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Neues Album von Caribou
Mutterliebe und Mathematik

Er konstruiert Beats für den Dancefloor, lässt Samples wabern und Klavierklänge torkeln und erzählt dazu von Todesfällen in der Familie und von Kindheitserinnerungen: Der Kanadier Dan Snaith alias Caribou gibt sich auf seinem neuen Album „Suddenly“ offen wie nie – und ideenreich wie eh und je.

Von Bernd Lechler | 22.02.2020
Der kanadischer Musiker Dan Snaith als Caribou bei einem Live-Auftritt im französischen Nimes am 11. Juli 2012.
Der Musiker Dan Snaith alias Caribou (picture alliance / dpa / Samuel Dietz)
So viel Privatheit erwartet man bei Elektronikmusikern sonst ja nicht. "Bruder, du musst was ändern", singt Dan Snaith hier im Song "Sister" - in den sich dann diese Frauenstimme mischt: hören Sie?
Das ist seine Mutter, aufgenommen vor Jahrzehnten auf Kassette, als sie aus der Wahlheimat Kanada kurze Tondokumente an ihre Eltern in England schickte. Dan Snaith war bewegt von diesen raren Zeugnissen seiner frühsten Kindheit.
"Ich habe sonst nur ein paar Fotos und Dias, und dann war da plötzlich dieses Fenster in eine Welt, zu der ich sonst kaum Zugang habe. Meine Mutter singt da meiner Schwester vor, als die noch ganz klein war. Und ich fand das so süß und mir so nah und bewegend, dass ich es in einen Song eingebaut habe."
Persönliche Momente
Nicht der einzige sehr persönliche Moment. "You And I" handelt von einem plötzlich verstorbenen Verwandten von Dan Snaiths Frau - im selben melancholischen, aber tröstlichen Ton, der dieses ganze Album prägt; und so offen autobiografisch und direkt, dass selbst enge Freunde sich verblüfft darüber äußerten:
"I played this album to a close friend of mine, and he was like: It’s really weird to hear you singing so directly about things that happened in your life."
Der Song ist aber auch sonst typisch für dieses Album. Wie er von einer sanft-eingängige Strophe unvermittelt in eine nervösere Gangart verfällt oder im Finale mit Sounds arbeitet, die an eine schrille Rockgitarre erinnern.
So hält Dan Snaith auch die übrigen 40 Minuten seine Hörerinnen und Hörer auf dem Sprung. "Home" basiert auf einem Soul-Sample. "Sunny’s Time" hat was von einem angetrunkenen Debussy und "Never Come Back" zielt direkt auf den Dancefloor.
Dan Snaith sammelt bei täglichen kleinen Studiosessions zahllose Ideen und Skizzen. Wenn ein Album ansteht, durchsucht er diesen Fundus. Und holt sich bisweilen Entscheidungshilfe.
"Von zwei Leuten vor allem: Meiner Frau, die Musikfan ist und viel Gespür dafür hat, aber eben nicht selber Musik macht - das ist wichtig. Und Kieran Hebden alias Four Tet, mein enger Freund und immer schon musikalischer Gefährte. Er hört mit dem Ohr eines Produzenten. Beide sind absolut ehrlich zu mir. Und bei Ideen im Frühstadium ist es hilfreich, wenn jemand sagt: Mach doch mal diesen Track hier fertig, und geh in die-und-die Richtung."
Autobiografische Direktheit
Nach den gefeierten letzten beiden Alben "Swim" und "Our Love" sind die Erwartungen an "Suddenly" hoch, und Dan Snaith enttäuscht sie nicht. Da ist sein eher schüchtern wirkender, aber berührender Gesang, den er zum ersten Mal in jedem Track einsetzt, die autobiografische Direktheit der Texte - und wieder sein erfindungsreicher Umgang mit Sounds, Samples und Beats. Nicht vergessen: der Mann hat einen Doktor in Mathematik.
"Es geht mir beim Musik machen immer um die Emotionen, die es in mir auslöst. Aber es gibt schon auch die Perspektive: Was passiert, wenn ich dieses mit jenem kombiniere? In der Mathematik spielt man mit abstrakten Ideen, man sucht nach Kongruenzen und Symmetrien - und das harmoniert durchaus mit meinem Interesse an Musik, denn ich spiele da auch lieber mit abstrakten als mit konkreten Dingen."
Abgesehen eben von den sehr konkreten Ereignissen in seinem Leben, die er bisher nicht in seiner Musik verarbeitete. Das gilt auch für aktuelle Sounds zwischen Hip-Hop, R&B und britischer Clubkultur.
"Früher kamen meine Referenzen oft aus der Vergangenheit. Aber beim Album ‚Swim‘ war es dann die brodelnde Londoner Dance-Szene, die mich faszinierte und auf die ich mich bezog. Und seither finde ich es viel interessanter und relevanter, eine Musik zu machen, die sich in das einmischt, was grade passiert, und hoffentlich etwas beizusteuern. Teil dieser zeitgenössischen Konversation zu sein, das ist mir wichtig geworden."