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Neuer Metro-Ring um Paris
Eine Stadt wird umgegraben

Paris verdoppelt gerade sein Metronetz - bis 2030 sollen die Vorstädte durch den Grand Paris Express deutlich besser angebunden sein als bisher. Bis es soweit ist, bedeutet dieser stadtplanerische Kraftakt allerdings noch mehr Verkehr und Baustelle.

Von Bettina Kaps | 19.08.2019
Der Eingang zum Bohrloch für den geplanten Grand Paris Express im Stadtpark von Bagneux
Eins der Bohrlöcher für den geplanten Grand Paris Express. Darüber liegt der Stadtpark von Bagneux. (Deutschlandradio / Bettina Kaps)
Der Park Robbespierre liegt in einem Wohnviertel von Bagneux, einer Stadt im Großraum Paris. Aber wo früher Bäume wuchsen, ragt jetzt ein Kran in den Himmel. Eine Anlage für Spritzbeton, Förderbänder, ein Sammelbecken für den Erdaushub und Bürocontainer sind in den ehemaligen Park gezwängt. Mittendrin gähnt ein Loch. Der Schacht führt 45 Meter in die Tiefe, sagt Lucie Houssin von der Baufirma Vinci.
"Wir sind hier auf der Linie 15 Süd des Grand Paris Express. Auf dieser Baustelle ist unsere Tunnelvortriebsmaschine im Februar gestartet. Sie hat bisher 270 Meter gebohrt, es bleiben noch 3,7 Kilometer. Wenn alles klappt, kommen wir im Sommer 2020 in Fort d'Issy-Vanves-Clamart an."
Die Metrolinie 15 ist das Herzstück des riesigen Infrastruktur-Projekts "Grand Paris Express". Sie wird Paris zehn Kilometer außerhalb der alten Stadtgrenze umrunden und dabei alle bestehenden Linien, die sternförmig ins Zentrum führen, verknüpfen. Heute müssen die Bewohner für den Weg von einer Vorstadt zur nächsten oft das Auto nehmen, auch deshalb erstickt der Großraum im Verkehr.
Bis zur Fertigstellung noch mehr Stau
Aber bevor das Transportsystem mit insgesamt vier neuen Metrolinien fertig wird – laut Planung im Jahr 2030 –, sorgen unzählige Baustellen für noch mehr Staus. Auch die Menschen in Bagneux müssen allerhand ertragen.
"Wir transportieren den Aushub mit Lastwagen weg, dafür brauchen wir 130 Lkw pro Tag. Außerdem liefern uns täglich 30 Lastwagen Betonteile für die Tunnelwand."
Alte Steinbrüche, Brunnenschächte, Bohrlöcher - die Tunnelbohrer Romain Amoros (links) und David Dubois (Mitte) sind beim Bohren durch den Pariser Untergrund auf alles gefasst.
Alte Steinbrüche, Brunnenschächte, Bohrlöcher - Tunnelbohrer wie Romain Amoros (l.) und David Dubois (M.) müssen beim Bohren durch den Pariser Untergrund auf alles gefasst sein (Deutschlandradio / Bettina Kaps)
Tunnelführer Romain Amoros fährt mit dem Aufzug in die Tiefe und läuft in die Röhre hinein. Die Steuerkabine der Tunnelbohrmaschine liegt kurz hinter dem riesigen Bohrkopf mit der Förderschnecke. Amoros blickt prüfend auf die vielen Monitore an der Wand, verschafft sich einen Überblick über alle Vorgänge der einhundert Meter langen Maschine.
"Wir müssen jetzt noch ungefähr 80 Zentimeter bohren. Die Nachtschicht hat nur 1,20 Meter geschafft, weil es zu einem Stau kam auf dem Förderband. Wir haben alles frei bekommen. Alle zwei Meter machen wir einen Stopp. Dann setzt die Maschine einen neuen Betonring."
