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Neuer Papst muss es "mit dem System aufnehmen"

Das Konklave zur Wahl eines neuen Papstes ist nicht mehr zeitgemäß, sagt Helmut Schüller, Mitbegründer der Pfarrer-Initiative in Österreich, die unter anderem für die Zulassung von Frauen zum Priesteramt eintritt. Das ganze System müsse reformiert werden. Außerdem glaubt er, Benedikt XVI. sei nicht nur aus Altersgründen zurückgetreten.

Helmut Schüller im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.02.2013
    Tobias Armbrüster: Zwei Tage nach der Rücktrittsankündigung von Papst Benedikt hat in der katholischen Kirche das große Nachdenken begonnen. Wer soll der nächste Papst werden und welche Eigenschaften sollte er mitbringen? Eng verbunden damit ist natürlich die Frage, in welche Richtung sich die Kirche allgemein entwickeln sollte. Darüber wollen wir jetzt sprechen mit einem Mann, der in den vergangenen Jahren immer wieder mit dem Vatikan aneinander geraten ist. Am Telefon ist Helmut Schüller, Mitbegründer der sogenannten Pfarrer-Initiative in Österreich. Schönen guten Morgen, Herr Schüller.

    Helmut Schüller: Guten Morgen!

    Armbrüster: Herr Schüller, Sie haben sich in Ihrer Vergangenheit in der Kirche immer wieder stark gemacht für Frauen im Priesteramt, für ein Ende des Zölibats und für mehr Toleranz gegenüber Geschiedenen. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Sie damit nach der Ära Benedikt Erfolg haben werden?

    Schüller: Wir haben die Hoffnung, dass sich die Kirche insgesamt öffnet, dass sie eine Kirche mit Grundrechten wird für die Menschen, die zu ihr gehören, und dass sie sich eben auch der Themen annimmt, die unsere Zeit bringt. Und da haben wir eigentlich nur dann Hoffnung, wenn jetzt wirklich auch unter den Kardinälen eine Öffnung geschieht, wenn die jetzt auch jemanden wählen, der es wagt, es mit dem System Vatikan aufzunehmen. Unsere Diagnose ist doch eher, dass nicht Alter und Krankheit die einzigen Gründe gewesen sein dürften, sondern dieser wachsende Druck von rechts in der Kirche, der sich in den letzten Jahren ganz deutlich zeigt. Und wenn nun ein neuer Papst sein Amt antritt, dann muss er es eigentlich mit diesem System aufnehmen. Es muss vermutlich jemand sein, der etwas versteht von diesem System, der es kennt, der strategisch vorgeht. Und die Kardinäle sollen jetzt nicht endlos untereinander reden, sondern sie sollten eigentlich längst unterwegs sein zur Basis der Kirche, um dort zu hören, was eigentlich das Kirchenvolk erwartet. Da könnten sie sehr viele interessante, aufschlussreiche und weiterführende Gedanken hören.

    Armbrüster: Aber so etwas passiert nicht?

    Schüller: So etwas passiert nicht. Es wird zusammengesessen, wahrscheinlich, und untereinander ausgemauschelt und ausgehandelt, was jedem in den eigenen Kram passt, und das ist natürlich völlig unpassend. Ich hoffe sehr, dass die Bischöfe, die Ortsbischöfe, die nicht Kardinäle sind, ihre Kardinäle eiligst briefen über das, was tatsächlich im Gange ist und in welcher Zeit sich die Kirche wirklich befindet, damit diese Realitätsverweigerung endlich auch ein Ende hat. Und vor allem: Ich hoffe sehr, dass nicht jemand gewählt wird, der zwar nach außen hin sensationell wirkt, etwa ein Afrikaner oder Lateinamerikaner, der von ganz außen käme, aber eben binnen kurzem vollkommen kaltgestellt wäre. Das ist natürlich eine nüchterne Analyse, aber keine andere würde weiterführen.

    Armbrüster: Wen würden Sie denn sich als Kandidaten wünschen unter den Kardinälen? Haben Sie da schon jemanden herausgefunden, der sozusagen Ihren Wünschen entsprechen würde?

    Schüller: Nein. Man kennt ja auch diese Männer überhaupt nicht. Es werden zwar Passfotos im Fernsehen gezeigt und vom Fernsehkommentatoren Kurzzusammenfassungen, aber wir kennen die Leute ja nicht. Möglicherweise würde jemand geeignet sein, den derzeit niemand kennt, aber der, siehe Johannes XXIII., den Mut hat, einfach aufzumachen und zu öffnen. Aber der dürfte nicht allein bleiben. Das war das Drama auch Johannes des XXIII., dass er offensichtlich sozusagen die Kurie nicht umgestaltet hat und dann mit seiner Konzilsidee im Vatikan allein war.

