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Neuer Vorstand bei IG-Metall

Meurer: Dramatischer hätte die Sitzung des IG-Metall-Vorstands gestern in Dresden nicht ablaufen können. Gesucht wurde ein Nachfolger für IG-Metall Klaus Zwickel in einem halben Jahr. Im ersten Wahlgang eine denkwürdige Pattsituation. Jürgen Peters, noch IG-Metall Vize, und Berthold Huber, Bezirksleiter Baden-Württemberg, sie bekommen beide gleich viele Stimmen, 20 zu 20. Zwickel gibt daraufhin nach, im zweiten Wahlgang wird Jürgen Peters gewählt und Huber nur Vize. Nach Meinung vieler Beobachter eine eindeutige Richtungsentscheidung gegen den reformorientierten Flügel, für die Hardliner in der IG-Metall. In etwa sechs Monaten muss Jürgen Peters noch vom Gewerkschaftstag bestätigt werden, woran aber kaum jemand zweifelt. Am Telefon begrüße ich nun für die Metallarbeitgeber den Präsidenten von Gesamtmetall Martin Kannegiesser. Herr Kannegiesser, empfinden Sie das, was gestern entschieden wurde, als eine Kampfansage an Gesamtmetall?

    Kannegiesser: Nein, Kampfansagen, glaube ich, müssen unmittelbar aus der Sache ergeben. Sie ergeben sich noch nicht aus einer Personalentscheidung. Ich glaube überhaupt, dass es bei solchen Personalentscheidungen für alle nicht gut ist, zu sehr das sofort in Klischees zu pressen. Wir haben in der nächsten Zeit ungeheuer viele Aufgaben zu lösen, auch schwierige Aufgaben zu lösen, und werden, wenn es dann zu diesem neuen Gespann als Nachfolge von Klaus Zwickel kommt, dem neuen Gespann Peters-Huber, die Probleme so anpacken, wie wir es für richtig halten. Unsere Mitglieder müssen entscheiden, letztlich unsere Mitgliedsfirmen müssen entscheiden, wie wir die Lösungen finden und ob die Form der herkömmlichen Tarifautonomie für sie in Zukunft die richtige ist, für wen sie die richtige ist, wer also neue Formen sucht. Das alles wird sich daran entscheiden, wie wir die Probleme konkret anpacken.

    Meurer: Wird denn Peters der Mann sein, der für neue Tarifformen, zum Beispiel Tarifabschlüsse abhängig machen von der Ertragsskala der Unternehmen, Ihrer Meinung nach offen sein wird?

    Kannegiesser: Das weiß ich nicht, aber wenn sich aus der Sache ergibt, dass neue Tarifformen, dass neue Ansätze notwendig sind, dann bin sicher, dass man mit einem Vorsitzenden der IG-Metall darüber reden können wird, auch mit Herrn Peters, wobei man im Übrigen, glaube ich, auch mal feststellen sollte, dass bei allen Schwächen, die die bisherige Formen der Flächentarife auch haben, doch es auch ein bisschen Mode geworden ist, die Stärken und die Möglichkeiten der Flächentarife richtig einzuschätzen. Es gibt auch inzwischen einen sehr festen und großen Kern von Unternehmen mit der überwiegenden Zahl der Beschäftigten, die durchaus auch die Möglichkeiten des Flächentarifes und die Kraft, die im Flächentarif steckt, aus der Sicht der Unternehmen akzeptieren. Die Frage ist, wie wir jetzt konkret in der nächsten Zeit damit umgehen, wie wir die Probleme, die vor uns stehen, mit diesem Modell anpacken, ob weiter diese Akzeptanz befunden wird.

    Meurer: Ich sage jetzt einfach mal, ist es jetzt eine diplomatische Vorgehensweise von Ihnen, zunächst mal ein gutes Gesprächsklima herzustellen, oder glauben Sie wirklich im Gegensatz zu den meisten Beobachtern, dass das gestern keine Richtungsentscheidung war?