"Paris ist wie ein Schweizer Käse"
Romain Amoros arbeitet erstmals mit einer solchen High-Tech-Maschine. Neben ihm steht David Dubois, sein Ausbilder. Der 38-Jährige hat schon Tunnel in London, Budapest und Katar gebohrt. Er blickt prüfend auf das Transportband neben der Steuerkabine, wo der Aushub befördert wird, begutachtet die Konsistenz der Erde.
"Paris ist wie ein Schweizer Käse: voller Löcher. Die wurden zwar prinzipiell mal aufgefüllt, aber wir müssen trotzdem mit Überraschungen rechnen: alte Brunnenschächte, vergessene Probebohrungen, Überbleibsel von ehemaligen Steinbrüchen. Es kann jederzeit einen Druckabfall geben. Wir haben keine Kamera, mit der wir das Gelände sehen können."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Grand Paris". Eine Städt wächst über sich hinaus.
Während sich die Maschine wie ein Maulwurf durch den Untergrund wühlt, behält Bernard Cathelin die Gesamtplanung im Blick. Der Manager ist Vorstandsmitglied der staatlich eingesetzten "Société du Grand Paris", die den Bau des Grand Paris Express verwirklicht. Die Firmenzentrale ist in der Pariser Vorstadt Saint-Denis angesiedelt, wo gleich zwei neue Metrolinien entstehen.
"Das Projekt ist außergewöhnlich, angefangen bei der Größe: Wir werden 200 neue Streckenkilometer bauen mit 68 Bahnhöfen. Wir verdoppeln also das bestehende Verkehrsnetz von Paris. Überall dort, wo neue Bahnhöfe entstehen, sollen sich die Städte entwickeln und verdichten. Der Grand Paris Express ist das Vehikel für die Verwandlung einer ganzen Region."
Rund um die 68 Bahnhöfe sollen jedes Jahr 70.000 neue Wohnungen gebaut werden, viele davon in den neuen Bahnhofsvierteln.
Sechs Jahre später fertig als geplant
Die Pariser Jahrhundertbaustelle hat schon einige Turbulenzen hinter sich: 2017 wurde das Projekt vorübergehend auf Eis gelegt, weil die Projektkosten von 25 Milliarden auf 35 Milliarden Euro stiegen. Dann gab es Ärger, weil der Zeitrahmen gesprengt wurde und nun einzelne Streckenabschnitte nicht, wie versprochen, 2024 – zur Olympiade in Paris – fertig werden, sondern erst sechs Jahre später. Aber inzwischen gehe es in Riesenschritten voran, sagt Cathelin:
"Zwei der vier neuen Metrolinien sind im Bau. Wir haben über hundert Baustellen in Betrieb – die Arbeiten sind jetzt überall im Großraum Paris sichtbar."
Einer von neun Tunnelbohrern, die derzeit im Großraum Paris für den geplanten Grand Paris Express im Einsatz sind. Mit einem solchen Bohrer von etwa zehn Metern Durchmesser lassen sich pro Tag rund zwölf Meter Strecke bohren.
Einer von neun Tunnelbohrern, die derzeit für die neuen Metrolinien im Einsatz sind. Nächstes Jahr könnten es bis zu 20 sein. (Deutschlandradio / Bettina Kaps)
Neun Tunnelbohrer graben sich derzeit durch den Pariser Untergrund, nächstes Jahr sollen es sogar 20 sein. Eine Herausforderung ist auch die enorme Tiefe: Zwei der neuen Bahnhöfe werden 50 Meter unter der Erde liegen.
"Heute liegen wir gut in der Zeit"
Auch in London ist eine große Regionalbahn im Bau. Ihre Eröffnung musste jedoch kurzfristig um zwei Jahre verschoben werden. In Paris haben nun externe Prüfer davor gewarnt, dass die Kapazitäten der Baufirmen möglicherweise nicht ausreichen, um so viele Baustellen gleichzeitig zu bewältigen. Bernard Cathelin beunruhigt das nicht.
"In aller Bescheidenheit, weil es immer Störfälle geben kann: Beim Start im Jahr 2010 war Grand Paris ein weißes Blatt. Nur neun Jahre später stecken wir voll in den Arbeiten. Heute liegen wir gut in der Zeit. Wir können optimistisch sein."