    Armbrüster: Wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Schüller, dann kritisieren Sie auch das gesamte Verfahren dieses Konklaves, dass das im Grunde nicht durchsichtig ist?

    Schüller: Selbstverständlich. Es passt nicht mehr in die Zeit, es passt in diese Zeit nicht mehr. Man könnte sagen, die Kardinäle müssten eigentlich Wahlmänner des Kirchenvolkes sein und müssten sich natürlich um die Wähler, sprich auch um das Kirchenvolk wirklich kümmern. Müssten fragen, was stellt ihr euch denn vor, was aus eurer Welt und Glaubenserfahrung wäre denn jetzt angesagt, und vielleicht auch transparent machen, was man selber vor hat, nämlich an wen man denkt und warum. Das ist so eine wichtige Entscheidung, alles wird zugespitzt auf das Papstamt, und wenn der Papst dann gewählt wird, der für die nächsten Jahre gewissermaßen über Blockade oder Öffnung entscheidet, dann tut man so, als wäre das ein Besinnungstag im Vatikan. Das steht eigentlich völlig Kopf. Es müsste jetzt eine hohe Aktivität in Richtung Herausfinden was. Die Kardinäle, die Ortsbischöfe sind, müssten längst schon Einladungen in ihren Diözesen ausgeschickt haben zu großen Versammlungen, um dort darzulegen und zu hören, was jetzt angesagt ist.

    Armbrüster: Aber was Sie sich da vorstellen, das klingt doch eher nach einer politischen Partei, und die katholische Kirche ist doch eher etwas anderes. Das ist ja ein …

    Schüller: Die katholische Kirche ist ein Volk, in dem es Grundrechte gibt, Grundrechte auch der Mitentscheidung, der Mitlenkung. Das ist eine Frage der Würde der Getauften. Das ist eine Frage des Respekts vor ihrem Wissen, vor ihrem Glauben, vor ihrer Einschätzung. Das waren alles selbstverständliche Elemente in der jungen Kirche. Auch sozusagen in den Jahrhunderten der ersten Kirchengeschichte war das vollkommen klar. Es wurden Bischöfe gewählt und das hat nichts mit politischer Partei zu tun, sondern mit der Kundgabe von oder mit der Einschätzung dessen, was gerade die Gemeinschaft der Glaubenden für richtig hält. Dieser Vergleich mit politischer Partei ist völlig unangebracht, denn um das geht es überhaupt nicht. Aber es geht sehr wohl darum, dass das, was an der Basis auch schon teilweise praktiziert wird, dass Gemeinden wirklich auch mitsteuern, mitentscheiden mit ihren Pastoren, mit ihren Pfarrern, wohin die Reise gehen kann oder soll, oder was der Geist Gottes der Kirche sagt. Man soll nicht so tun - die ganze Kirchengeschichte ist voll von Männern, die Päpste waren und dann eigentlich genau das nicht getan haben, was offensichtlich der Geist Gottes von ihnen wollte, und vieles davon wäre verhindert worden, wenn das Volk zu Wort gekommen wäre. Aus dieser Zeit kommen wir.

    Armbrüster: Was Sie da jetzt vorschlagen, Herr Schüller, ist ja so eine Art Reformation. Wären Sie dann nicht viel besser aufgehoben in der protestantischen Kirche?

    Schüller: Nein, ich bin in meiner Kirche zuhause und ich appelliere an die Traditionen meiner Kirche, die bis 1000 ein ganz anderes Papstamt gekannt haben und seither eine Zuspitzung auf einen Mann miterleben, dem das ganze einfach auch zu viel wird und wo die Entscheidungen immer intransparenter werden. Das ist alles gesunde katholische Lehre, das hat überhaupt nichts mit Kirchenspaltung oder mit sonst was zu tun. Die Reformation hat an vieles erinnert, was in der Kirche schon vorher üblich war, und ich glaube, wir sind stolz darauf, dass die Kirche eine weltweite Kirche ist. Wir sind stolz darauf, dass die Gemeinden überall leben, miteinander im Verbund sind. Wir brauchen auch dieses Petrusamt, selbstverständlich, ein Amt der Einheit und der Koordination, aber es muss die Weltkirche durch die Weltkirche geleitet werden, das heißt durch die Vertreter, durch die Bischöfe, durch die Ortskirchen. Das ist der gesunde Ansatz, das war der Anfang der Kirche.

    Armbrüster: Das heißt, die müssten mehr Einfluss bekommen im Vatikan?

    Schüller: Der Vatikan muss sich öffnen. Es geht nicht darum, dass alle irgendwie versuchen, Einfluss zu bekommen, sondern der Vatikan muss sich öffnen. Er muss eine Zentrale der Weltkirche werden und nicht eine Zentrale, von der Furcht und Schrecken ausgehen, wo Menschen drangsaliert werden, ihrer Ämter enthoben werden, keine Lehrbefugnis bekommen, diszipliniert werden, zum Schweigen gebracht werden, nicht mehr reden dürfen, so wie wir das momentan erleben in Irland mit dem Sprecher der dortigen Priesterinitiative oder in der Slowakei mit Bischof Bezak von Trnava oder Bischof Morris in Australien, alles Beispiele für Einzelne, die zum Schweigen gebracht wurden. Das ist das Werk des Vatikans derzeit und das kann sich die Weltkirche nicht bieten lassen.

    Armbrüster: Aber, Herr Schüller, die katholische Kirche lebt ja auch von ihrer Tradition, und da frage ich mich, wäre so eine liberale, völlig transparente und alles akzeptierende katholische Kirche wirklich noch die Kirche, die gläubige Katholiken haben wollen?

    Schüller: Ich verwahre mich gegen Ihre Unterstellung, dass das eine alles akzeptierende Kirche wäre. Es ist eine Kirche, die in ihrer Zeit steht. Es ist eine Kirche, die in der Spur Jesu auf die Menschen zugeht. Diese Adjektive, die Sie gerade verteilt haben, sind natürlich Wasser auf die Mühlen des derzeitigen Systems. Genauso wird argumentiert und genau das ist der Holzweg. Deshalb sind wir dort, wo wir sind. Natürlich muss sich jeder entscheiden, ob er einen Kulturkatholizismus will, der schön brav seine Nostalgie bedient und der sozusagen irgendwie eine Art museale Konstante darstellt, oder ob er es zu tun haben will mit einer lebendigen Kirche, in der es natürlich Auseinandersetzung gibt, in der es natürlich Debatte gibt, in der es natürlich auch das Unterliegen gibt, aber das offene Unterliegen von Ideen. Aber das alles gehört zur Kirche dazu und zum Menschenbild des Christ Seins. Wir sind keine Museumswärter und wir sind auch keine Denkmalpfleger, sondern wir sind Teil einer Kirche, die aus Menschen ihrer jeweiligen Zeit besteht, und die jeweilige Zeit sagt der Kirche auch immer einiges für ihr Wirken und die Kirche hat der Zeit auch etwas zu sagen, nämlich das Evangelium Jesu, die Botschaft, und da muss sich ein System allemal immer wieder neu ausrichten. Und Reform heißt nicht Spaltung; Reform heißt, die Form wieder zurückfinden, nämlich dorthin, wo die Kirche in der Spur Jesu und im Auftrag der Zeit steht.

    Armbrüster: Und wenn Sie solche Forderungen aufstellen und auch solche Interviews wie jetzt hier bei uns im Deutschlandfunk geben, bekommen Sie dann Schwierigkeiten mit der Kirche?

    Schüller: Ich sage das seit Jahren. Ich sage das seit Jahren, ich nehme nur mit Betrübnis fest, dass Druck ausgeübt wird – nicht auf mich oder auf uns in Österreich, sondern Druck auf die, die schwächer aufgestellt sind in anderen Ländern.

    Armbrüster: Das heißt, bei Ihnen hat man sich schon ein bisschen daran gewöhnt?

    Schüller: Das weiß ich nicht, oder wagt man es nicht, weil man weiß, dass wir sehr wohl das zur Aussprache bringen, dass eigentlich der überwiegende, der ganz überwiegende Teil der Gläubigen – und das wissen wir mittlerweile auch aus den Rückmeldungen unserer Kollegen aus den anderen Ländern, ja anderen Kontinenten -, dass dort der ganz überwiegende Teil an der Basis der Kirche genau in diese Richtung denkt und hofft.

    Armbrüster: Dann danke ich Ihnen vielmals, Herr Schüller, dass Sie sich die Zeit genommen haben heute Morgen hier bei uns.

    Schüller: Bitte sehr.

    Armbrüster: Helmut Schüller war das, der Mitbegründer der kirchenkritischen Pfarrer-Initiative in Österreich. Besten Dank und auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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