    Kannegiesser: Das ist eine ureigene Entscheidung der IG-Metall und ihrer internen Befindlichkeit. Eine so große traditionelle Organisation wie die IG-Metall muss ja in ihrer Führung immer auf die Integration nach Innen achten, diese Integration, dieses breiten Spannungsfeldes zwischen traditionellen Mitgliedern und den neuen Mitgliedern, die man gewinnen möchte. Hier hat sie eine starke Integrationsfunktion, und das muss man als Beobachter von außen immer sehen und akzeptieren. Auch uns ist daran gelegen, natürlich eine kraftvolle Führung zu haben, die in den eigenen Reihen integrieren kann, sonst ist sie als Gesprächspartner schwierig, wenn sie eben nicht integrieren kann. Auf der anderen Seite brauchen wir natürlich auch eine Führung, wenn eben diese Form der Tarifautonomie von den Betrieben so überhaupt noch mitgetragen werden kann, die bereit ist, auch neue Wege zu gehen und sich Neuem zu öffnen, und beides wird erforderlich sein. Da hat die IG-Metall nun eine Personalentscheidung getroffen, die für uns keine Entscheidung ist, von der wir sagen können, die funktioniert überhaupt nicht. Wir kennen beide Herren aus vielen Jahren der gemeinsamen Arbeit, und wir haben manche Probleme und Konflikte sehr sachorientiert im Konsens gelöst. Das wird auch in Zukunft so sein. Daran wird sich nichts ändern. Also man sollte das mit der Richtungsentscheidung, glaube ich, nicht überbewerten.

    Meurer: Wenn Berthold Huber stellvertretender IG-Metall-Vorsitzender wird, damit zuständig für die Tarifpolitik, welchen Einfluss, glauben Sie, wird er auf die künftige Politik der IG-Metall haben?

    Kannegiesser: Der Einfluss von Herrn Huber, glaube ich, wird ein entscheidender und wichtiger sein. Die IG-Metall ist ja nun so konstruiert, dass sie einen ersten und einen zweiten Vorsitzenden hat, wobei der zweite nicht in dem Sinne ein Vize ist, sondern beide, wie wir es verstehen, bisher verstanden haben, haben diese Organisation zu führen und somit wird Herr Huber einen starken Einfluss haben, der sich natürlich auch aus seiner ganzen Erfahrung ergibt, aus seinem Hintergrund und aus seiner Herkunft, nämlich aus einem der stärksten Verbände der IG-Metall. Also beide werden gemeinsam - Herr Peters ist ein sehr erfahrener Mann - sich wirklich auf einen Nenner einigen können, glaube ich. Das kann für die Industrie und für die Organisation ein starkes Gespann werden.

    Meurer: Warum, glauben Sie, hat sich Klaus Zwickel, der derzeitige und noch IG-Metall-Vorsitzende, mit seinem Personalvorschlag nicht durchsetzen können?

    Kannegiesser: Das kann ich nicht beurteilen, welche Kräfte und welche Überlegungen in der IG-Metall eine Rolle gespielt haben. Das ist als direkter Gegenspieler auch nicht unsere Aufgabe, solche Personalentscheidungen zu bewerten, zu beurteilen, und die Organisation wird ihre Gründe gehabt haben. Wir können eben nur die Erwartungen an die IG-Metall richten, dass sie bei den auf uns zukommenden wirklich sehr schwierigen Aufgaben neben sachorientierter Lösungen nicht zu sehr rein organisationspolitische Fragen in den Vordergrund stellt, weil eine Organisation - das gilt genauso für unsere Verbände -, die dann überwiegend nur noch ihre eigene Organisation und deren Erhalt und Pflege im Auge hat und nicht die Lösung einer uns gemeinsam vorgegebenen Sachaufgabe, höhlt sich irgendwo aus. Das gilt für Arbeitgeberverbände genauso wie für Gewerkschaften. Insoweit meine ich, dass die Macht des Faktischen beide Organisationen zwingt, sich auch in Zukunft sehr lösungsorientiert zu verhalten.

    Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio