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Neuer Schub für die EU-Verfassung

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Gloser, geht davon aus, dass der Ratifizierungsprozess der EU-Verfassung unter der kommenden Präsidentschaft Deutschlands neue Impulse erhalten wird. Die Verfassung müsse in der Substanz erhalten bleiben, sagte Gloser. Es reiche aber nicht aus, einfach den Namen zu ändern. Gloser sagte, er sei optimistisch, dass die Verfassung bis 2009 stehen werde.

Moderation: Christine Heuer | 15.06.2006
    Christine Heuer: In Berlin begrüße ich jetzt Günter Gloser von der SPD, den für die Europapolitik zuständigen Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen, Herr Gloser.

    Günter Gloser: Guten Morgen.

    Heuer: Die Europäische Union soll Deutschland, so ist zu hören, beim Gipfel ein Mandat erteilen. Was soll denn da als Auftrag an die künftige deutsche Präsidentschaft drin stehen?

    Gloser: Es ist ja in dem vorangegangenen Bericht bereits gesagt worden, dass die Reflektionsphase verlängert werden soll. Und die Reflektionsphase hatte doch zum einen das Ziel, in der Tat darüber nachzudenken, welche Wege man finden kann. Und nachdem jetzt verschiedene Diskussionen stattgefunden haben, dass auch weitere verschiedene Ratifizierungen stattgefunden haben, wird es sicherlich vor dem Hintergrund des engen Zeitkorridors im nächsten Jahr wegen der Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich dann an Deutschland liegen, welche zeitlichen Vorstellungen man für das weitere Vorgehen hat, aber auch, welche inhaltlichen Vorschläge man für die weitere Befassung mit diesem Thema machen kann.

    Heuer: Zum Zeitplan kurz: Wenn wir jetzt noch ein Jahr warten, dann ist die deutsche Präsidentschaft auch schon wieder vorbei.

    Gloser: Nein, es hat aber doch auch einen ganz wichtigen Grund. Vorhin ist gesagt worden, die Verfassung ist tot, es lebe die Roadmap. Das ist ja ein Punkt, der so nicht stimmt. Es wird in der ganzen Diskussion immer auch übersehen, dass bis zum heutigen Zeitpunkt 15 Mitgliedsstaaten ratifiziert haben. Es wird immer gesagt, ja, die Bürger haben sich das anders vorgestellt. Hier glaube ich, muss man schon differenzieren. Auch in Spanien hat ein Referendum beispielsweise stattgefunden. Und es hat souveräne, aus ganz guten Wahlen hervorgegangene Parlamente gegeben, die über diese Verfassung entschieden haben. Deshalb muss man das Gewicht auch, glaube ich, in der ganzen Diskussion berücksichtigen, dass bis heute 15 abgestimmt haben, positiv. Zwei haben nein gesagt. Es gibt weitere, die überlegen, auch Entscheidungen zu treffen. Denken Sie nur and die Finnen, die für ihre Präsidentschaft damit ein gutes Signal setzen würden. Und zum anderen müssen wir berücksichtigen, natürlich, dass in den Niederlanden, dass in Frankreich im nächsten Jahr Wahlen stattfinden, dass es da keine großen Diskussionen mehr geben kann, bis dahin geben kann, über Einzelheiten des Vertrages. Aber ich glaube schon, dass dann die deutsche Bundesregierung, die Präsidentschaft, dann entsprechende Vorschläge unterbreitet, wie wir mit dem Projekt umgehen werden.

    Heuer: Herr Gloser, entsprechende Vorschläge, wie mit dem Projekt umzugehen sei - was dürfen die Europäer denn von Deutschland konkret erwarten? Eine neue Verfassung, bloß einen Zeitplan, oder irgendetwas dazwischen? Und wenn etwas dazwischen, was genau?

    Gloser: Also einmal hat es jetzt auch wenig Sinn, wenn andere noch darüber entscheiden wollen, über den Text, der ausgearbeitet worden ist - auch nicht in einem Hinterzimmer, sondern in einer ganz neuen Bildung, nämlich in einem Konvent, mit Beteiligung vieler. Dann kann es nicht darum gehen, zu sagen, wir bieten einen neuen Text an. Das wird nicht sein, denn man muss ja auch diejenigen Länder berücksichtigen, die diesen Text bereits ratifiziert haben. Und insofern, es geht darum, wirklich die Substanz dieses Vertrages zu erhalten. Auch vor dem Hintergrund der Handlungsfähigkeit der europäischen Union. Es gibt ja Akteure auch in der Europäischen Union, die sagen, was das Thema Erweiterung angeht, sehr großzügig vielleicht auch umgehen, manches schneller wollen. Aber wenn wir den Bereich Erweiterung fortsetzen wollen, dann wissen wir aber auch ganz genau, dass die Europäische Union handlungsfähig bleiben muss. Und da bietet ja genau diese europäische Verfassung die entsprechenden Voraussetzungen, die entsprechenden Möglichkeiten. Und deshalb denke ich, wird es da gar nicht darum gehen können, hier jetzt einen neuen Text von Deutschland zu erwarten.

    Heuer: Also das Papier soll in der Substanz erhalten werden. Heißt das aber auch, dass Sie Änderungen daran nicht ausschließen?

    Gloser: Das wird natürlich am Schluss, beziehungsweise jetzt auch in den nächsten Monaten, sich zeigen, welche Länder, entsprechend auch noch sich mit diesem Verfassungstext auseinandersetzen, durch Ratifizierung. Aber dann geht es jetzt auch nicht darum, zu sagen, das kommt raus, das bleibt drin. Es soll jetzt auch zu diesem Zeitpunkt kein, wie es so schön heißt, cherry-picking gemacht werden, einzeln rausziehen. Es müssen aber die wichtigen Elemente, Handlungsfähigkeit, wer ist wofür zuständig, Transparenz, welche Rolle nehmen die einzelnen Akteure in dieser Europäischen Politik ein, also Europäisches Parlament, die Kommission, der Rat, aber auch die nationalen Parlamente. Ich glaube, das sind auch alles wichtige Dinge, die nicht zur Disposition stehen können.

    Heuer: Und, Herr Gloser, ist es dann so, dass dieses in der Substanz erhaltene Verfassungspapier, ein bisschen übermalt wird, also einen neuen Namen bekommt, damit die Bürger, in Frankreich und den Niederlanden zum Beispiel, doch etwas europabegeisterter darauf reagieren?

    Gloser: Also ich glaube, das wäre viel zu wenig. Und das glaube ich auch, das kann man gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, selbstbewussten Bürgern, auch nicht machen, einfach zu sagen, jetzt heißt das Kind anders. Das kann natürlich anders heißen, wenn es in der Tat Dinge gibt, wo man sagt, da ist das Wort Verfassung vielleicht nicht der richtige Begriff. Aber auf der anderen Seite glaube ich, ist es schon auch wichtig, immer deutlich zu machen, wofür diese Europäische Union steht, warum wir diese Europäische Union brauchen. Und da glaube ich, diese Zeit muss eben auch noch in den nächsten Wochen und Monaten genutzt werden, um das deutlich zu machen, an ganz konkreten Projekten, wie die Europäische Union handlungsfähig ist. Ich nenne nur zwei Beispiele: Im Bereich der Energiepolitik - das hat man ja im Frühjahrsgipfel aufgenommen als ein richtiges und wichtiges Thema. Aber auch beispielsweise im Bereich der Migration.

    Heuer: 2009 soll die Verfassung stehen, rechtzeitig zu den nächsten Europawahlen. Kurze Frage, Herr Gloser, mit der Bitte um eine kurze Antwort: Klappt das?

    Gloser: Ich bin optimistisch, wenn sich alle Staats- und Regierungschefs wirklich verpflichtet fühlen, diesem Europäischen Projekt. Und alle haben ja damals auch dem Verfassungstext zugestimmt. Man hat ja das alles feierlich unterschrieben. Und wenn wir nicht immer nationale Dinge gegenüber Europa ausspielen, wenn wir für diesen Mehrwert dieser Europäischen Union arbeiten, dann bin ich Optimist, dass wir dieses Projekt wirklich auch realisieren können.

    Heuer: Ein weiteres Thema beim Gipfel, Herr Gloser, ist die Erweiterung der EU. Die Bürger sind erweiterungsmüde, so heißt es. Ist jetzt erst einmal Schluss mit neuen Mitgliedern?

    Gloser: Also auch hier gibt es ja einen Plan, es gibt Beschlüsse. Wir stehen in aktuellen Verhandlungen mit Kroatien, mit der Türkei. Wir wissen um die Perspektive von Bulgarien und Rumänien, was wir entscheiden. Ich glaube, auch hier sollten wir den Bürgerinnen und Bürgern keine falschen Signale setzen. Zum einen, wie wichtig es ist, diese Perspektive für bestimmte Länder aufrechtzuerhalten, damit sie in ihren innenpolitischen Modernisierungen, Transformationsprozessen, auch weiter voranschreiten, weil es auch wichtig ist, diese Länder mit einzubinden. Allerdings auch, das setzt voraus, die Europäische Union muss handlungsfähig bleiben. Und zum anderen, das wird nicht alles von heute auf morgen gehen. Also auch hier gilt dann, zu vermitteln, Gründlichkeit vor Schnelligkeit.

    Heuer: Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Ministerpräsident, hat heute gesagt, die Europäische Union könne es auch ohne Großbritannien geben. Dies zum Schluss, Herr Gloser, sehen Sie das auch so?

    Gloser: Also es geht jetzt nicht darum wie bei einem Fußballteam, jetzt zu sagen, der spielt da nicht mehr mit. Ich glaube, wir brauchen Großbritannien, wenn wir zurückblicken, wie viele Diskussionen es darum gegeben hat. Aber jedes Mitgliedsland, darunter fällt dann eben auch Großbritannien, hat Verantwortung für diese Europäische Union. Und ich muss dann auch immer entsprechend wissen, wenn ich handlungsfähig bleiben will, muss ich auch entsprechend meine Beiträge dazu liefern. Ich halte also hier nichts davon, jetzt bestimmte Mitgliedsstaaten an den Rand des Spielfeldes zu stellen.

    Heuer: Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Herr Gloser, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Gloser: Ich bedanke mich auch.