt im deutschsprachigen Rap herrührt. Es sei einmal dahingestellt, wie hoch der Anteil selbst erfahrenen Unrechts bei solchen Rap-Texten tatsächlich ist, ob es sich um ein Gefühl oder eine künstlerische Aneignung handelt oder ob die treuen Fans mit dem beliefert werden, was Trend ist - das Urteil der deutschen medialen Öffentlichkeit fällt durchweg negativ aus.
Dabei müsste meiner Meinung nach in Betracht gezogen werden, dass sich aus Sicht vieler junger Muslime in Deutschland ihre eigenen Erfahrungen und das Schicksal von Millionen von Muslimen im israelisch-palästinensischen Konflikt wie unter einem Brennglas konzentrieren - etwa, dass ein Großteil der muslimischen Welt seit über zwei Jahrhunderten immer wieder Erfahrungen mit westlichem Imperialismus machen musste. Oder dass Muslime in westlichen Ländern um Anerkennung ringen und häufig unter Generalverdacht stehen, alles Mögliche zu sein, nur keine guten Staatsbürger.
Die eher verhaltene Kritik an der israelischen Siedlungs- und Besatzungspolitik vonseiten der Bundesregierung empfinden viele in der deutschen Rapszene als heuchlerisch und doppelmoralisch, wo doch sonst weltweit die Wahrung der Menschenrechte von ihr offen angemahnt wird, zumindest dann, wenn es ihrer Interessenlage entspricht.
Diese Art empfundener Ungerechtigkeit, die damit einhergehenden Provokationen samt den berechenbaren Reaktionen der Öffentlichkeit machen es wohl so interessant, das Thema immer wieder aufs Neue in Raptexten zu verarbeiten.
"Das zeigt, dass wir in Deutschland nie darüber sprechen, was hier im Nahen Osten wirklich stattfindet, sondern immer nur über uns", sagt Tsafrir Cohen, der Leiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv, in einem Interview aus dem Jahr 2017. Und weiter:
"Das ist alles so selbstzentriert und hat überhaupt nichts mit der Zukunft des Landes Israel zu tun, sondern nur damit, wie wir selbst mit der Nazivergangenheit umgehen. Mit der Frage: Wer sind wir? Das Problem ist aber zu groß, um sich nur mit sich selbst zu beschäftigen, weil Deutschland ja auch Einfluss auf diese Region hat."
Zeichnet Rap ein Gesellschaftsbild?
Was tun? Rapper machen sich ihre Gedanken ja nicht im luftleeren Raum sondern sie formulieren, was aus ihrer Sicht virulente Fragen der Gesellschaft sind. Rap funktioniert als ihr Verstärker und öffentliche Ausdrucksform. Dass damit ein Geschäft gemacht wird, ist unzweifelhaft.
Aber warum kaufen so viele Leute Musik mit sexistischem Inhalt, mit Darstellungen von überkommenen Rollenbildern, plus hier und da ein Antisemitismus inbegriffen?
Vielleicht ist unsere Gesellschaft doch nicht so progressiv, wie wir uns das in unserer Medienbubble so vorstellen. Schaue ich mir zum Beispiel Kollegah an, der in einem Buch seine Selbstoptimierung propagiert und mit seinen Verschwörungstheorien fast als Karikatur gelten könnte, so erkenne ich in ihm aber doch den Prototyp einer turbokapitalistischen Gesellschaft, die ganz auf den Erfolgswillen und die Selbstoptimierung des Einzelnen setzt und Krisen konsequent als moralisches Versagen deutet. So weit weg von der Gesellschaft ist so einer mit seinem Denken eben nicht.
Zwar spielen Homophobie und Sexismus immer noch eine bedeutend größere Rolle in den Texten des deutschen Rap und sind auch gesamtgesellschaftlich die Problemfelder, die es zu bearbeiten gilt, aber nimmt man Rap als Spiegel von Debatten und Gedanken, die gesellschaftlich und besonders unter Jugendlichen verbreitet sind, so ist das Phänomen eben vorhanden.
Das Beharren darauf, dass es sich bei antisemitischen Äußerungen und Übergriffen um einen besonderen Tabubruch handelt, der sich in Deutschland einfach nicht gehört, ist wenig zielführend. Solange der Eindruck vermittelt wird, dass es sich hier um eine außerordentliche Diskriminierung handelt, die aufgrund der außerordentlichen deutsch-jüdischen Geschichte auch exklusiv geahndet wird, und andere Rassismuserfahrungen in diesem Land nicht dieselbe Anerkennung erfahren, solange werden sich Teile der Bevölkerung nicht angesprochen fühlen.
Den Horror des Holocaust als Menschheitskatastrophe zu vermitteln, aus dem die gesamte Menschheit ihre Lehren zu ziehen hat, wäre die adäquate Antwort einer Gesellschaft, die sich ernsthaft mit Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung auseinandersetzt.
An dieser Stelle müsste ein vollkommen neuer Denkansatz her, vor allem auch, wenn es tatsächlich darum geht, das Aufflackern eines neuen Antisemitismus im Keim zu ersticken und man es nicht nur bei staatstragenden Lippenbekenntnissen belassen will. Denn so sehr sich auch das offizielle Deutschland hinter den israelischen Staat und die jüdische Gemeinde stellt, so wenig sich auch die Lage der arabischen Welt im Allgemeinen und die Lage der Palästinenser im Speziellen unter den realen Machtbedingungen der Welt verändert, so bedrohlich ist auch die Situation für jüdische Menschen im Alltag.
Denn betrachtet man Rap nicht nur als Spiegel der Gesellschaft, sondern auch als Möglichkeit, die eigene Lebenswelt und Erfahrung sichtbar zu machen, so bietet sich gerade hier und im Bildungsbereich die Chance für eine umfassende und ehrliche Diskussion. Diese gelingt allerdings nur dann, wenn man weniger den Tabubruch verurteilt, sondern endlich einmal auch nach dem Warum fragt und die Gründe dahinter erforscht.
Dass auch hier einiges an falschem Denken zum Vorschein kommt, ist ohne Frage. Nur dann kann man auch anfangen, dieses aus der Welt zu räumen.