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Neuer EKD-Ratsvorsitzender
"Das Entscheidende ist, dass wir Gewalt überwinden"

Heinrich Bedford-Strohm steht neu an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland. Im DLF erklärte er, warum der Einsatz von Waffen aus seiner Sicht in manchen Situationen vertretbar ist und wie sich der Umgang mit Flüchtlingen in Europa ändern sollte. Gleichzeitig sprach er sich gegen eine "kommerzielle Sterbehilfe" aus.

Heinrich Bedford-Strohm im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Der neue EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm.
    Der neue EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. (picture alliance / dpa / Nicolas Armer)
    Die weltweiten Krisen, wie etwa die Bedrohung durch die Terrormiliz Islamischer Staat im Nahen Osten, sieht Heinrich Bedford-Strohm mit Sorge. Das Schicksal der Bevölkerung dort sei ein Thema, "das uns hier in Deutschland prägt und prägen muss", sagte er im DLF. Auch hier müsse man einen Beitrag leisten, die Folgen zu bewältigen. Der neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hält dabei auch Waffenlieferungen an die Kurden im Kampf gegen den IS für vertretbar. Dies sei zum Schutz von Menschenleben teilweise notwendig. Das hätten ihn seine Erfahrungen in Ruanda 1994 gelehrt. Bei dem Völkermord dort wurden nach Schätzung innerhalb weniger Wochen bis zu eine Million Menschen getötet. "Ich habe geschworen, nicht zu schweigen, wenn ich wieder so eine Situation sehe", so Bedford-Strohm. Dabei handele es sich aber um eine Notsituation. Das entscheidende sei, "dass wir Gewalt überwinden".
    Europäische Flüchtlingspolitik ungerecht
    Auf der anderen Seite müsse sich Deutschland auch um die Aufnahme von Flüchtlingen bemühen und diese angemessen versorgen und integrieren. Er erlebe hierbei eine wesentlich offenere Stimmung als noch vor 20 Jahren. Kritik äußerte Bedford-Strohm aber an der grundsätzlichen Ausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik. Diese müsse so gestaltet werden, dass alle Länder gleichermaßen für die Aufnahme von Flüchtlingen verantwortlich seien.
    In der Debatte um das Thema Sterbehilfe sprach sich der neue EKD-Ratsvorsitzende dagegen aus, dass Ärzte Patienten beim Suizid assistieren. Mediziner hätten dies nicht als Aufgabe. Betroffene müssten in der letzten Phase angemessen begleitet werden. Da gebe es noch viel Spielraum nach oben.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Noch bis nächstes Jahr hätte Nikolaus Schneider die Evangelische Kirche in Deutschland führen sollen, aber er hat vorzeitig den EKD-Ratsvorsitz abgegeben, weil seine Frau schwer krank ist. Viele empfanden seinen Beschluss deshalb als bewegend. Gestern hat die Synode der Evangelischen Kirche ihren neuen Ratsvorsitzenden gewählt: Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm soll in Zukunft an der Spitze der 23 Millionen Protestanten in Deutschland stehen - zunächst für ein Jahr, weil dann erst regulär die derzeitige Legislaturperiode ausläuft. Heinrich Bedford-Strohm gilt als ein Kirchenmann, für den Politik und Frömmigkeit zusammengehören, und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Heinrich Bedford-Strohm: Guten Morgen, Frau Kaess!
    Kaess: 2014 wird ja immer wieder als Krisenjahr bezeichnet, angesichts der aktuellen Weltlage. Hätten Sie sich denn gewünscht, dieses Amt in einer friedlicheren Zeit zu übernehmen?
    Bedford-Strohm: Ja natürlich geht mir das sehr nahe, was in der Welt passiert. Ich bin ja selbst in den Nordirak gefahren, ich war auch im letzten Monat in Israel und Palästina, und das geht natürlich ganz nahe, was im Moment los ist in der Welt, wie die Menschen leiden unter der Gewalt, die immer mehr, immer größer wird. Und natürlich ist das etwas, was uns auch hier in Deutschland prägt und prägen muss. Wir nehmen Anteil an dem, was in der Welt passiert, und wir müssen auch unseren Beitrag dazu leisten, dass die Folgen bewältigt werden können.
    Kaess: Und aus Ihren Erlebnissen im Irak sind Sie offenbar auch zu der Meinung gekommen, dass es richtig ist, Waffen an die Kurden im Irak zu liefern, um sie beim Kampf gegen den Islamischen Staat zu unterstützen. Wie passt das denn zusammen mit der Friedensethik der Kirche?
    Bedford-Strohm: Die Friedensethik der Kirche sagt eine Sache im Kern, die ich nur ganz dick unterstreichen kann: Gewalt ist nie eine Lösung. Gewalt ist immer mit Schuld verbunden. Gewalt ist immer eine Niederlage. Das ist für uns glasklar. Das Problem ist: Was tun wir, wenn Menschen in der Gefahr stehen, ermordet zu werden, wenn Völkermord die große Gefahr ist? Und in dieser Situation gibt es eine menschliche Schutzverantwortung. Keiner glaubt, dass man mit militärischer Gewalt Probleme lösen kann, und die zivile Logik muss immer im Zentrum stehen. Aber es gibt auch Situationen, wie das zum Beispiel in Ruanda beim Völkermord der Fall war, wo Menschen geschützt werden müssen gegen Mord und Gewalt, und in Ruanda hat man es nicht getan. Eine Million Menschen sind innerhalb von 100 Tagen umgebracht worden mit Macheten. Ich kenne dieses Land Ruanda gut und ich habe mir geschworen, nie zu schweigen, wenn ich eine Situation sehe, wo so was wieder zu passieren droht, und ich sehe im Nordirak diese Situation. Ich habe mit den Menschen gesprochen, mit den Jesiden, mit den verfolgten Christen, und ich bin dann zurückgekommen nach Hause und habe gesagt, wir brauchen eine UN-Schutzzone, damit diese Menschen nicht länger vom IS bedroht sind.
    Menschen notfalls mit militärischer Gewalt schützen
    Kaess: Die ist im Moment nicht in Sicht. Haben Sie denn mit Ihrer Haltung die Pazifisten in der Evangelischen Kirche schon überzeugen können?
    Bedford-Strohm: Wir haben jedenfalls einen ganz großen gemeinsamen Grund. Wir sind ja alle zerrissen. Niemand wünscht sich die Anwendung von Gewalt und umgekehrt nehmen diejenigen, die Gewalt ablehnen, natürlich auch ganz stark Anteil an dem Schicksal der Menschen, die dort bedroht sind. Das eint uns ja. Und wir diskutieren über die Frage, was jetzt die richtige Antwort ist. Der Rat der EKD hat eine Stellungnahme abgegeben. In der steht drin: Es muss auch in besonderen Fällen die Möglichkeit sein, solche Menschen zu schützen, notfalls auch mit militärischer Gewalt. Das kann aber nie im Zentrum stehen. Und was wir noch gesagt haben - auch das will ich unterstreichen - ist, dass die Rüstungsexport-Praxis, wie wir sie jetzt bisher praktiziert haben, mit dazu geführt hat, dass viel zu viele Waffen in diese Region geflossen sind, auch aus Deutschland. Das muss sich ändern. Deswegen ist die Zustimmung dazu, diese Menschen jetzt unmittelbar zu schützen, für mich untrennbar verknüpft mit einer Veränderung der Rüstungsexport-Praxis.
    Kaess: Aber ich verstehe Sie da schon richtig: Wenn wir gegen den Islamischen Staat militärisch vorgehen, dann heißt das auch, dass wir bei anderen Konflikten einschreiten, wo es um Menschenrechtsverletzungen geht, und zwar militärisch einschreiten.
    Bedford-Strohm: Da wo Völkermord droht, ist das eine Option. Man kann es sich nie leicht machen. Man muss es immer sehr genau prüfen. Und es gibt natürlich viele Brandherde in der Welt. Man kann das nicht überall einfach als Standardmittel einsetzen. Aber es gibt bestimmte Situationen, wo man das leider nicht ausschließen kann. Aber ich sage noch mal: Das darf nie im Zentrum stehen. Das ist eine Art Polizeigewalt, die wir international brauchen. Das Entscheidende ist, dass wir Gewalt überwinden, und das geht nur, indem wir zivile Logik ins Zentrum stellen und nicht die militärische Logik.
    Kaess: Müssen sich die muslimischen Verbände zum Thema Islamischer Staat klarer positionieren?
    Bedford-Strohm: Ich habe wahrgenommen, dass die Muslime hier in Deutschland sich sehr klar positioniert haben. Sie haben einen Tag gemacht, wo überall in Deutschland sehr deutlich erklärt worden ist, dass das, was da vom IS aus passiert, nicht mit dem Islam vereinbar ist. Ich habe in Erbil im Nordirak auch gesprochen mit den Religionsführern, den geistlichen Führern von Kurdistan. Als ich kam, war das Erste, dass sie sofort gesagt haben, wir haben eine Erklärung herausgegeben, in der wir sagen, dass die Mitgliedschaft im IS Sünde ist und mit dem Islam nicht vereinbar ist. Das ist genau der richtige Weg, dass wir als Religionen selbstkritisch auf uns schauen und dass wir auch gleichzeitig alles tun, was möglich ist, damit wir Religionen zur Kraft des Friedens werden.
    Kaess: Herr Bedford-Strohm, wie erklären Sie sich denn, dass der Islamische Staat mit einer Gewaltherrschaft und mit einem extremistisch ausgelegten Glauben auch für viele junge Menschen im Westen attraktiv ist?
    Bedford-Strohm: Nach allem, was man darüber weiß - zunächst mal ist es ein Rätsel, aber nach allem, was man darüber weiß, ist es so, dass Menschen, die hier sich als Verlierer fühlen, die einfach nicht teilhaben an der Gesellschaft, bei denen einiges schief gelaufen ist im Leben, und die sich danach sehnen, endlich mal wer zu sein, dann auf dieses Angebot hereinfallen, dort mitzukämpfen und einen angeblichen Islam dort zu vertreten, stark zu sein, wer zu sein, und dann da hingehen, weil sie meinen, dass sie auf diese Art endlich den Platz finden, den sie sich wünschen. Das ist natürlich ein absoluter Irrweg und viele von denen merken das erst, wenn sie dort sind, und haben dann Schwierigkeiten, hierher zurückzukommen. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns darum kümmern und dass wir ...
    Kaess: Wie denn? Auch die Kirchen?
    Bedford-Strohm: Auch die Kirchen! Aber die Gesellschaft insgesamt muss sehen, wo diese jungen Leute hier auf diese Abwege geraten. Das hat natürlich zu tun auch dann mit Sozialarbeit. Man muss nahe bei diesen Jugendlichen dran sein und man muss alles tun, was möglich ist, um sie zu integrieren, bevor sie auf solche mörderischen Ideen kommen.
    Welle von Hilfsbereitschaft in Deutschland
    Kaess: Die Krisen führen ja dazu, dass viele Flüchtlinge nach Europa kommen. Ihr Vorgänger, Nikolaus Schneider, hat eine Politik der Abschottung und Ungastlichkeit gegenüber diesen Flüchtlingen beklagt. Sehen Sie das auch so und muss Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen?
    Bedford-Strohm: Wir werden auf jeden Fall Flüchtlinge weiterhin aufnehmen müssen, vielleicht auch mehr, denn die Welt brennt in bestimmten Regionen und wer dort gewesen ist sieht ja, mit welchem unglaublichen Engagement die Menschen dort, die Nachbarländer, Flüchtlinge aufnehmen. Und da muss jeder seinen Beitrag leisten, auch wir in Deutschland. Ich erlebe - das will ich aber auch sagen -, ich erlebe hier in Deutschland eine große Welle von Hilfsbereitschaft. Die Situation ist anders als vor 20 Jahren, als sehr schnell Fremdenfeindlichkeit und Ähnliches entstanden ist. Ich habe ganz stark den Eindruck, dass die Menschen die Bilder im Fernsehen sehen, sie sehen, wie schrecklich das ist, was den Menschen da zustößt, und sie wollen das Ihre tun, um die Leute hier so zu empfangen, dass sie eben kein Trauma einfach nur in den Herzen weitertragen müssen, sondern dass sie Anerkennung erfahren, dass sie in Würde hier untergebracht werden, und das ist die Hauptherausforderung. Ich wünsche mir eine Exzellenz-Initiative der Humanität in Deutschland.
    Kaess: Die Hilfsbereitschaft der Menschen, das ist ja die eine Seite. Auf der anderen Seite gibt es viel Kritik an der deutschen und an der europäischen Flüchtlingspolitik. Warum haben es denn die Kirchen nicht geschafft, hier mehr Einfluss auf die Politik zu nehmen?
    Bedford-Strohm: Wir haben ja Einfluss genommen in den jeweiligen Ländern. In Deutschland selbst kann man das durchaus auch zeigen, wie die Politik auch gehört hat und bestimmte Dinge verändert hat.
    Kaess: Aber die Abschottung geht ja weiter.
    Bedford-Strohm: Ja. Das ist eine europaweite Frage und da haben Sie völlig Recht: Das ist uns bisher nicht gelungen, deutlicher zu machen, was wir im Prinzip schon seit Jahren sagen, dass das Dublin-System einfach nicht funktioniert, dass es der falsche Weg ist, die Flüchtlinge in den Ländern zu versuchen abzuhalten, wo sie nach Europa kommen wollen, und diesen Ländern die Hauptverantwortung aufzubürden. Deswegen ist es faktisch so, dass die Flüchtlinge weiter durchgeschleust werden in die anderen Länder Europas. Es ist in gewisser Weise ein Chaos, was wir da erleben, und wir brauchen da klarere Regelungen, die deutlich machen, dass überall in Europa Verantwortung für Flüchtlinge übernommen wird. Nach dem Dublin-System funktioniert es jedenfalls nicht.
    Kaess: Herr Bedford-Strohm, der Bundestag diskutiert in dieser Woche über die Sterbehilfe. Bisher haben wir da eigentlich mehr verschiedene Stimmen in der Evangelischen Kirche gehört. Wie eindeutig muss sich die Evangelische Kirche positionieren?
    Bedford-Strohm: Wir haben uns da klar positioniert. Es gibt eine Stellungnahme des Rats der EKD zum assistierten Suizid. Die haben wir noch mal bekräftigt jetzt und auch der Ratsvorsitzende, der bisherige Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider, hat sich da persönlich klar positioniert. Er hat immer gesagt, was seine Überzeugung ist.
    Kaess: ..., dass er dagegen ist, dass man ihn so lässt.
    Bedford-Strohm: ..., dass er dagegen ist, dass wir organisierte oder gar kommerzielle Sterbehilfe hier in Deutschland haben. Es muss im Zentrum stehen, dass Menschen am Lebensende gut begleitet werden, dass sie medizinisch ...
    Kaess: Aber wenn ich da mal kurz einhaken darf?
    Bedford-Strohm: Ja, gerne!
    Sterbehilfe keine Pflicht von Ärzten
    Kaess: Nikolaus Schneider hat auch gesagt, die Ärzte bräuchten Raum, um ohne Angst vor juristischen Konsequenzen Einzelfallentscheidungen treffen zu können.
    Bedford-Strohm: Das ist auch ganz klar, dass natürlich wir uns nicht wünschen können, dass Ärzte immer mit einem Fuß im Gefängnis stehen, wenn sie in sehr schwierigen Dilemma-Situationen zu entscheiden versuchen. Ich wünsche mir auch keine strafrechtliche Verschärfung für Ärzte. Das läuft sehr gut mit den standesrechtlichen Regelungen. Die Ärzte diskutieren und ich empfinde das als sehr verantwortlich, wie die Ärzte mit diesem Thema umgehen. Es ist aber was ganz anderes, wenn man in ein Gesetz hineinschreibt, dass unter bestimmten Bedingungen die Option geöffnet werden soll, dass Menschen sich töten lassen, oder, wie es jetzt diskutiert wird, Menschen dazu unterstützt werden, sich selbst zu töten. Das ist nicht die Pflicht der Ärzte. Die Ärzte sollen heilen, sie sollen begleiten, sie sollen dafür sorgen, dass Menschen in Würde sterben können, liebevoll begleitet von Pflegekräften und Angehörigen und ohne Schmerz. Und das geht und da gibt es noch viel Spielraum nach oben und das muss jetzt im Zentrum stehen, dass wir die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, dass das auch wirklich gemacht wird.
    Kaess: Dennoch positioniert sich die Katholische Kirche hier - zumindest scheint das so - etwas klarer, denn es gibt die Forderung des Vorsitzenden der Katholischen Bischofskonferenz Reinhard Marx, der sagt, auch im ärztlichen Standesrecht muss es klare Verbote geben. Ist das ein Problem, oder kann das ein Problem für die Ökumene werden, wenn beide Kirchen da auf verschiedenen Linien fahren?
    Bedford-Strohm: Wir haben da große Gemeinsamkeit. Ich habe auch persönlich mit Kardinal Marx über die Sache schon gesprochen und wir sind uns da sehr einig. Auch ich möchte natürlich, dass in den ärztlichen Standesordnungen das, was jetzt ja schon da ist, weiter drinsteht, dass Ärzte eben nicht als Aufgabe haben, anderen Menschen beim Suizid zu helfen. Da gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen uns.
    Kaess: ..., sagt der neue EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof, Heinrich Bedford-Strohm. Danke für das Gespräch heute Morgen!
    Bedford-Strohm: Ich danke Ihnen, Frau Kaess. Guten Morgen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.